»Tut mir leid«, sagte Austin, »aber ich habe keinen Apache-Hubschrauber in die Taschen gekriegt.«
Zavala schüttelte den Kopf. »Wir sollten lieber unsere restliche Ausrüstung auspacken.«
Ihr übriges Gepäck war bereits in einer Kabine deponiert worden. Austin holte ein Halfter aus seinem Seesack, überprüfte das Magazin seines Bowen-Revolvers und verstaute Reservemunition in einer Gürteltasche. Für diese Mission hatte Zavala sich für eine .45er Heckler & Koch entschieden, die für die Spezialkräfte der Armee entwickelt worden war. Außerdem hatten sie ein GPS, einen Kompass, Walkie-Talkies, einen Erste-Hilfe-Kasten und andere Notfallhilfen bei sich. Sie trugen aufblasbare Schwimmgürtel anstatt sperriger Schwimmwesten und schlüpften in wasserdichte Überzieher mit Wollfutter.
Ein Matrose klopfte an die Tür und überbrachte die Einladung des Kapitäns, ihn auf der Kommandobrücke zu besuchen. Als sie das Steuerhaus betraten, deutete Ivanov auf einen Radarschirm und machte sie auf ein länglich geformtes Radarzeichen aufmerksam.
»Das ist Ivory Island. Wir sind etwa zehn Kilometer von der Insel entfernt. Wie nahe wollen Sie heran?«
Leichter Dunst stieg vom grünen Wasser auf, in dem zahlreiche weiße Eisschollen trieben. Der Himmel war bedeckt. Die Sichtweite betrug weniger als anderthalb Kilometer. »Jemand soll sich ein Fernglas nehmen und Ausschau halten«, entschied Austin. »Sobald er die Insel sieht, gehen Sie vor Anker.«
Der Kapitän breitete eine Landkarte aus. »Der Haupthafen befindet sich auf der Südseite der Insel. Es gibt aber überall kleine Buchten und Meeresarme.«
Nachdem er sich mit Zavala beraten hatte, entschied Austin, dass sie sich zuerst das Basislager der Expedition ansehen und dann dem Fluss landeinwärts folgen sollten.
»Wir haben genug Treibstoff für gut zwei Stunden Flug bei uns, daher sollten wir so gezielt wie möglich suchen«, sagte Austin.
Sie gingen ihre Pläne noch einmal durch und hatten ihren Kriegsrat soeben beendet, als der Beobachter meldete, dass er die Insel sehen könne.
»Joe und ich können Ihnen für Ihre Hilfe gar nicht genug danken«, sagte Austin zum Kapitän.
»Gern geschehen«, erwiderte Ivanov. »Ms. Janos erinnert mich an meine Tochter. Bitte, tun Sie, was in Ihren Kräften steht, um ihr zu helfen.«
Auf Austins Bitte hin wurde das Schiff mit dem Heck in den Wind gedreht, und ein Teil des Decks wurde für den Start leer geräumt. Zu seiner Freude stellte Austin fest, dass der Wind mit nicht mehr als zwanzig Stundenkilometern wehte. Ein stärkerer Wind hätte sie vielleicht zurückgeschoben. Er wusste auch, dass die Windgeschwindigkeit in den oberen Luftschichten höher war.
Zuerst übten sie den Start ohne das Baldachinsegel. Der Trick bei einem Tandemstart bestand darin, die Beinbewegungen genau zu koordinieren und sich ganz sanft in die Luft zu erheben.
»Das war nicht schlecht«, stellte Austin nach einem ersten unbeholfenen Versuch fest.
Zavala warf einen Blick zu den Matrosen hinüber, die ihre Übungsläufe mit einer Mischung aus Belustigung und Entsetzen verfolgt hatten. »Ich wette, unsere russischen Freunde haben noch nie eine vierbeinige Ente gesehen.«
»Das nächste Mal sind wir besser.«
Austins Selbstvertrauen war völlig fehl am Platze. Sie stolperten regelrecht zum Start, doch die nächsten beiden Übungsläufe waren nahezu perfekt. Sie setzten ihre Schutzbrillen auf, breiteten den Baldachin auf dem Deck aus, spannten die Leinen und verbanden sie mit dem Rucksackgestell. Austin betätigte den Starterknopf, und der Motor begann leise zu summen. Der Luftdruck des Propellers füllte den Baldachin, so dass er vom Deck aufstieg. Austin drückte den Handgriff, um Gas zu geben, und sie begannen ihren schwerfälligen, vierbeinigen Anlauf zum Heck und in den Wind. Das fast dreißig Quadratmeter große Segel wurde vom Wind erfasst und riss sie hoch in die Luft.
Austin erhöhte die Drehzahl des Propellers, und sie begannen zu steigen. Der Paraglider schaffte im Steigflug bis zu hundert Meter pro Sekunde, jedoch war seine Steigrate im Augenblick erheblich geringer, weil sie ihn im Tandembetrieb flogen. Trotzdem hatten sie schnell eine Höhe von knapp zweihundert Metern erreicht. Austin zog an der linken Leine, wodurch die Flügelspitze leicht abknickte und der Paraglider in eine weite Linkskurve ging. Mit gut vierzig Stundenkilometern steuerten sie auf die Insel zu.
Während das Land näher kam, zog Austin beide Segelspitzen nach unten, und der Paraglider ging in einen lang gestreckten Sinkflug über. Sie kamen über die rechte Sandbank herein, die den Hafen umschloss, und beschrieben eine halbe Kehre, die sie den verlassenen Strand in Richtung des Flusses überqueren ließ, den sie auf der Karte gesehen hatten. Austin entdeckte in der Nähe des Flusses ein Objekt, doch die Nebelschwaden, die den Paraglider umhüllten, machten es schwierig, Details zu erkennen.
Zavala deutete nach unten. »Da liegt ein Körper!«
Austin brachte den Paraglider tiefer herunter. Der Körper lag in einem kleinen aufblasbaren Floß, das an den Strand und ein Stück vom Fluss weg gezogen worden war. Er sah, dass die Gestalt langes graues Haar hatte. Er lenkte den Flugapparat in den Wind, schaltete den Motor aus und zog an beiden Bremsleinen.
Das Segel sollte eigentlich wie ein Fallschirm funktionieren und aufrechte Landungen ermöglichen. Aber sie kamen zu schnell und zu steil herunter. Ihre Knie gaben nach, und sie bohrten synchron ihre Nasen in den Sand, doch wenigstens waren sie unten.
Sie klappten das Segel zusammen, lösten sich aus dem Rucksackgestell und näherten sich dem Körper der Frau, der zusammengerollt in dem Floß lag. Austin ging neben dem Floß in die Knie und fühlte nach dem Puls der Frau. Er war schwach, aber sie war am Leben. Er und Zavala drehten sie behutsam auf den Rücken. Blutflecken waren auf ihrer Jacke an der linken Schulter zu sehen. Austin holte den Erste-Hilfe-Kasten aus seinem Gepäck, und Zavala öffnete die Jacke, damit sie sich die Wunde ansehen konnten. Die Frau stöhnte und schlug die Augen auf. Sie flackerten vor Angst, als sie die beiden Fremden vor sich sah.
»Es ist alles in Ordnung«, beruhigte Zavala sie mit seiner sanften Stimme. »Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.«
Austin setzte seine Feldflasche an ihre Lippen und gab ihr zu trinken.
»Mein Name ist Kurt, und das ist mein Freund Joe«, sagte Austin, als ein wenig Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte.
»Können Sie uns verraten, wie Sie heißen?«
»Maria Arbatov«, antwortete sie mit matter Stimme. »Mein Mann …« Ihre Stimme versiegte.
»Gehören Sie zu der Expedition, Maria?«
»Ja.«
»Wo sind die anderen?«
»Tot. Alle tot.«
Austin hatte das Gefühl, als ob jemand ihm in den Bauch getreten hätte. »Was ist mit der jungen Frau? Karla Janos?«
»Ich weiß nicht, was mit ihr geschehen ist. Sie haben sie mitgenommen.«
»Dieselben Leute, die auf Sie geschossen haben?«
»Ja. Elfenbeinjäger. Sie haben meinen Mann, Sergei, getötet, und die beiden Japaner.«
»Wo ist das passiert?«
»Im alten Flussbett. Ich bin zum Lagerplatz zurückgekrochen und habe das Floß in den Fluss geschoben.« Ihre Augen flackerten, und sie wurde ohnmächtig.
Sie untersuchten die Schulter genauer. Die Wunde war nicht tödlich, aber Maria hatte eine Menge Blut verloren. Zavala säuberte und verband die Wunde. Austin rief währenddessen die Kotelny über sein Sprechfunkgerät.
»Wir haben eine verletzte Frau am Strand gefunden«, meldete er dem Kapitän.
»Miss Janos?«
»Nein. Maria Arbatov, eine der Wissenschaftlerinnen der Expedition. Sie braucht medizinische Hilfe.«
»Ich schicke sofort ein Boot mit meinem Arzt zu Ihnen rüber.«
Austin und Zavala machten es Maria Arbatov so bequem wie möglich. Das Boot traf mit dem Arzt und zwei Matrosen ein. Sie luden die Frau vorsichtig an Bord und kehrten zum Eisbrecher zurück.