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Sie blickte Ravic an. »Schön«, sagte er. »Ruhe, ein Feuer, Bücher und Frieden. Früher galt so etwas als Bürgerlichkeit. Heute ist es der Traum von einem verlorenen Paradies.«

Sie nickte. »Ich will eine Zeitlang da bleiben. Ein paar Wochen. Vielleicht auch einige Monate. Ich weiß es nicht. Ich will ruhig werden. Und dann werde ich wiederkommen und nach Amerika zurückgehen.«

Ravic hörte, wie auf dem Korridor Tabletts mit dem Abendessen vorübergetragen wurden. Ein paar Schüsseln klapperten. »Gut, Kate«, sagte er.

Sie zögerte. »Kann ich noch ein Kind haben, Ravic?«

»Nicht sofort. Sie müssen erst viel kräftiger werden.«

»Das meine ich nicht. Kann ich es irgendwann? Nach dieser Operation. Ist nicht...«

»Nein«, sagte Ravic. »Wir haben nichts herausgeschnitten.«

Sie atmete tief. »Das wollte ich wissen.«

»Es wird aber noch lange dauern, Kate. Ihr ganzer Organismus muß sich erst ändern.«

»Es macht nichts, wie lange es dauern wird.« Sie strich sich das Haar zurück. Der Stein auf ihrer Hand funkelte in der Dämmerung. »Es ist lächerlich, daß ich das frage, wie? Gerade jetzt.«

»Nein. Das kommt oft vor. Öfter als man glaubt.«

»Ich habe genug von allem hier, plötzlich. Ich will zurückgehen und heiraten, richtig, altmodisch, und Kinder haben und ruhig sein und Gott loben und das Leben lieben.«

Ravic blickte aus dem Fenster. Ein wildes Abendrot stand über den Dächern. Die Lichtreklamen ertranken darin wie blutlose Farbenschatten.

»Es muß Ihnen albern erscheinen, nach allem, was Sie von mir kennen«, sagte Kate Hegström hinter ihm.

»Nein, gar nicht. Gar nicht, Kate.«

Joan Madou kam um vier Uhr nachts. Ravic erwachte, als er die Tür hörte. Er hatte geschlafen und nicht auf sie gewartet. Er sah sie in der Türöffnung stehen. Sie versuchte, einen Armvoll riesiger Chrysanthemen hindurchzuzwängen. Er sah ihr Gesicht nicht. Er sah nur ihre Gestalt und die großen, hellen Dolden der Blumen. »Was ist denn das?« sagte er. »Ein Wald von Chrysanthemen. Was um Himmels willen soll das bedeuten?«

Joan brachte die Blumen durch die Tür und warf sie mit einem Schwung auf das Bett. Die Blüten waren feucht und kühl, und die Blätter rochen stark nach Herbst und Erde. »Geschenke«, sagte sie. »Seit ich dich kenne, fange ich an, Geschenke zu bekommen.«

»Nimm sie weg. Ich bin noch nicht tot. Unter Blumen zu liegen — Chrysanthemen noch dazu —, das gute alte Bett des Hotels International sieht ja aus wie ein Sarg.«

»Nein!« Joan raffte mit einer heftigen Bewegung die Blumen zusammen und warf sie auf den Boden. »Sprich nicht so! Nie!« Ravic sah sie an. Er hatte vergessen gehabt, wie sie sich kennengelernt hatten. »Vergiß es!« sagte er. »Ich habe mir nichts dabei gedacht.«

»Sprich nie wieder so. Auch nicht im Scherz. Versprich es mir.«

Ihre Lippen zitterten. »Aber Joan...«, sagte er. »Erschreckt es dich wirklich so?«

»Ja. Es ist mehr als Erschrecken. Ich weiß nicht, was.«

Ravic stand auf. »Ich werde nie wieder Witze darüber machen. Bist du nun zufrieden?«

Sie nickte an seiner Schulter. »Ich weiß nicht, was es ist. Ich kann es einfach nicht ertragen. Es ist, als ob eine Hand aus dem Dunkeln nach mir greife. Es ist Angst — besinnungslose Angst, als warte es irgendwo auf mich.« Sie schmiegte sich an ihn. »Laß es nicht zu.«

Ravic hielt sie fest in seinem Arm. »Nein — ich lasse es nicht zu.«

Sie nickte wieder. »Du kannst es doch...«

»Ja«, sagte er mit einer Stimme voll Trauer und Hohn und dachte an Kate Hegström. »Ich kann es, natürlich kann ich es...«

Sie rührte sich in seinem Arm. »Ich war gestern hier...«

Ravic regte sich nicht. »Warst du?«

»Ja.«

Er schwieg. Wie da etwas verwehte! Wie kindisch er gewesen war! Warten oder Nichtwarten — wozu das alles? Ein törichtes Spiel mit jemand, der nicht spielte.

»Du warst nicht da...«

»Nein.«

»Ich weiß, ich sollte dich nicht fragen, wo du warst...«

»Nein.«

Sie löste sich von ihm. »Ich möchte baden«, sagte sie mit veränderter Stimme. »Ich bin kalt. Kann ich das noch? Oder weckt das das Hotel auf?«

Ravic lächelte. »Frag nicht nach den Konsequenzen, wenn du etwas tun willst. Sonst tust du es nie.«

Sie sah ihn an. »In kleinen Dingen soll man schon fragen. In großen nie.«

»Auch richtig.«

Sie ging ins Badezimmer und ließ das Wasser ein. Ravic setzte sich ans Fenster und zog eine Schachtel Zigaretten hervor. Über den Dächern draußen stand der rötliche Widerschein der Stadt, in dem lautlos der Schnee wirbelte. Ein Taxi kläffte durch die Straßen. Die Chrysanthemen schimmerten bleich auf dem Fußboden. Auf dem Sofa lag eine Zeitung. Er hatte sie abends mitgebracht. — Kämpfe an der tschechischen Grenze, Kämpfe in China, ein Ultimatum, ein gestürztes Kabinett. Er nahm die Zeitung und schob sie unter die Blumen.

Joan kam aus dem Badezimmer. Sie war warm und hockte sich auf den Boden neben ihn, zwischen die Blumen. »Wo warst du gestern nacht?« fragte sie.

Er reichte ihr eine Zigarette herüber. »Willst du es wirklich wissen?«

»Ja.«

Er zögerte. »Ich war hier«, sagte er dann, »und wartete auf dich. Ich glaubte, du würdest nicht mehr kommen, und da bin ich fortgegangen.«

Joan wartete. Ihre Zigarette glühte in der Dunkelheit auf und erlosch wieder.

»Das ist alles«, sagte Ravic.

»Bist du trinken gegangen?«

»Ja...«

Joan drehte sich um und sah ihn an. »Ravic«, sagte sie, »bist du wirklich deswegen fortgegangen?«

»Ja.«

Sie legte die Arme auf seine Knie. Er fühlte ihre Wärme durch seinen Mantel. Es war ihre Wärme und die Wärme des Mantels, der ihm bekannter war, als manche Jahre seines Lebens, und es erschien ihm plötzlich, als gehörten beide schon lange zusammen und als wäre Joan von irgendwoher aus seinem Leben zurückgekehrt.

»Ravic, ich bin doch jeden Abend zu dir gekommen. Du mußtest doch wissen, daß ich gestern auch kommen würde. Bist du nicht fortgegangen, weil du mich nicht sehen wolltest?«

»Nein.«

»Du kannst es mir ruhig sagen, wenn du mich nicht sehen willst.«

»Ich würde es dir sagen.«

»War es nicht das?«

»Nein, es war wirklich nicht das.«

»Dann bin ich glücklich.«

Ravic sah sie an. »Was sagst du da?«

»Ich bin glücklich«, wiederholte sie.

Er schwieg eine Weile. »Weißt du auch, was du sagst?« fragte er dann.

»Ja.«

Der matte Lichtschein von draußen spiegelte sich in ihren Augen. »Man soll so etwas nicht leichtfertig sagen, Joan.«

»Ich sage es auch nicht leichtfertig.«

»Glück«, sagte Ravic. »Wo fängt es an, und wo hört es auf?«

Sein Fuß stieß an die Chrysanthemen. Glück, dachte er. Die blauen Horizonte der Jugend. Die goldhelle Balance des Lebens, Glück! Mein Gott, wo war das geblieben?

»Es fängt mit dir an und hört mit dir auf«, sagte Joan. »Das ist doch ganz einfach.«

Ravic erwiderte nichts. Was redete sie da, dachte er. »Du wirst mir gleich noch sagen, daß du mich liebst«, sagte er dann.

»Ich liebe dich.«

Er machte eine Bewegung. »Du kennst mich doch kaum.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Viel. Lieben — das ist jemand, mit dem man alt werden will.«

»Davon weiß ich nichts. Es ist jemand, ohne den man nicht leben kann. Das weiß ich.«

»Wo ist der Calvados?«

»Auf dem Tisch. Ich hole ihn dir. Bleib sitzen.«

Sie brachte die Flasche und ein Glas und stellte sie auf den Boden zwischen die Blumen. »Ich weiß, daß du mich nicht liebst«, sagte sie.

»Dann weißt du mehr als ich.«

Sie sah rasch auf. »Du wirst mich lieben.«

»Gut. Darauf wollen wir trinken.«

»Warte.« Sie füllte das Glas und trank es aus. Dann goß sie es wieder voll und reichte es ihm. Er nahm es und hielt es einen Augenblick. Dies alles ist nicht wahr, dachte er.

Ein halber Traum in der verwelkenden Nacht. Worte, im Dunkeln gesprochen — wie können sie schon wahr sein? Wirkliche Worte brauchen viel Licht. »Woher weißt du das alles so genau?« fragte er.

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