»Auf Lazio Kovacs«, sagte er.
»Und auf Spider Barrett«, schloss Hibbet sich an. »Spider hat eine Kraft mit vernichtender Wirkung in etwas Gutes verwandelt. Seine Arbeit wird die Leben Hunderter, wenn nicht Tausender Seeleute retten.«
Barrett hatte während des Rückflugs von der Südatlantischen Anomalie, nachdem er deren unkontrollierbare Kraft völlig entfesselt erlebt hatte, seinen Denkapparat in Gang gebracht. Er suchte nach einer Möglichkeit, die Kovacs-Theoreme für heilbringende Zwecke zu benutzen. Nachdem das Flugzeug in Washington gelandet war, verschwand er für mehrere Tage in der Versenkung und tauchte dann unerwartet in der NUMA-Zentrale auf, wo er Al Hibbet seine Ideen unterbreitete.
Was er Hibbet vorschlug, war in seiner Weitsicht und seiner Bedeutung atemberaubend und dennoch erstaunlich simpel. Sein Plan sah vor, abgeschwächte Versionen der elektromagnetischen Wellen Kovacs’ zu verwenden, um Anomalien auf dem Meeresboden aufzuspüren, die möglicherweise Störungen an der Meeresoberfläche auslösen konnten. Jedes seetüchtige Schiff ab einer bestimmten Größe würde mit einem am Kiel befestigten Kovacs-Sensor ausgerüstet. Die Sensoren würden ständig Informationen liefern, die mit Satellitenfotos und globalen elektromagnetischen Messungen abgeglichen würden.
Diese Daten würden in Computer eingespeist, analysiert und als Warnungen vor Brutstätten für Riesenwellen ausgegeben. Schiffe könnten dann Routen um diese gefährlichen Brutstätten herum berechnen. Es wurde vereinbart, Tests in der Nachbarschaft der Riesenwellen durchzuführen, die die Southern Belle versenkt hatten. Aufgrund ihres Interesses an ozeanischen Wirbeln wurde die NOAA gebeten, sich an den Untersuchungen zu beteiligen, wodurch die Trouts involviert wurden.
Die beiden Schiffe trafen sich über dem Fundort der gesunkenen Southern Belle. Im Andenken an deren Mannschaft wurde ein Kranz ins Wasser geworfen. Dann begannen die Tests, die sich über einen Zeitraum von mehreren Tagen erstreckten. Dabei ergaben sich einige Fehler und Ungenauigkeiten, die schnell ausgemerzt wurden. Nun, da das System offenbar erfolgreich arbeitete, wurde die Stimmung im Kontrollraum geradezu ausgelassen — vor allem, nachdem sie durch großzügige Portionen Tequila angeheizt worden war.
Irgendwann wandte ein überschwänglicher und leicht berauschter Al Hibbet sich an Zavala und sagte: »Es ist schade, dass Kurt nicht hier sein kann. Er kriegt von dem ganzen Spaß überhaupt nichts mit.«
Zavala grinste wissend. »Ich bin sicher, dass es ihm gut geht.«
Karla Janos kam aus dem Tunnel und blinzelte wie ein Grottenolm. Ihr Gesicht war schmutzig, und ihr einteiliger Overall war mit Staub bedeckt. Sie schüttelte staunend den Kopf, immer noch zutiefst beeindruckt von der Szene, die sich ihren Augen darbot. Ein kleines Dorf war in der mit Gras bewachsenen Schüssel auf dem Grund der Caldera entstanden. Mindestens zwei Dutzend große Zelte mit Schlafgelegenheiten und den nötigen Einrichtungen zum Kochen und Forschen waren in akkuraten Reihen aufgestellt worden. Mehrere Helikopter parkten in ihrer Nähe.
In der Umgebung der Zelte herrschte hektische Betriebsamkeit. Der Zugang zu der Kristallstadt war durch Bohren eines Tunnels und durch Entfernen der Gesteinstrümmer, die den Weg versperrten, erheblich erleichtert worden. Kabel von benzinbetriebenen Generatoren schlängelten sich in den Tunnel. Ein nicht enden wollender Strom von Wissenschaftlern und ihren Assistenten ging in der Stadt ein und aus.
Karla war begeistert und erschöpft zugleich. Die wissenschaftlichen Teams hatten, auf drei Schichten verteilt, vierundzwanzig Stunden am Tag gearbeitet. Einige, wie Karla, hatten sich derart in ihre Arbeit vertieft, dass sie mehr als eine Schicht hintereinander gearbeitet hatten. Sie legte den Kopf in den Nacken und pumpte gierig die frische Luft in ihre Lungen. Im blaugrauen Licht sah sie, wie über dem Kraterrand ein winziger Punkt erschien und sich anschickte, sich ins Tal herunterzuschwingen.
Während sich das Objekt näherte, konnte sie erkennen, dass es ein großer, farbenfroher Baldachin mit einem darunter baumelnden Menschen war. Das konnte doch nicht wahr sein! Voller Hoffnung, obgleich jegliche Vernunft dagegensprach, entfernte sie sich von den Zelten und ging zu einem freien Platz, wobei sie wild mit ihrer Baseballmütze winkte.
Der Paraglider war spiralförmig heruntergekommen. Doch dann schwenkte er in ihre Richtung, flog einen Halbkreis und landete nur wenige Schritte von ihr entfernt. Kurt Austin befreite sich aus den Gurten und rollte das Segel zusammen. Er kam mit einem fröhlichen Grinsen auf den Lippen zu ihr herüber und sagte: »Guten Morgen.«
Sie hatte während der letzten Wochen des Öfteren an Austin gedacht. Ihre Begegnung war kurz und vielversprechend gewesen. Und dann war sie schon wieder nach Sibirien abgereist. Aber es kam häufig vor, dass sie sich wünschte, den attraktiven Mann von der NUMA ein wenig besser kennen gelernt zu haben.
»Was treiben Sie denn hier?«, fragte Karla mit einer Mischung aus Freude und Staunen.
»Ich bin gekommen, um Sie zum Mittagessen einzuladen.«
Sie blickte auf ihre Uhr. »Es ist drei Uhr morgens.«
»Irgendwo auf der Welt ist sicher Mittagszeit. Ich bin nicht den weiten Weg hierhergekommen, um mir anzuhören, dass meine Einladung zurückgewiesen wird.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie sind verrückt.«
Austins blaue Augen funkelten belustigt. »Verrücktheit ist ein Teil meiner Arbeitsplatzbeschreibung bei der NUMA.«
Er ergriff ihre Hand. »Wie heißt es so schön in dem alten Frank-Sinatra-Song, ›Come fly with me‹.«
Sie wischte sich eine blonde Strähne aus den Augen. »Ich habe die ganze Nacht gearbeitet. Ich sehe schrecklich aus.«
»In dem Etablissement, das ich im Sinn habe, gibt es keine Bekleidungsvorschriften«, wiegelte Austin ab. »Nun kommen Sie schon.«
Er bat sie, ihm dabei zu helfen, seinen neuen Paraglider zu einem freien Platz zu tragen, wo er Karla eine kurze Lektion erteilte. Sie breiteten das Segel auf dem Erdboden aus, schnallten sich in den Tandemsitz, blähten das Segel mithilfe des Propellerluftstroms auf und sprangen in den Wind. Karla war als Fliegerin ein Naturtalent, und der Start gelang viel glatter als der erste, den Austin mit Zavala versucht hatte. Sobald sie in der Luft waren, kreiste Austin über dem Zeltdorf und ging dann in den Steigflug.
»Hier hat sich in den wenigen Wochen aber eine Menge verändert«, sagte Austin, während die Erde unter ihnen vorbeiglitt.
»Es ist schwer zu glauben, dass die führenden Paläontologen, Archäologen und Biologen der ganzen Welt da unten an der wissenschaftlichen Entdeckung des Jahrhunderts arbeiten.«
»Eine Entdeckung, die gemacht zu haben Sie für sich beanspruchen können.«
»Es waren auch noch andere daran beteiligt, aber trotzdem vielen Dank. Und vielen Dank für den Flug. Das ist einfach wunderbar.«
»Ja, das ist es«, sagte Austin, allerdings aus völlig anderen, nämlich typisch männlichen Gründen. Er befand sich auf Tuchfühlung mit einer schönen und intelligenten jungen Frau und konnte die Wärme ihres Körpers dicht an seinem spüren.
Der Paraglider und seine beiden Passagiere stiegen aus der Caldera auf. Austin gab Karla einige kurze Instruktionen für die Landung und steuerte dann auf einen relativ flachen Bereich des Kraterrandes zu. Die Landung war ein wenig rau, aber nicht übel. Karla schlüpfte aus dem Geschirr und ging dorthin, wo ein rot-weiß kariertes Tischtuch auf der Erde ausgebreitet und an vier Ecken mit Steinen beschwert war. In der Mitte der Tischdecke stand eine winzige Vase mit einer Wildblume darin. Daneben lag eine Hüfttasche.
Austin beschrieb mit der Hand eine ausholende Geste.
»Ein Tisch mit Aussicht, Mademoiselle.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind wirklich verrückt. Aber auf eine sehr nette Art.«