Laborgebäude, in denen über den Umgang mit Kernwaffen geforscht wird, sind noch immer für die Öffentlichkeit unzugänglich, was man als Hinweis darauf verstehen kann, dass die Stadt noch immer eine enge Verbindung mit dem Atomkrieg pflegt. Touristen, die dem Museum des Labors einen Besuch abstatten, können Nachbildungen des »Fat Man« und des »Little Boy«, der ersten Atombomben, berühren, die verschiedenen Typen von Atomsprengköpfen betrachten und sich mit den lebensgroßen Statuen von Robert Oppenheimer und General Groves, den Zwillingssternen der streng geheimen Allianz von Militär und Wissenschaft, die die Bomben schuf, die auf Hiroshima und Nagasaki geworfen wurden, fotografieren lassen.
Die Trouts machten in der Forschungsbibliothek des Labors Halt und unterhielten sich mit einer wissenschaftlichen Assistentin, mit der sie sich zuvor telefonisch verabredet hatten. Sie hatte einen Schnellhefter mit Informationen über Lazio Kovacs vorbereitet, doch das meiste war rein biographischer Natur und enthielt nicht mehr, als sie bereits über den Wissenschaftler wussten. Kovacs, so schien es, war lediglich eine Fußnote. Ebenso wie Tesla, über den erheblich mehr bekannt war, habe Kovacs sich zu einer Kultfigur entwickelt, erklärte die Assistentin, und seine Theorien gehörten eher in den Bereich von Science-Fiction, als dass man sie wissenschaftlich ernst nehmen könne.
»Vielleicht erfahren wir bei der Kovacs Society mehr«, sagte Gamay.
Die Assistentin sah die Trouts ausdruckslos an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus.
»Was ist los?«, fragte Gamay.
Die Frau errötete und sagte: »Es tut mir leid. Es ist nur — nun ja, Sie werden sehen.«
Sie lachte noch immer, während sie sie zur Tür geleitete.
Ihr Kontakt bei der Kovacs Society war ein überschwänglich klingender Mann namens Ed Frobisher. Als sie Frobisher anriefen, erklärte er, er sei gerade unterwegs und mache einige Besorgungen, und schlug dann vor, dass sie sich in einem Reste-Laden für Militaria, der den vieldeutigen Namen Black Hole trug, treffen sollten.
Der Laden befand sich am Stadtrand neben einem barackenähnlichen Gebäude mit einem Schild davor, das es als das OMEGA PEACE INSTITUTE, FIRST CHURCH OF TECHNOLOGY identifizierte. Die Kirche und der Black-Hole-Laden gehörten einem Ortsansässigen namens Ed Grothus, der Unmengen von Laborgeräten aufgekauft hatte, die noch aus der Zeit des Manhattan Project stammten. Er nannte das Ganze »nuklearen Abfall« und bot seine Waren verrückten Gelehrten, Künstlern und Sammlern an.
Der Hof um den Laden herum war ein einziges Durcheinander aus leeren Bombenhülsen, Geschütztürmen, Büromöbeln und elektronischen Apparaten. In dem großen Lagerhaus gab es zahllose Regalgänge, die vollgestopft waren mit ausgemusterten elektronischen Geräten wie Geigerzählern, Oszilloskopen und gedruckten Schaltkreisen. Die Trouts erkundigten sich beim Kassierer, ob er Frobisher kenne. Er geleitete sie zu einem Gang, in dem ein Mann leise Selbstgespräche führte, während er einen Stapel Kontrolltafeln inspizierte.
»Sehen Sie sich dieses Zeug mal an«, sagte Frobisher, nachdem sie sich miteinander bekannt gemacht hatten.
»Diese Tafel hat wahrscheinlich in den fünfziger Jahren den Monatslohn eines durchschnittlichen Steuerzahlers gekostet. Jetzt ist es Schrott, außer für ein paar Technikfreaks wie mich.«
Frobisher war ein über eins achtzig großer Mann mit einem mächtigen Brustkorb, der in einen Bauch überging, der sich wiederum über seinen breiten Uniformgürtel wölbte. Er trug ein gelb kariertes Hemd, das allein schon die Augen des Betrachters beleidigt hätte, wären da nicht auch noch die roten Hosenträger gewesen, die Mühe hatten, die Hose unter dem Gewicht des Bauchs hochzuhalten, mit denen es farblich kollidierte. Die Hosenbeine verschwanden in kniehohen Anglerstiefeln aus Kautschuk, obgleich der Tag heiß und wüstentrocken war. Seine kräftigen weißen Haare waren gelockt und hingen stellenweise über die rechteckigen Gläser einer Hornbrille.
Frobisher bezahlte die Kontrolltafel und ging ihnen voraus aus dem Laden zu einem staubigen und verbeulten Chrysler K-Car. Er meinte, die Trouts sollten ihn ruhig »Froby« nennen, und schlug ihnen vor, ihm zu seinem Haus zu folgen, wo die Kovacs Society ihren Sitz hatte. Während die Autos die Stadt verließen, wandte Gamay sich an Paul, der hinterm Lenkrad saß.
»Erinnert dich unser neuer Freund Froby an jemanden?«
Trout nickte. »An einen großen und lauten Captain Kangaroo.«
»Kurt ist uns nach dem hier einiges schuldig«, seufzte Gamay. »Lieber würde ich mich noch mal in einen Strudel ziehen lassen.«
Die Straße stieg an und schlängelte sich durch die Berge oberhalb der Stadt. Die Anzahl und Dichte der Häuser nahm stetig ab. Die Limousine vor ihnen bog schließlich in eine kurze Schottereinfahrt ein, hüpfte dabei wie ein Gummiball auf ihren ausgeleierten Stoßdämpfern und parkte dann vor einem aus Lehmziegeln erbauten Puppenhaus. Der Hof war gefüllt mit elektronischem Schrott und wirkte wie die verkleinerte Version des Black Hole.
Während sie zwischen Stapeln verrosteter Raketenhüllen und Maschinengehäuse zum Haus gingen, machte Froby eine ausholende Armbewegung.
»Das Labor veranstaltet jeden Monat eine Versteigerung, um seinen Kram loszuwerden. Ich glaube, ich brauche nicht zu betonen, dass ich bei jeder Gelegenheit dabei bin«, sagte er.
»Ich denke, das ist nicht nötig«, erwiderte Gamay mit einem nachsichtigen Lächeln.
Sie betraten das Haus, das im Gegensatz zu der zusammengewürfelten Schrottlandschaft erstaunlich aufgeräumt war. Frobisher geleitete sie in ein kleines Wohnzimmer, das mit Allerweltsbüromöbeln aus Chrom und Leder eingerichtet war. Ein Stahlschreibtisch und zwei stählerne Aktenschränke standen an einer Wand.
»Alles in diesem Haus stammt aus dem Labor«, prahlte Frobisher. Er bemerkte, wie Trouts Blick an dem Warnschild mit der Aufschrift RADIOACTIVE an der Wand hängen blieb, und grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Keine Sorge. Es verdeckt bloß ein Loch in der Tapete. Als Präsident der Kovacs Society heiße ich Sie in der Weltzentrale willkommen. Ich darf Ihnen unseren Gründer vorstellen.« Er deutete auf eine alte Fotografie, die neben dem Schild an der Wand hing. Sie zeigte das fein geschnittene Gesicht eines Mannes in den Vierzigern mit dunklem Haar und ausdrucksvollen Augen.
»Wie viele Mitglieder hat die Gesellschaft?«, fragte Gamay.
»Eins. Es steht vor Ihnen. Wie Sie sehen, handelt es sich um eine ausgesprochen exklusive Organisation.«
»Das ist mir aufgefallen«, erwiderte Gamay mit einem freundlichen Lächeln.
Trout schickte seiner Frau einen Blick, der ausdrückte, dass er bei nächster Gelegenheit die Flucht ergreifen würde. Sie betrachtete eingehend die deckenhohen Bücherregale, die einen großen Teil der Wandfläche einnahmen. Ihr weiblicher Blick für Kleinigkeiten hatte wahrgenommen, was Trout bisher entgangen war: Den Titeln der Bücher nach zu urteilen behandelten sie hochkomplizierte technische und geheimnisvolle Themen. Wenn Frobisher auch nur einen winzigen Teil seines Lesestoffs verstand, musste er ein hochintelligenter Mensch sein.
»Bitte nehmen Sie Platz«, forderte Frobisher sie auf. Er ließ sich in den Schreibtischsessel fallen und drehte ihn herum, damit er seine Gäste ansah.
Trout setzte sich neben Gamay. Er hatte bereits entschieden, dass der beste Weg, die Unterhaltung zu beenden, darin bestand, sie schnellstens zu beginnen. »Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten«, sagte er als Einleitung zu einer Verabschiedung.
»Es ist mir ein ausgesprochenes Vergnügen«, erwiderte Froby strahlend. »Um ehrlich zu sein, ich stoße heutzutage auf nicht allzu viel Interesse an der Kovacs Society. Dies ist ein ganz besonderer Anlass für mich. Woher kommen Sie?«
»Aus Washington«, antwortete Trout.
Frobys babyblaue Augen leuchteten auf. »Das ist ja noch viel toller! Sie müssen sich unbedingt in mein Gästebuch eintragen. Und jetzt verraten Sie mir mal, wie es kommt, dass Sie sich für Lazio Kovacs interessieren.«