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»Sie werden als nicht-tödliche Waffen eingestuft. Sie können einen ohrenbetäubenden Lärm erzeugen, der sogar die lautesten Demonstranten übertönt.«

»Wenn mir jemand hundertfünfzig Dezibel in die Ohren bläst, dann hätte ich kaum mehr Lust, nach Frieden und Gerechtigkeit zu rufen.«

»Wir benutzen diese Lärmkanonen nur, um uns bei größeren Menschenmengen Gehör zu verschaffen. Wir haben sie gerade neulich noch getestet. Damit kommt man mindestens vier Blocks weit.«

»Hm-hm«, sagte der Reporter und machte sich ein paar Notizen. »Ich denke, das dürfte den Anarchisten klarmachen, was Sache ist.«

»Ich schätze, dass wir die dicke Artillerie gar nicht brauchen werden. Es sind eher die kleinen Dinge, die zählen, wie die Motorrollerstreifen und die Straßensperren.«

»Wie ich hörte, haben Sie aber auch eine Menge Hightechgerät zur Verfügung.«

»Das stimmt«, sagte Malloy. »Die effektivste Methode, diese Verrückten unter Kontrolle zu halten, ist mit Software und nicht mit Hardware.«

»Wie das?«

»Fahren wir ein wenig herum.« Malloy startete den Wagen und schaltete das Funkgerät ein. »Hier spricht Nomad. Ich fahre auf dem Broadway nach Norden.«

»Nomad?«, fragte Barnes, nachdem Malloy sich abgemeldet hatte.

»Ich bin viel unterwegs. Halte die Augen offen. Die Verrückten wissen, dass ich meine Runden mache, aber sie wissen nicht, wo ich bin. Das macht sie nervös.« Er wandte sich nach Osten, fuhr ein kurzes Stück über die Park Avenue, dann kehrte er zum Broadway zurück.

»Wer sind diese ›Verrückten‹, wie Sie sie nennen?«

»Wenn es auf Anarchisten hinausläuft, dann weiß man nie, mit wem oder was man es zu tun hat. Damals in Seattle hatten wir Ökofreaks und Friedensengel. Wir hatten Wicca-Anhänger und feministische Neopaganisten, die nach der WTO und der Göttin riefen, wer immer die sein mag. Die meisten Mainstream-Anarchisten sind gegen die Weltwirtschaftsordnung. Soweit es um Menschen geht, sind sie nicht gewalttätig, aber manche sind der Meinung, dass man sich durchaus an Firmeneigentum vergreifen kann. Ihre Hauptwaffe ist das Chaos. Sie sind gewöhnlich in autonomen Kollektiven oder in Sympathisantengruppen organisiert. Sie agieren nach dem Prinzip der geistigen Gemeinschaft und vermeiden jegliche Art von Hierarchie.«

»Vorausgesetzt, sie sind tatsächlich nicht straff organisiert, wonach genau halten Sie eigentlich Ausschau?«

»Das ist schwer zu beschreiben«, sagte Malloy. »Im Großen und Ganzen nach dem Gleichen wie damals, als ich selbst noch vor Ort im Einsatz war. Die Verrückten teilen sich in kleine Gruppen auf. Oder sie tun sich zu zweit zusammen oder bleiben alleine. Ich achte lediglich auf bestimmte Verhaltensmuster.«

»Ich habe über die Krawalle in Seattle gelesen. Es klang, als wäre das der reinste Alptraum gewesen.«

Malloy stieß einen leisen Pfiff aus. »Ich habe als Beweis immer noch die Narben am Körper. Eine Riesenschweinerei!«

»Was ist schiefgegangen?«

»Die Verrückten hatten es auf die Welthandelsorganisation abgesehen. Sie nennen das die ›Machtelite‹. Ich war zu dem Zeitpunkt Distriktbeauftragter für die Kontrolle größerer Menschenansammlungen und sollte gegebenenfalls die Menschenmengen in Schach halten. Wir wurden mit heruntergelassener Hose erwischt. Am Ende standen wir hunderttausend Demonstranten gegenüber, die ihre Wut über das kundtaten, was sie als unterdrückendes Welthandelssystem bezeichneten. Es kam zu Plünderungen, Ausgangssperren. Polizisten und Nationalgardisten schossen mit Gummigeschossen oder Tränengas sowohl auf die friedlichen wie auch die gewaltbereiten Demonstranten. Am Ende hatte die Stadt sich vor der Weltöffentlichkeit ein blaues Auge geholt und musste sich mit einer langen Latte von Bürgerklagen herumschlagen. Einige Beobachter meinten, die Polizei hätte überreagiert. Andere meinten, sie hätte zu wenig getan. Man konnte es so oder so sehen.«

»Wie Sie schon sagten, eine Riesenschweinerei.«

Malloy nickte. »Aber die Schlacht von Seattle stellte den Wendepunkt dar.«

»In welcher Hinsicht?«

»Die Demonstranten lernten, dass es nicht ausreichte, einfach nur durch die Straßen zu marschieren, wenn man Aufsehen erregen wollte. Die Aufmerksamkeit erhielt man ausschließlich durch direkte Aktionen. Man musste Dinge zerstören, Menschen beeinträchtigen, die Repräsentanten dessen, was man bekämpfte, selbst zu Zielscheiben machen.«

»Nach dem, was ich heute in der Stadt gesehen habe, hat die Machtelite seit Seattle ihre Lektion gelernt.«

»Aber hundertprozentig«, sagte Malloy. »Ich war in Philadelphia anlässlich der GOP Convention, als die Anarchisten uns abermals ziemlich dumm aussehen ließen. Sie veranstalteten einen Riesenterror und rannten dann durch die Straßen, verfolgt von einem Haufen übergewichtiger Cops. Sie erzeugten ein totales Chaos. Desgleichen bei der WTO-Konferenz in Miami. Erst beim Weltwirtschaftsforum, das 2002 hier in New York stattfand, bekamen wir die Dinge allmählich in den Griff, und schon 2004, zum Parteitag der Republikaner, hatten wir eine richtige Strategie entwickelt.«

»Die Störungen wurden auf ein Minimum beschränkt, aber es wurden Klagen laut, dass fundamentale Bürgerrechte verletzt worden seien.«

»Das gehört zur Proteststrategie. Diese Typen sind wirklich raffiniert. Es handelt sich vorwiegend um eine kleine Gruppe von kompromisslosen Aufrührern, die von Stadt zu Stadt ziehen. Sie provozieren die staatlichen Organe in der Hoffnung, dass wir übertrieben zurückschlagen. Hey, Moment mal!«

Malloy lenkte den Wagen an die Seite und parkte in zweiter Reihe in der Nähe einer Gruppe Leute, die Musikinstrumente bei sich hatten. Dann gab er über Funk einige knappe Anweisungen.

»Nomad an MACC. Straßenmusiker versammeln sich soeben zu einem ungenehmigten Marsch vom Union Square zum Madison Square Garden.«

Barnes ließ den Blick über die Bürgersteige auf beiden Straßenseiten wandern. »Ich sehe niemanden marschieren.«

»Im Augenblick gehen sie zu zwei und zwei. Das ist nicht illegal. Sie kommen in einer Minute zusammen — nein, Moment, da gehen sie schon.«

Die Musiker vereinigten sich zu größeren Gruppen, verließen den Bürgersteig und bildeten auf der Fahrbahn eine Prozession. Aber ehe die Parade begann, tauchten von beiden Seiten Polizisten auf Fahrrädern und Motorrollern auf und nahmen erste Verhaftungen vor.

Barnes schrieb wie wild auf seinem Notizblock.

»Ich bin tief beeindruckt«, sagte er. »Das funktionierte wie ein Uhrwerk.«

»Das sollte es auch. Das kleine Manöver war das Ergebnis jahrelanger Erfahrung. Wir haben es zwar nur mit einer kurzfristig anberaumten Zwischen-Wirtschaftskonferenz zu tun, aber auch jetzt gibt es Hunderte von Gästen und Demonstranten, daher ist durchaus mit einigem Ärger zu rechnen. Die Verrückten versuchen stets, uns mindestens einen Schritt voraus zu sein.«

»Wie unterscheiden Sie die echten Fanatiker von harmlosen Demonstranten?«

»Das ist ziemlich schwierig. Wir verhaften jeden, der irgendwie Verdruss macht, und klären alles andere später.« Er nahm ein summendes Mobiltelefon aus der Halterung am Armaturenbrett und reichte es Barnes. »Sehen Sie sich das mal an.«

Der Reporter las den Text auf dem Display des Mobiltelefons. »Es heißt hier, dass die Motorrollertruppe die Musiker eingekreist hat. Den Leuten wird geraten, diese Gegend zu meiden. Sie verlangen Kameras. Dazu Sanitäter und rechtskundige Beobachter. Cops sollen davon abgehalten werden, Demonstranten zu verhaften, die Passanten im Theater-Distrikt belästigen. Woher kommt diese Nachricht?«

»Von den Verrückten. Die Cops sind nicht die Einzigen, die aus Seattle gelernt haben. Die Anarchisten verfügen über ihr eigenes Medienzentrum ähnlich dem MACC. Sie geben den Aktivisten Tipps, welche Routen sie nehmen sollen, um den Cops zu entgehen. Während wir die eine Aktion abbrechen, starten sie woanders eine neue.« Er lachte. »Wir geben alljährlich viele Millionen für Sicherheitsmaßnahmen aus, während sie eine Technologie benutzen, die praktisch kostenlos ist.«

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