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Sie griff in die Dunkelheit und fand seine große Hand.

»Vielen Dank, Onkel Karl. Du bist ein richtiger Schutzengel.«

»Ich habe deinem Großvater versprochen, dass ich auf dich aufpassen würde.«

Karla saß in der Dunkelheit und dachte an das erste Mal, als sie Schroeder begegnet war. Sie war ein junges Mädchen gewesen und lebte im Haus ihres Großvaters, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Eines Tages erschien er mit einem Arm voller Geschenke. Er kam ihr damals riesengroß und stark vor, mehr wie ein wandelnder Baum als wie ein Mensch. Trotz der Kraft, die er ausstrahlte, schien er fast schüchtern zu sein, aber ihr kindliches Auge hatte auf Anhieb etwas Gütiges, Entgegenkommendes in seinem Verhalten entdeckt, und sie freundete sich schnell mit ihm an.

Das letzte Mal hatte sie ihn anlässlich der Beerdigung ihres Großvaters gesehen. Er vergaß niemals ihren Geburtstag und schickte ihr jedes Jahr eine Glückwunschkarte mit Geld in einem Briefumschlag, bis sie das College beendete. Sie hatte keine Ahnung von der Verbindung zwischen Schroeder und ihrer Familie, aber sie wusste, weil sie die Geschichte mehrmals gehört hatte, dass ihr Großvater ihre Eltern nach ihrer Geburt gedrängt hatte, sie nach dem geheimnisvollen Onkel zu benennen.

»Ich habe keine Ahnung, wie du mich an diesem abgelegenen Ort finden konntest«, sagte Karla.

»Das war nicht schwierig. Die Universität verriet mir, wo du bist. Hierherzugelangen war der schwierige Teil. Ich habe ein Fischerboot gemietet, das mich herbrachte. Als ich in eurem Lager niemanden antraf, folgte ich eurer Spur. Wenn du das nächste Mal eine Expedition unternimmst, dann bitte nicht ganz so weit weg. Ich werde allmählich zu alt für solche Abenteuer.« Er spitzte die Ohren. »Pssst.«

Sie saßen stumm in der Dunkelheit und lauschten. Sie hörten gedämpfte Stimmen und das Scharren von Schuhsohlen auf Fels und Geröll am Höhleneingang. Dann wurde die Dunkelheit durch gelbliches Licht aufgehellt, als die Büsche, die den Eingang versperrten, beiseite geräumt wurden.

»Hey da drin!«, rief eine männliche Stimme auf Russisch.

Schroeder drückte Karlas Hand als Aufforderung, still zu sein. Es war eine unnötige Geste, denn sie war starr vor Angst.

»Wir wissen, dass ihr da drin seid«, sagte die Stimme.

»Wir können genau sehen, wo jemand die Büsche abgeschnitten hat. Es ist nicht sehr höflich, nicht zu antworten, wenn man angesprochen wird.«

Schroeder kroch ein paar Schritte vorwärts, bis er den Höhleneingang sehen konnte.

»Es ist genauso wenig höflich, unschuldige Menschen zu töten.«

»Du hast einen meiner Männer umgebracht. Mein Freund war unschuldig.«

»Dein Freund war dumm und hat den Tod verdient«, sagte Schroeder.

Heiseres Gelächter belohnte seine Antwort.

»Hey, harter Kerl, ich heiße Grisha. Wer zum Teufel bist du?«

»Ich bin dein schlimmster Alptraum.«

»Ich habe mal einen amerikanischen Film gesehen, in dem jemand das gesagt hat«, erwiderte die Stimme. »Du bist ein alter Mann. Was willst du mit einer jungen Frau? Ich schlage dir ein Geschäft vor. Ich lasse dich laufen, wenn du uns das Mädchen gibst.«

»Ich habe auch mal einen Film gesehen, in dem jemand das gesagt hat«, sagte Schroeder. »Hältst du mich für dumm? Reden wir weiter. Verrat mir mal, weshalb ihr das Mädchen töten wollt.«

»Wir wollen sie gar nicht töten. Sie ist für uns eine Menge Geld wert.«

»Demnach werdet ihr der Kleinen nichts tun?«

»Nein, nein. Wie ich schon sagte, als Geisel ist sie viel mehr wert.«

Schroeder schwieg, als würde er ernsthaft über das Angebot nachdenken. »Ich habe auch sehr viel Geld. Ich kann es euch sofort geben, dann braucht ihr nicht zu warten. Was haltet ihr von einer Million Dollar?«

Eine geflüsterte Diskussion setzte ein, dann meldete der Russe sich wieder. »Meine Männer finden, es sei okay, aber sie wollen zuerst das Geld sehen.«

»In Ordnung. Kommt näher zur Höhle, und ich werfe es raus.«

Die Unterhaltung war auf Russisch geführt worden, und Karla hatte sie nur zum Teil verstanden. Schroeder erklärte Karla im Flüsterton, sie solle sich tiefer in die Höhle zurückziehen und sich die Ohren zuhalten. Er griff in seinen Seesack und holte einen Gegenstand heraus, der aussah wie eine Mini-Ananas aus Metall. Er wusste, dass sein Angebot die Angreifer wie Hyänen anlocken würde, und mit ein wenig Glück müsste er sie alle ausschalten können. Er stand auf. Der Schmerz schoss in sein rechtes Bein. Der Lauf und die Kletterpartie mit der jungen Frau auf den Armen hatte seine Knöchelverletzung verschlimmert.

Er schlich näher an den Höhleneingang heran. Er konnte Schatten erkennen, die näher kamen. Gut. Die Höhle beschrieb einen leichten Knick, und der Eingang war aus seiner Perspektive nur ein schmaler Spalt, daher müsste er genau zielen und werfen.

»Da ist euer Geld«, sagte er und zog den Sicherungsstift aus der Handgranate.

Während er einen Schritt vorwärts machte, um sie aus dem Loch in der Felswand zu schleudern, knickte sein verletztes Bein ein, und er stürzte, wobei er mit dem Kopf gegen die Höhlenwand knallte. Er wurde beinahe ohnmächtig. Während seine Augen sich schlossen, sah er, wie die Granate auf dem Boden landete, ein Stück weiterrollte und liegen blieb. Er riss sich in die Gegenwart zurück und zwang sich, wach zu bleiben. Er streckte sich nach der Granate, spürte das Metall in seiner Hand und warf sie abermals in Richtung Höhleneingang.

Diesmal zielte er besser, aber die Granate streifte die Wand und blieb mitten in der Höhlenöffnung liegen.

Schroeder warf sich nach hinten tiefer in die Höhle hinein und um den Knick herum, wo er sich Deckung suchend an die Wand drückte. Er presste sich die Hände gerade noch rechtzeitig auf die Ohren, als die Granate bereits explodierte. Ein Blitz zuckte auf, und ein Regen glühenden Metalls erfüllte den Höhleneingang. Dann ertönte ein dumpfes Grollen, als der Höhleneingang einstürzte.

Die Höhle war mit Staub erfüllt. Schroeder hob den Kopf und kroch in Richtung eines krampfhaften Hustens. Die Lampe wurde eingeschaltet, doch der Lichtstrahl wurde durch den braunen Staubvorhang, der in der Luft hing, zerstreut.

»Was ist passiert?«, erkundigte Karla sich, nachdem der Staub sich ein wenig gesetzt hatte.

Schroeder stöhnte und spuckte einen Mund voll Sand aus.

»Ich sagte dir schon, dass ich für solche Spielchen zu alt bin. Ich wollte die Granate werfen, als ich stolperte und mir den Kopf stieß. Warte mal einen Moment.« Er nahm ihr die Taschenlampe ab und kehrte zum Höhleneingang zurück. Nach einer Minute war er schon wieder zurück und berichtete: »Ich habe einen Volltreffer gelandet. Wir kommen nicht mehr raus, aber sie kommen auch nicht rein.«

»Na, ich weiß nicht«, sagte Karla. »Der Anführer dieser Männer meinte, sie hätten einen tragbaren Presslufthammer.«

Schroeder nahm diese Information nur ungern zur Kenntnis. »Das heißt, dass wir uns tiefer in die Höhle zurückziehen müssen.«

»Der Gang könnte kilometerweit in die Erde führen! Am Ende verirren wir uns noch hoffnungslos.«

»Ja, ich weiß. Wir gehen auch nur so weit wie nötig hinein, um einen Hinterhalt vorzubereiten. Ich versuche, das nächste Mal nicht so schlampig zu sein.«

Karla fragte sich, ob sie denselben Menschen vor sich hatte, der sie vor so vielen Jahren auf seinen Knien hatte reiten lassen. Er hatte den Mann, der versucht hatte, sie zu vergewaltigen, ausgeschaltet, in aller Ruhe mit einer Bande von Mördern verhandelt und dann, rein geschäftsmäßig, versucht, die ganze Bande zu töten.

»In Ordnung«, sagte sie. »Aber dieses Geheimnis, das du erwähnt hast … Was weißt du darüber?«

Karl angelte eine Kerze aus seinem Seesack, zündete den Docht an und befestigte sie mithilfe einiger Tropfen flüssigen Wachses auf einem kleinen Felsvorsprung.

»Ich habe deinen Großvater gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kennen gelernt. Er war ein brillanter und mutiger Mann. Vor vielen Jahren stieß er auf ein physikalisches Prinzip, das, wenn unüberlegt angewendet, Tod und Vernichtung auslösen konnte. Er schrieb einen Aufsatz, in dem er warnend auf diese Möglichkeiten aufmerksam machte, und das Ergebnis fiel nicht so aus, wie er erwartet hatte. Die Nazis schnappten ihn und zwangen ihn, an der Entwicklung einer Superwaffe zu arbeiten, die auf seinen Theorien basierte.«

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