Литмир - Электронная Библиотека
Содержание  
A
A

»Doch. Aber vielleicht haben Sie noch einen anderen im Keller.«

»Ich will sehen.«

Der Kellner ging zur Kasse, an der die Wirtin mit ihrer Katze schlief. Von dort verschwand er hinter einer Tür mit einer Milchglasscheibe, hinter der der Patron mit seinen Rechnungen hauste. Nach einer Weile kam er mit wichtiger, gesammelter Miene zurück und ging, ohne zu Ravic hinüberzusehen, die Treppe zum Keller hinunter.

»Es scheint zu klappen.«

Der Kellner kam mit einer Flasche zurück, die er wie ein Wickelkind in den Armen hielt. Es war eine schmutzige Flasche; nicht eine der malerisch verkrusteten für Touristen, sondern einfach eine sehr schmutzige Flasche, die viele Jahre im Keller gelegen hatte. Er öffnete sie vorsichtig, beroch den Korken und holte dann zwei große Gläser.

»Mein Herr«, sagte er zu Ravic und schenkte ein paar Tropfen ein.

Ravic nahm das Glas und atmete den Duft ein. Dann trank er, lehnte sich zurück und nickte. Der Kellner nickte feierlich zurück und füllte dann die beiden Gläser zu einem Drittel.

»Versuch das einmal«, sagte Ravic zu Joan.

Sie nahm einen Schluck und setzte das Glas nieder. Der Kellner beobachtete sie. Sie sah Ravic erstaunt an. »So etwas habe ich noch nie gehabt«, sagte sie und nahm einen zweiten Schluck. »Man trinkt es nicht, man atmet es nur einfach ein.«

»Das ist es, meine Dame«, erklärte der Kellner befriedigt. »Sie haben es erfaßt.«

»Ravic«, sagte Joan. »Du tust hier etwas Gefährliches. Nach diesem Calvados will ich nie mehr einen andern trinken.«

»O doch, du wirst auch noch einen andern trinken.«

»Aber ich werde immer von diesem träumen.«

»Gut. Du wirst dadurch ein Romantiker. Ein Calvados-Romantiker.«

»Der andere wird mir dann aber nicht mehr schmekken.«

»Im Gegenteil, er wird dir sogar noch besser schmekken, als er in Wirklichkeit ist. Es wird ein Calvados mit Sehnsucht nach einem andern Calvados sein. Das macht ihn dann bereits weniger alltäglich.«

Joan lachte. »Das ist doch Unsinn. Du weißt das auch.«

»Natürlich ist es Unsinn. Aber wir leben von Unsinn. Nicht vom magern Brot der Tatsachen. Wo bliebe die Liebe sonst?«

»Was hat das mit Liebe zu tun?«

»Eine Menge. Es sorgt für das Fortbestehen.Wir würden sonst nur einmal lieben und alles später ablehnen. So aber wird das bißchen Sehnsucht nach dem, den man verläßt oder der einen verläßt, schon zur Glorie um den Schädel dessen, der nachher kommt. Daß man aber vorher etwas verloren hat, gibt dem Neuen bereits eine gewisse romantische Verklärung. Eine alte, fromme Gaukelei.«

Joan blickte ihn an. »Ich finde es scheußlich, wenn du so redest.«

»Ich auch.«

»Du solltest das nicht tun. Nicht einmal im Scherz. Es macht ein Wunder zu einem Trick.« Ravic antwortete nicht.

»Und es klingt, als wärest du schon müde und dächtest darüber nach, mich zu verlassen.«

Ravic sah sie mit einer fernen Zärtlichkeit an. »Darüber brauchst du nie nachzudenken, Joan. Wenn es einmal soweit ist, wirst du mich verlassen. Nicht ich dich. Das ist sicher.«

Sie setzte ihr Glas hart nieder. »Was ist das für ein Unsinn! Ich werde dich nie verlassen. Wohin willst du mich da wieder hineinreden?«

Die Augen, dachte Ravic. Als gingen Blitze dahinter nieder. Sanfte, rötliche Blitze von einem Gewirr von Kerzen. »Joan«, sagte er. »Ich will dich in nichts hineinreden. Aber ich will dir einmal die Geschichte von der Welle und dem Felsen erzählen.

Es ist eine alte Geschichte. Älter als wir. Hör zu. Es war einmal eine Welle, die liebte den Felsen irgendwo im Meer, sagen wir in der Bucht von Capri. Sie umschäumte und umbrauste ihn, sie küßte ihn Tag und Nacht, sie umschlang ihn mit ihren weißen Armen. Sie seufzte und weinte und flehte ihn an, zu ihr zu kommen, sie liebte ihn und umschwärmte ihn und unterspülte ihn dabei langsam, und eines Tages gab er nach und war ganz unterspült und sank in ihre Arme.«

Er nahm einen Schluck Calvados. »Und?« fragte Joan.

»Und plötzlich war er kein Felsen mehr zum Umspielen, zum Umlieben und zum Umtrauern. Er war nur noch ein Steinbrocken auf dem Meeresgrund, untergegangen in ihr. Die Welle fühlte sich enttäuscht und betrogen und suchte sich dann einen neuen Felsen.«

»Und?« Joan sah ihn mißtrauisch an. »Was heißt das schon? Er hätte eben ein Felsen bleiben sollen.«

»Das sagen die Wellen immer. Aber alles Bewegliche ist stärker als alles Starre. Wasser ist stärker als Felsen.«

Sie machte eine ungeduldige Bewegung. »Was hat das alles mit uns zu tun? Das ist doch nur eine Geschichte, die nichts bedeutet. Oder du machst dich wieder einmal lustig über mich. Wenn es einmal dazu kommt, wirst du mich verlassen, das ist alles, was ich bestimmt weiß.«

»Das«, sagte Ravic lachend, »wird die letzte Feststellung sein, wenn du gehst. Du wirst mir erklären, ich habe dich verlassen. Und du wirst Gründe dafür haben — und es glauben —, und du wirst recht haben vor dem ältesten Gerichtshof der Welt: Natur.«

Er winkte dem Kellner. »Können wir diese Flasche Calvados kaufen?«

»Sie wollen Sie mitnehmen?«

»Exakt.«

»Mein Herr, das ist gegen unsere Grundsätze. Wir verkaufen keine Flaschen.«

»Fragen Sie den Patron.«

Der Kellner kam mit einer Zeitung zurück. Es war der »Paris Soir«. »Der Wirt will eine Ausnahme machen«, erklärte er, drückte den Korken fest ein und wickelte die Flasche in den »Paris Soir«, nachdem er die Sportbeilage herausgenommen, zusammengefaltet und in die Tasche gesteckt hatte. »Hier, mein Herr.

Lagern Sie ihn dunkel und kühl. Er stammt vom Gut des Großvaters unseres Patrons.«

»Gut.« Ravic zahlte. Er nahm die Flasche und sah sie an. »Sonnenschein, auf Äpfeln einen heißen Sommer und einen blauen Herbst lang gelegen in einem windverwehten, alten Obstgarten der Normandie, komm mit uns.Wir brauchen dich. Es stürmt irgendwo im Universum.«

Sie traten auf die Straße. Es hatte angefangen zu regnen. Joan blieb stehen. »Ravic! Liebst du mich?«

»Ja, Joan. Mehr als du glaubst.«

Sie lehnte sich an ihn. »Es sieht manchmal nicht so aus.«

»Im Gegenteil. Ich würde dir sonst solche Dinge nie erzählen.«

»Du solltest mir lieber andere erzählen.«

Er sah in den Regen und lächelte. »Liebe ist kein Teich, in dem man sich immer spiegeln kann, Joan. Sie hat Ebbe und Flut. Und Wracks und versunkene Städte und Oktopusse und Stürme und Goldkisten und Perlen. Aber die Perlen liegen tief.«

»Davon weiß ich nichts. Liebe ist Zusammengehören. Für immer.«

Für immer, dachte er. Das alte Kindermärchen. Wenn man nicht einmal die Minute halten kann! Joan knöpfte ihren Mantel zu. »Ich wollte, es wäre Sommer«, sagte sie. »Ich habe es noch nie so gewollt wie in diesem Jahr.«

Sie nahm ihr schwarzes Abendkleid aus dem Schrank und warf es auf das Bett. »Wie ich das manchmal hasse. Dieses ewige schwarze Kleid! Diese ewige Scheherazade! Immer dasselbe! Immer dasselbe!«

Ravic blickte auf. Er sagte nichts.

»Verstehst du das nicht?« fragte sie.

»O ja...«

»Warum nimmst du mich nicht da weg, Liebster?«

»Wohin?«

»Irgendwohin! Irgendwohin!«

Ravic wickelte die Flasche Calvados aus und zog den Pfropfen heraus. Dann holte er ein Glas und goß es voll. »Komm«, sagte er. »Trink das.« Sie schüttelte den Kopf. »Es nützt nichts. Manchmal nützt es nicht, zu trinken. Manchmal nützt alles nicht. Ich will heute abend nicht dahin gehen, zu diesen Idioten.« »Bleib hier.« »Und dann?« »Telefoniere, du seist krank.« »Dann muß ich morgen trotzdem hin, und das ist noch schlimmer.« »Du kannst für ein paar Tage krank sein.« »Das bleibt dasselbe.« Sie sah ihn an. »Was ist das nur?

Was ist das nur mit mir, Liebster? Ist es der Regen? Ist es die nasse Dunkelheit? Manchmal ist es wie ein Sarg, in dem man liegt. Die grauen Nachmittage, in denen man ertrinkt. Ich hatte es vergessen vorhin, ich war glücklich mit dir in dem kleinen Restaurant — warum mußtest du über Verlassen und Verlassenwerden sprechen? Ich will nichts davon wissen und will nichts davon hören! Es macht mich traurig, es hält mir Bilder hin, die ich nicht sehen will, und es macht mich unruhig. Ich weiß, du meinst es nicht so, aber es trifft mich. Es trifft mich, und dann kommt der Regen und die Dunkelheit. Du kennst das nicht. Du bist stark.«

42
{"b":"125277","o":1}