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»Eigentlich ist es überraschend, dass wir heute keine Dampfwagen mehr fahren«, sagte Austin.

»Die Stanley-Brüder wollten ihre Wagen nicht in Massenproduktion herstellen. Henry Ford produzierte an einem Tag so viele Fahrzeuge wie sie in einem Jahr. 1912 stellte Cadillac dann den elektrischen Starter vor. Diese Wagen stehen alle unter Dampf, um Zeit zu sparen. Wenn die Stanley-Brüder etwas erfunden hätten, damit ihre Wagen schneller starten, und ihre Produktion und ihr Marketing verbessert hätten, dann würde heute niemand von uns das fahren, was die Stanleys als ›Vehikel mit Explosionsmotor‹ bezeichneten. Aber entschuldigen Sie, dass ich ein wenig vom Thema abgekommen bin.«

»Es braucht Ihnen nicht leid zu tun«, sagte Karla. »Es war höchst interessant.«

Reilly errötete. »Alle anderen Wagenbesitzer sind rüber­gegangen, um sich das Schlachtspektakel anzusehen. Ich halte ein wachsames Auge auf das hier. Wenn die Schlacht vorüber ist, führen wir eine Parade um das ganze Schlachtfeld an.«

Austin bedankte sich bei Reilly und ging dann mit Karla zum Schlachtfeld. Dem Krachen der Musketen und der Artillerie nach zu urteilen, hatte der Kampf bereits begonnen. Während sie über das weite Feld gingen, konnten sie die Zuschauermassen sehen, die verfolgten, wie Schützenlinien in Grau und in Blau gegeneinander vorrückten. Das Knallen der Musketen klang aus der Ferne wie das Explodieren von Knallfröschen, und der Geruch von Schießpulver wehte ihnen entgegen.

Etwa zwei Dutzend andere Nachzügler waren unterwegs zum Schlachtspektakel. Austin hielt Karla einen kleinen Vortrag zur Geschichte der Schlachten von Bull Run, als er, aus den Augenwinkeln, jemanden quer zum Strom der Fußgänger über das Feld gehen sah. Der Mann kreuzte in etwa zwanzig Metern Entfernung ihren voraussichtlichen Weg, blieb stehen und drehte sich zu ihnen um. Es war Doyle, Gants Handlanger.

Doyle war nahe genug, so dass der entschlossene Ausdruck auf seinem harten Gesicht deutlich zu erkennen war.

Er starrte sie für einen kurzen Moment an, dann griff er in seine Jacke. Austin sah, wie die Sonne von einem Stück Metall in seiner Hand reflektiert wurde. Er ergriff Karlas Arm und machte auf der Stelle mit ihr kehrt.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie.

Austins Antwort ging in einem dumpfen Dröhnen unter. Sechs Harley-Davidsons pflügten über das Feld in ihre Richtung. Drei Biker in Konföderiertenuniformen näherten sich von links, und drei in Unionsblau kamen von rechts.

Austin trieb Karla zur Eile an. Sie sprinteten über das Feld, während die Biker sich in einem klassischen Zangenmanöver in ihre Richtung bewegten, jedoch schlingernd zum Stehen kamen, ehe sie die Zange schlossen. Ein Streifenwagen mit rotierendem Blaulicht raste über das Feld. Der Wagen schoss an Karla und Austin vorbei und stoppte. Der Polizist sprang aus dem Wagen und winkte aufgeregt.

Er griff nach seinem Strafzettelblock, als ein Motorradfahrer in Blau eine Schrotflinte unter seinem Uniformrock hervorzog und zielte. Der Knall der Schrotflinte mischte sich mit dem Knattern der Musketen. Ins Bein getroffen, stürzte der Polizist zu Boden. Ohne sich umzudrehen, vereinigten die Biker sich wieder zu einer Reihe und setzten die Verfolgung fort.

Reilly polierte gerade an seiner Limousine herum, als er das dumpfe Blubbern der Motorräder hörte. Er blickte auf und sah Austin und Karla auf sich zurennen. Sein Lächeln verwandelte sich in einen Ausdruck der Verwunderung und steigerte sich zu Entsetzen, als er die vom Jagdfieber gepackten Motorradfahrer sah.

Austin näherte sich den Dampfwagen und wies Karla an, in den schwarzen Wagen mit dem sargähnlichen Vorbau zu steigen. Er rutschte hinter das Lenkrad. Reilly kam zum Wagen gerannt.

»Was haben Sie vor?«

»Rufen Sie die Polizei!«, brüllte Austin.

Reilly sah ihn verständnislos an. »Weshalb?«

»Um einen Autodiebstahl zu melden«, antwortete Austin.

Austin hörte das Röhren der Motorräder. Die Biker hatten sie beinahe eingeholt. Er löste die Handbremse und schraubte die Verriegelung des Fahrthebels an der Lenksäule ab. Dann schob er den Antriebshebel nach vorne. Dampf strömte in den Motor.

Die Biker waren nur noch wenige Schritte entfernt, als der Wagen mit einem Minimum an Lärm fließend beschleunigte. Austin riss das Lenkrad herum. Der Stanley verfehlte nur knapp den nächsten Wagen in der Reihe.

Austin rammte den Fuß auf die Bremse und kurbelte ein zweites Mal am Lenkrad, diesmal um eine Kollision mit einer Familie mit zwei Kindern zu vermeiden, die soeben die Straße überquerten. Austin lenkte den Wagen ins Feld. Doyle versuchte, ihnen den Fluchtweg abzuschneiden. Er stand direkt auf ihrem Weg, hielt seine Pistole mit beiden Händen wie auf einem Schießstand und zielte auf sie.

Austin rief Karla zu, sie solle sich ducken. Sich mit dem Kopf so tief wie möglich hinter das Lenkrad duckend, lenkte Austin den Wagen genau auf Doyle zu, der zur Seite sprang, um von dem Dampfwagen nicht erwischt zu werden. Er versuchte, einen Schuss abzufeuern. Der Kotflügel des Wagens streifte sein Knie, und der Schuss ging in den Himmel.

Der Dampfwagen schaukelte über das Feld. Austin erinnerte sich daran, dass man mit einem Dampfwagen stets nur langsam beschleunigen durfte, um den Dampfdruck hoch zu halten. Er musste seine gesamte Konzentration aufwenden, um mit den Ventilen und den Anzeigeinstrumenten für ein halbes Dutzend verschiedener Funktionen zurechtzukommen.

Er schaute in den Rückspiegel. Die Motorräder befanden sich etwa dreißig Meter hinter dem Wagen und kamen schnell näher. Sie waren aufgefächert zu einem Manöver, das den Wagen zwischen zwei Reihen Motorrädern einschließen würde. Währenddessen rasten der Wagen und seine zweiräderigen Verfolger auf die Zuschauermenge zu, die die militärische Demonstration verfolgte.

Austin stützte sich auf die Hupe. Ein paar Leute blickten in seine Richtung, doch das Blöken der Hupe wurde vom Musketen- und Kanonenfeuer verschluckt. Er bremste den Stanley ab und betätigte abermals die Hupe. Endlich bemerkte ihn jemand. Die Menge begann auseinanderzuweichen. Mittler­weile steuerten die Biker von beiden Seiten auf den Stanley zu.

Der Dampfwagen und seine Motorradeskorte jagten zwischen den Unions- und den konföderierten Truppen, die einander in langen Reihen gegenüberstanden, über das mit Rauchschwaden verhüllte freie Feld. Die Musketen und die Kanonen verstummten. Austin hörte ein Geräusch, das er nicht erwartet hatte: Applaus.

»Warum klatschen diese Idioten?«, fragte Karla.

»Sie denken anscheinend, dass dies zu dem Schlacht-Spektakel gehört.« Austin stieß einen markerschütternden Schrei aus, während sie zwischen den gegnerischen Armeen hindurchfuhren.

Karlas Gesicht zeigte namenloses Erschrecken. »Sind Sie noch bei Trost?«

Austin grinste sie an. »Na klar doch. Ich habe mir schon immer gewünscht, einmal einen Rebellenschrei ausstoßen zu können. Halten Sie sich fest.«

Sie hatten das Schlachtfeld hinter sich und steuerten jetzt auf eine Reihe Kanonen zu. Austin bremste, damit er zur Seite ausweichen konnte, ohne sich zu überschlagen. Die Motorradfahrer behielten ihr Tempo bei und nutzten diese Möglichkeit aufzurücken. Die beiden führenden Biker waren nur wenige Schritte vom linken und rechten Kotflügel des Dampfwagens entfernt.

Karla blickte zu dem Motorradcowboy auf der rechten Seite und rief: »Er hat eine Schrotflinte!«

Der Biker lenkte seine Maschine mit einer Hand und zielte mit der Flinte in der anderen Hand auf Karlas Kopf. Austin dachte gar nicht nach. Er reagierte einfach. Er riss das Lenkrad einmal zur Seite und sofort wieder zurück.

Die schwere Stoßstange zerquetschte das rechte Bein des Bikers. Das Motorrad begann zu schwanken und zu schlingern, als kämpfte es um sein Gleichgewicht. Dann bockte es und bäumte sich auf, wobei es den Biker abwarf wie ein wütender Stier. Austin versuchte, auch das andere Motorrad auszuschalten, aber dessen Fahrer hatte mitverfolgen können, was mit seinem Gefährten geschehen war, und zog sich außer Reichweite zurück.

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