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»Ja.«

»Sehr?«

»Ja...«

»Das wird gleich vorbei sein...«

Die Spritze war fertig. Er sah Joans Augen. »Nichts. Nur etwas gegen die Schmerzen. Sie werden gleich aufhören.«

Er setzte die Spritze an und zog sie heraus. »Schon fertig.« Er drehte sich nach dem Mann um. »Telefonieren Sie Passy 27 41. Bestellen Sie eine Ambulanz mit zwei Trägern. Sofort.«

»Was ist es?« fragte Joan mühsam.

»Passy 27 41«, sagte Ravic. »Sofort! Eilig! Los! Nehmen Sie das Telefon!«

»Was ist es — Ravic?«

»Nichts Gefährliches. Aber wir können das hier nicht nachsehen. Du mußt in ein Krankenhaus.«

Sie sah ihn an. Ihr Gesicht war verschmiert, das Mascara war von den Wimpern getropft, und das Rouge des Mundes war an einer Seite heraufgewischt. Die eine Seite des Gesichts sah aus wie die eines billigen Zirkusclowns, die andere, mit dem Schwarz, das unter das Auge geschmiert war, wie das einer müden, verbrauchten Hure. Darüber leuchtete das Haar.

»Ich will nicht operiert werden«, flüsterte sie.

»Wir werden das sehen. Vielleicht brauchen wir es nicht.«

»Ist es ...?« Sie verstummte.

»Nein«, sagte Ravic. »Harmlos. Wir haben nur alle Instrumente drüben.«

»Instrumente...«

»Zum Untersuchen. Ich werde jetzt... es tut nicht weh...«

Die Spritze tat ihre Wirkung. Die Augen verloren ihre angstvolle Härte, als Ravic vorsichtig untersuchte. Der Mann kam zurück. »Die Ambulanz kommt.«

»Rufen Sie Auteuil 13 57 an. Es ist eine Klinik. Ich will sprechen.«

Der Mann verschwand gehorsam. »Du wirst mir helfen«, flüsterte Joan.

»Natürlich.«

»Ich will keine Schmerzen haben.«

»Du wirst keine haben.«

»Ich kann es nicht... ich kann keine Schmerzen...«, sie wurde schläfrig. Ihre Stimme rutschte ab. »Ich kann es einfach nicht...«

Ravic sah die Einschußstelle. Es waren keine großen Gefäße verletzt. Er sah keine Ausschußstelle. Er sagte nichts. Er legte einen Kompressionsverband an. Er sagte nicht, was er fürchtete. »Wer hat dich aufs Bett gelegt?« fragte er. »Bist du selbst...«

»Er...«

»Hast du... konntest du gehen?«

Die Augen kamen erschrocken zurück aus schlierigen Seen. »Was... ist es... Ich... nein; ich konnte meinen Fuß nicht bewegen. Mein Bein... was ist es, Ravic?«

»Nichts. Ich dachte es mir. Es wird wieder in Ordnung kommen.«

Der Mann erschien. »Die Klinik...«

Ravic ging rasch zum Telefon. »Wer ist da? Eugenie? Ein Zimmer — ja — und rufen Sie Veber an.« Er sah nach dem Schlafzimmer hinüber. Leise: »Machen Sie alles fertig. Wir müssen sofort arbeiten. Ich habe eine Ambulanz bestellt. Ein Unfall — ja — ja — richtig — ja — in zehn Minuten...«

Er legte den Hörer auf. Er blieb eine Weile stehen. Der Tisch. Eine Flasche Crème de Menthe, ekelhaftes Zeug, Gläser, Rosenblattzigaretten, scheußlich, ein schlechter Film, ein Revolver auf dem Teppich, Blut auch hier, alles nicht wahr, warum denke ich das bloß, es ist wahr — und jetzt wußte er auch, wer der Mann war, der ihn geholt hatte. Der Anzug mit den zu geraden Schultern, das glattgebürstete, pomadisierte Haar, dieser leichte Geruch nach Chevalier d’Orsay, der ihn unterwegs irritiert hatte, die Ringe an den Händen — es war der Schauspieler, über dessen Drohungen er so gelacht hatte. Gut gezielt, dachte er. Überhaupt nicht gezielt, dachte er. Solche Schüsse konnte man nicht zielen. So präzise konnte man nur treffen, wenn man keine Ahnung hatte und nicht treffen wollte.

Er ging zurück. Der Mann kniete neben dem Bett. Kniete, natürlich. Anders ging es ja nicht; redete, klagte, redete, die Silben rollten... »Stehen Sie auf«, sagte Ravic.

Der Mann erhob sich gehorsam. Abwesend bürstete er die Knie seiner Hose vom Staub ab. Ravic sah sein Gesicht. Tränen! Auch das noch! »Ich wollte es nicht, mein Herr! Ich schwöre es Ihnen, ich wollte sie nicht treffen; ich wollte es nicht, ein Zufall, ein blinder, unglücklicher Zufall!«

Ravic würgte der Magen. Blinder Zufall! Gleich würde er in Jamben reden. »Das weiß ich. Gehen Sie jetzt hinunter, und warten Sie auf die Ambulanz.«

Der Mann wollte etwas sagen. »Gehen Sie!« sagte Ravic. »Halten Sie den verdammten Fahrstuhl bereit. Gott weiß, wie wir die Bahre hinunterbringen werden.«

»Du wirst mir helfen, Ravic«, sagte Joan schläfrig.

»Ja«, sagte er ohne jede Hoffnung.

»Du bist da. Ich bin immer ruhig, wenn du da bist.«

Das verschmierte Gesicht lächelte. Der Clown grinste, die Hure lächelte mühsam.

»Bebée, ich wollte nicht...«, sagte der Mann von der Tür.

»’raus«, sagte Ravic. »Verdammt, so gehen Sie doch!«

Joan lag eine Weile still. Dann öffnete sie die Augen. »Er ist ein Idiot«, sagte sie überraschend klar. »Natürlich wollte er es nicht — das arme Lamm —, wollte nur großtun.« Ein sonderbarer, fast verschmitzter Ausdruck kam in ihre Augen. »Ich habe es auch nie geglaubt — habe ihn... geärgert damit...«

»Du mußt nicht sprechen.«

»Geärgert.« Die Augen schlossen sich zu einem Spalt. »Das bin ich nun, Ravic... mein Leben... wollte nicht treffen... trifft... und...«

Die Augen schlossen sich ganz. Das Lächeln erlosch. Ravic horchte nach der Tür.

»Wir können die Bahre nicht in den Aufzug ’reinbringen. Er ist zu schmal. Höchstens halb stehend.«

»Können Sie sie um die Treppenaufsätze herumbringen?«

Der Träger ging hinaus. »Vielleicht. Wir müssen sie hoch anheben. Besser, wir schnallen sie fest.«

Sie schnallten sie fest. Joan schlief halb. Manchmal stöhnte sie. Die Träger verließen die Wohnung.

»Haben Sie einen Schlüssel?« fragte Ravic den Schauspieler.

»Ich... nein... warum?«

»Um die Wohnung abzuschließen.«

»Nein. Aber da ist ein Schlüssel irgendwo.«

»Suchen Sie ihn und schließen Sie ab.« Die Träger arbeiteten am ersten Treppenaufsatz. »Nehmen Sie den Revolver mit heraus. Sie können ihn draußen wegwerfen.«

»Ich... ich werde... mich der Polizei stellen. Ist sie gefährlich verletzt?«

»Ja.«

Der Mann begann zu schwitzen. Das Wasser drang so plötzlich durch seine Poren, als wäre unter seiner Haut nichts anderes.

Er ging in die Wohnung zurück.

Ravic folgte den Trägern mit der Bahre. Das Haus hatte eine elektrische Beleuchtung, die nur drei Minuten anhielt und dann erlosch. Auf jeder Etage befand sich ein Knopf, um sie wieder in Betrieb zu setzen. Die Träger kamen die halben Treppen ziemlich gut hinunter. Die Drehungen waren schwierig. Sie mußten die Bahre hoch über die Köpfe und über das Geländer heben, um herumzukommen. Die Schatten schwankten riesig an den Wänden. Wann war das nur so gewesen? Irgendwo war das schon einmal so gewesen — dachte Ravic verstört. Dann fiel es ihm ein. Mit Raczinsky, damals im Anfang.

Türen öffneten sich, während die Träger sich zuriefen und die Bahre Stücke Mörtel aus den Wänden riß. Neugierige Gesichter erschienen in den Spalten, Pyjamas, zerzauste Haare, aufgequollene Schlafgesichter, Schlafröcke, purpurn, giftgrün, mit tropischen Blumen...

Das Licht erlosch wieder. Die Träger knurrten in der Dunkelheit und hielten inne. »Licht!«

Ravic suchte nach dem Knopf. Er faßte in eine Brust, roch einen faulen Atem, etwas strich um seine Beine. Das Licht flammte wieder auf. Eine Frau mit gelben Haaren starrte ihn an. Ihr Gesicht hing in fettigen Falten, Cold-cream glänzte, und mit der Hand hielt sie einen Crêpe-de-Chine-Morgenrock mit tausend koketten Rüschen zusammen. Sie sah aus wie eine fettige Bulldogge in einem Spitzenbett. »Tot?« fragte sie mit glitzernden Augen.

»Nein.« Ravic ging weiter. Etwas quietschte, fauchte. Eine Katze sprang zurück. »Fifi!« Die Frau bückte sich, die schweren Knie weit gespreizt. »Mein Gott, Fifi, hat man dich getreten?«

Ravic ging die Treppen hinunter. Unter ihm schwankte die Bahre. Er sah Joans Kopf, der sich mit den Bewegungen der Träger bewegte. Er konnte ihre Augen nicht sehen.

Der letzte Absatz. Das Licht erlosch wieder. Ravic lief die letzte Treppe wieder hinauf, den Knopf zu finden. In diesem Augenblick surrte der Aufzug, und hell erleuchtet in der Dunkelheit, als käme er vom Himmel, surrte der Fahrstuhl hernieder. In dem offenen, vergoldeten Drahtkorb stand der Schauspieler. Er glitt lautlos, unaufhaltsam hernieder, vorbei an Ravic, vorbei an der Bahre, wie eine Erscheinung. Er hatte den Fahrstuhl oben gefunden und ihn benutzt, um schneller nachzukommen. Es war vernünftig, aber es wirkte geisterhaft und entsetzlich lächerlich.

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