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Er suchte nach einer Zigarette. Das leise Glühen. Der unsichtbare Rauch. Die kurze Kometenbahn des Streichholzes. Warum ging er nicht hinauf in das Studio? Was konnte schon sein? Es war noch nicht zu spät. Das Licht brannte noch. Er würde die Situation schon meistern können.Warum holte er sie nicht heraus? Jetzt, wo er alles wußte? Holte sie heraus und nahm sie mit sich und ließ sie nie mehr los?

Er starrte in das Dunkel. Was würde es nützen? Was würde schon geschehen? Er konnte den andern nicht hinauswerfen. Man konnte nichts und niemand aus dem Herzen eines andern hinauswerfen. Hätte er sie nicht nehmen können, als sie zu ihm gekommen war? Weshalb hatte er es nicht getan?

Er warf die Zigarette fort. Weil es nicht genug war. Das war es. Er wollte mehr. Es würde nicht genug sein, selbst wenn sie käme, selbst wenn sie wiederkäme und alles wäre vergessen und versunken, es würde nie mehr genug sein, auf eine sonderbare und schreckliche Weise nie mehr genug. Irgend etwas war fehlgegangen, der Strahl der Phantasie hatte irgendwann den Spiegel nicht mehr getroffen, der ihn auffing und glühender in sich selbst zurückwarf, und nun war er darüber hinausgeschossen, in blinde Unerfüllbarkeit, und nichts konnte ihn mehr zurückbringen, kein Spiegel mehr und keine tausend Spiegel. Sie konnten nur noch einen Teil auffangen, aber nie mehr zurückholen; er geisterte längst verloren an den leeren Himmeln der Liebe entlang und füllte sie nur noch mit leuchtendem Nebel, der keine Form mehr hatte und nie mehr ein Regenbogen um ein geliebtes Haupt haben würde. Der magische Kreis war gesprengt, die Klage blieb, aber die Hoffnung lag in Scherben.

Jemand kam aus dem Haus. Ein Mann. Ravic richtete sich auf. Eine Frau folgte. Sie lachten. Sie waren es nicht. Einer der Wagen startete und fuhr ab. Er nahm eine andere Zigarette. Hätte er sie halten können, wenn es anders gewesen wäre? Doch was konnte man halten? Nur eine Illusion, wenig mehr. Aber war eine Illusion nicht genug? Konnte man je mehr erreichen? Wer wußte dann etwas von dem schwarzen Strudel des Lebens, der namenlos unterhalb der Sinne flutete, die ihn aus dem hohlen Sausen zu Dingen machten, zu Tisch und Lampe und Heimat und Du und Liebe? Da war nur eine Ahnung und ein schauriges Zwielicht. War es nicht genug?

Es war nicht genug. Es war nur genug, wenn man daran glaubte. Wenn der Kristall einmal zersprungen war unter dem Hammer des Zweifels, konnte man ihn nur kitten, aber nichts mehr. Kitten, lügen und das zerbrochene Licht betrachten, das einmal weißer Glanz war! Nichts kam wieder. Nichts formte sich zurück. Nichts. Selbst wenn Joan zurückkäme, es würde nicht mehr dasselbe sein. Der gekittete Kristall. Die Stunde war versäumt. Nichts brachte sie zurück.

Er spürte einen scharfen, unerträglichen Schmerz. Etwas riß in ihm, zerriß. Mein Gott, mein Gott, dachte er, daß ich so leiden kann. Daran so leiden kann. Ich sehe mir selbst über die Schulter, aber es ändert nichts. Ich weiß, wenn ich es bekäme, würde ich es wieder loslassen, aber das löscht mein Verlangen nicht. Ich seziere es wie einen toten Körper auf dem Tisch in der Morgue — aber er wird noch tausendmal lebendiger. Ich weiß, daß es irgendwann vorbeigehen wird — aber es hilft mir nichts. Er starrte mit geblendeten Augen zu dem Fenster hinauf, und er fühlte sich entsetzlich lächerlich — und auch das änderte nichts.

Ein schwerer Donner rollte plötzlich über die Stadt. Regentropfen klatschten ins Gebüsch. Ravic stand auf. Er sah, wie die Straße sich mit schwarzem Silber sprenkelte.

Der Regen begann zu singen. Die dicken Tropfen schlugen ihm warm ins Gesicht. Und plötzlich wußte er nicht mehr, ob er lächerlich war oder elend, ob er litt oder nicht — er wußte nur noch, daß er lebte. Er lebte! Er war da, es hatte ihn wieder, es schüttelte ihn, er war kein Zuschauer mehr, kein Außenstehender mehr, der große Glanz des unkontrollierbaren Gefühls schoß wieder durch seine Adern wie Feuer durch Hochofenröhren, es war fast gleichgültig, ob er glücklich oder unglücklich war, er lebte und er spürte voll, daß er lebte, und das war genug!

Er stand im Regen, der auf ihn niederstürzte wie ein himmlisches Maschinengewehrfeuer. Er stand da, und er war Regen und Sturm und Wasser und Erde, die Blitze von den Horizonten kreuzten sich in ihm; er war Kreatur, Element; nichts hatte mehr Namen und wurde einsam dadurch, alles war dasselbe, die Liebe, das stürzende Wasser, die fahlen Feuer über den Dächern, die Erde, die sich aufzuwölben schien, keine Grenzen waren mehr da, und er gehörte dazu, und Glück und Unglück waren nur noch leere Hülsen, weggeschleudert von dem mächtigen Gefühl, zu leben und sich lebend zu fühlen. »Du da oben«, sagte er gegen das erleuchtete Fenster und lachte und wußte nicht, daß er lachte. »Du kleines Licht, du Fata Morgana, du Gesicht, das eine sonderbare Macht über mich hat, auf diesem Planeten, auf dem es hunderttausend andere gibt, bessere, schönere, klügere, gütigere, treuere, verständigere — du Zufall, mir nachts über den Weg geworfen, in mein Leben gefallen, du angeschwemmtes, gedankenloses, besitzergreifendes Gefühl, unter meine Haut gekrochen im Schlaf, du, die von mir fast nichts anderes weiß, als daß ich widerstand, und die sich mir deshalb entgegenwarf, bis ich nicht mehr widerstand, und die dann weiter wollte, sei gegrüßt! Hier stehe ich und glaubte, nie wieder einmal so zu stehen. Der Regen rinnt durch mein Hemd und ist wärmer und kühler und weicher als deine Hände und deine Haut; hier stehe ich, elend und mit den Krallen der Eifersucht im Magen, dich verlangend, dich verachtend, dich bewundernd, dich anbetend, weil du den Blitz geworfen hast, der gezündet hat, den Blitz, der in jedem Schoße ruht, den Funken Leben, das schwarze Feuer; hier stehe ich, nicht mehr wie ein Toter auf Urlaub mit kleinem Zynismus, Sarkasmus und etwas Mut, nicht mehr kalt; lebendig wieder, leidend meinetwegen, aber offen wieder den Gewittern des Lebens, zurückgeboren in seine schlichte Gewalt! Sei gebenedeit, Madonna mit dem flüchtigen Herzen, Nike mit dem rumänischen Akzent. Traum und Betrug, zerbrochener Spiegel eines dunklen Gottes, Ahnungslose — sei bedankt! Nie werde ich es dir sagen, denn du würdest unbarmherzig Kapital daraus schlagen, aber du hast mir wiedergegeben, was weder Plato noch Sternchrysanthemen, weder Flucht noch Freiheit, weder alle Poesie noch alles Erbarmen, weder Verzweiflung noch höchste und geduldigste Hoffnung mir geben konnte: das einfache, starke, direkte Leben, das mir wie ein Verbrechen erschien in dieser Zeit zwischen Katastrophe und Katastrophe! Sei gegrüßt! Sei bedankt! Ich mußte dich verlieren, um es zu wissen! Sei gegrüßt!

Der Regen war zu einem silbernen, flimmernden Vorhang geworden. Die Büsche begannen zu duften. Die Erde roch stark und dankbar. Jemand stürzte aus dem Haus gegenüber und riß das Verdeck über den gelben Roadster. Es war gleich. Alles war gleich. Die Nacht war da, sie schüttete den Regen von den Sternen, mystisch befruchtend stürzte er auf die steinerne Stadt mit ihren Alleen und Gärten, Millionen Blüten hielten ihm ihr buntes Geschlecht hin und empfingen ihn, und er warf sich in Millionen ausgebreitete, gefiederte Astarme und wühlte sich in die Erde zu dunkler Vermählung mit Millionen wartender Wurzeln; der Regen, die Nacht, die Natur, das Wachsen, sie waren da, unbekümmert um Zerstörung, Tod,Verbrecher, falsche Heilige, Sieg oder Niederlage; sie waren da wie in jedem Jahr, und in dieser Nacht gehörte er dazu, aufgebrochene Schale, sich reckendes Leben, Leben, Leben, gegrüßt und gebenedeit!

Er ging rasch durch die Gärten und Straßen. Er sah nicht zurück; er ging und ging, und die Kronen des Bois empfingen ihn wie ein riesiger, summender Bienenkorb; der Regen trommelte auf sie, sie schwankten und antworteten, und es war ihm, als wäre er wieder jung und ginge das erstemal zu einer Frau.

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