»Dr. Adler?«, fragte Kurt.
Der Mann blickte von seinem Keyboard hoch und lächelte. »Ja. Und Sie müssen die Leute von der NUMA sein.«
Austin und Zavala stellten sich vor und schüttelten nacheinander Adler die Hand.
Der Wellenforscher war ein leicht zerknitterter, grobknochiger Mann mit der Statur eines Holzfällers und einem Wust welliger silbergrauer Haare, die aussahen wie Spanisches Moos auf dem Stamm einer ehrwürdigen Eiche. Seine Oberlippe zierte ein krummer Schnurrbart, der wirkte, als sei er nachträglich seinem Gesicht hinzugefügt worden. Er hatte eine tiefe Stimme und eine knurrige Redeweise, als wäre er soeben erst aus einem Nickerchen aufgewacht. Die wachen, grauen Augen, die sie durch eine randlose Brille hindurch anblinzelten, funkelten jedoch fröhlich. Er bedankte sich bei ihnen für ihr Kommen und schob für sie zwei Stühle zurecht.
»Sie ahnen ja gar nicht, wie froh ich bin, Sie hier zu sehen. Ich war mir nicht sicher, ob Rudi Gunn mir die Bitte erfüllen würde, Sie dieser Expedition zuzuteilen, Kurt. Auch noch Joe zu bekommen, betrachte ich als einen unerwarteten Bonus. Wahrscheinlich habe ich meine Bitte ein wenig zu hartnäckig vorgetragen. Daran ist wohl meine Herkunft als Quäker schuld. Ich denke an unsere durchaus freundliche Beharrlichkeit und so weiter. Wir bedrängen niemanden, sondern wir bringen uns bei den Leuten nur so lange in Erinnerung, bis sie uns bemerken und nicht mehr ignorieren können.«
Der Professor würde sich niemals Sorgen machen müssen, nicht bemerkt zu werden, dachte Austin. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte er. »Für eine Kreuzfahrt bin ich immer zu haben. Ich war nur überrascht, dass Sie ausgerechnet mich an Bord haben wollten. Wir sind uns schließlich noch nie begegnet.«
»Aber ich habe schon viel von Ihnen gehört. Und ich weiß, dass die NUMA gerne mit ihren Leistungen wirbt, ohne sie ausdrücklich dem Wirken Ihres Spezialteams für Sonderaufträge zuzuschreiben.«
Das Team war die Idee Admiral Sandeckers gewesen, der die NUMA geleitet hatte, ehe Dirk Pitt den Posten des Direktors übernahm. Er wollte eine Gruppe von Experten für Unterwasseroperationen, die manchmal ohne offiziellen Regierungsauftrag durchgeführt werden mussten. Gleichzeitig benutzte er die spektakuläreren Missionen des Teams, um im Kongress weitere Gelder locker zu machen.
»Sie haben Recht. Wir ziehen es vor, hinsichtlich unserer Rolle den Ball flach zu halten.«
Adler quittierte dieses Geständnis mit einem breiten Grinsen. »Es ist verdammt schwierig, die Entdeckung des Körpers von Columbus in einem versunkenen Mayatempel als nicht so bedeutend herunterzuspielen. Oder den Schutz der Ostküste vor einer alles verschlingenden Methanhydratwelle als routinemäßige Allerweltsaktion zu deklarieren.«
»Das war reines Glück«, wiegelte Austin ab. »Wir machen im Grunde nichts anderes, als kleinere Probleme zu beseitigen.«
Zavala verdrehte die Augen. »Kurt sagt, dass das einzige Problem eines Problembeseitigers darin besteht, dass Probleme manchmal zurückschießen.«
»Ich gebe zu, dass das Spezialteam einige heikle Missionen durchgeführt hat, aber die NUMA verfügt über Dutzende von Technikern, die bei der Durchführung von Suchaktionen um einiges fähiger sind als ich. Warum haben Sie ausgerechnet mich angefordert?«
Adlers Miene wurde ernst. »Im Ozean ist etwas höchst Seltsames im Gange.«
»Das ist nichts Neues«, erwiderte Austin. »Das Meer ist um einiges fremdartiger als der Weltraum. Über die Sterne wissen wir viel mehr als über den Planeten, auf dem wir stehen.«
»Darin gebe ich Ihnen uneingeschränkt Recht«, sagte Adler. »Es ist nur so, dass mir einige ziemlich verrückte Ideen im Kopf herumgehen.«
»Joe und ich haben schon vor langer Zeit lernen müssen, dass die Grenze zwischen verrückt und rational ziemlich schmal ist. Wir würden uns gerne anhören, was Sie zu erzählen haben.«
»Das werde ich auch beizeiten gerne tun, aber ich würde damit lieber warten, bis wir die Southern Belle gefunden haben.«
»Wir haben es nicht eilig. Erzählen Sie uns vom Verschwinden der Belle. Soweit ich mich erinnere, war sie im Atlantik unterwegs. Sie sendete SOS mit dem Hinweis, dass sie in Schwierigkeiten sei, und dann verschwand sie spurlos.«
»Das ist richtig. Innerhalb weniger Stunden wurde eine intensive Suche eingeleitet. Das Meer schien sie verschlungen zu haben. Es ist hart für die Familien der Besatzungsmitglieder, nicht zu wissen, was ihren Angehörigen zugestoßen ist. Von einem rein praktischen Gesichtspunkt aus betrachtet, sind die Eigner daran interessiert, juristisch auf der sicheren Seite zu sein.«
»Schon vor Hunderten von Jahren sind Schiffe spurlos verschwunden«, sagte Austin. »Es passiert immer noch, und das sogar bei den direkten und weltweiten Kommunikationsmöglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.«
»Aber die Belle war nicht irgendein Schiff. Wenn überhaupt so etwas möglich ist, dann traf auf sie wie auf kein anderes Schiff die Einstufung ›unsinkbar‹ zu.«
Austin grinste. »Irgendwie kommt mir das bekannt vor.«
Adler hob einen Finger. »Ich weiß. Das Gleiche wurde auch über die Titanic gesagt. Aber seit dem Untergang der Titanic wurden im Schiffsbau Riesenfortschritte gemacht. Die Belle war ein völlig neuer Typ Hochseefrachter. Sie war widerstandsfähig genug, um auch dem schwersten Wetter zu trotzen. Sie meinten, es sei nicht das erste Mal, dass ein solide gebautes Schiff verschwand. Das ist absolut richtig. Ein Frachtschiff namens München verschwand 1978 in einem Unwetter, während es den Atlantik überquerte. Genauso wie die Belle sendete es SOS und meldete, es befände sich in Schwierigkeiten. Niemand konnte nachvollziehen, was einem derart modernen Schiff hatte zustoßen können. Siebenundzwanzig Matrosen wurden vermisst.«
»Tragisch. Wurde von dem Schiff jemals eine Spur gefunden?«, fragte Austin.
»Gleich nach dem SOS wurden Rettungsversuche gestartet. Mehr als hundert Schiffe durchkämmten den Ozean. Sie fanden einige Wrackteile und ein leeres Rettungsboot, das einen verwertbaren Hinweis lieferte. Das Boot hatte auf der Steuerbordseite an Bolzen mehr als zwanzig Meter über dem Wasser gehangen. Man stellte fest, dass die Stahlbolzen von vorne nach hinten verbogen waren.«
Zavalas technisch geschulter Verstand erkannte sofort die Bedeutung dieses Schadens. »Die Erklärung liegt auf der Hand«, sagte er. »Eine etwa zwanzig Meter hohe Krafteinwirkung hat das Rettungsboot aus seiner Halterung gerissen.«
»Das Seefahrtsgericht entschied, dass das Schiff gesunken ist, als schlechtes Wetter einen ›ungewöhnlichen Vorfall‹ ausgelöst hat.«
Austin gestattete sich ein verhaltenes Kichern. »Das klingt, als hätte das Seefahrtsgericht sich um die zutreffende Schlussfolgerung drücken wollen.«
»Die Seefahrtexperten, die von der Entscheidung des Gerichts erfuhren, waren derselben Meinung wie Sie. Sie waren empört. Sie wussten genau, was den Untergang der München bewirkt hatte. Seeleute erzählten schon seit Jahren von ihren Begegnungen mit fünfundzwanzig bis dreißig Meter hohen Wellen, aber die Wissenschaftler schenkten ihren Berichten keinen Glauben.«
»Ich habe auch schon Geschichten von Monsterwellen gehört, habe aber selbst noch nie eine mit eigenen Augen gesehen.«
»Seien Sie froh, denn wenn Sie einem solchen Ungeheuer begegnet wären, würden wir jetzt nicht diese Unterhaltung führen.«
»In gewisser Weise mache ich dem Seefahrtsgericht keinen Vorwurf, mit seinem Urteil vorsichtig zu sein«, sagte Austin.
»Seeleute haben den Ruf, die Wahrheit gerne zu übertreiben.«
»Das kann ich nur unterstreichen«, meinte Zavala mit einem wehmütigen Lächeln. »Seit Jahren höre ich immer wieder Schilderungen von Meerjungfrauen, ohne jemals eine zu Gesicht bekommen zu haben.«
»Zweifellos stand das Gericht Schlagzeilen über vampirhafte Killerwellen misstrauisch gegenüber«, sagte Adler.