Als Bolitho das Haus am Cavendish Square erreichte, sah er davor zwei kräftige Pferde. Browne hatte offenbar eine Menge Freunde und galt viel bei ihnen.
In der Eingangshalle traf er auf ein großes Durcheinander. Browne war dabei, Allday zu beruhigen, und im Hintergrund heulte die Köchin, obwohl sie kaum wissen konnte, was das alles bedeutete.
Allday bat Bolitho flehentlich:»Sie können nicht ohne mich weg! Das ist nicht fair! Sie wissen, daß ich nicht reiten kann, Sir!«Er schaute verzweifelt zu Boden.»Es ist einfach nicht richtig. Mr. Browne ist ein guter Mann, Sir, aber er kennt Sie nicht so wie ich!»
Bolitho war von Alldays Verzweiflung tief bewegt.
«Ich muß reiten, denn es geht so viel schneller. Sie folgen im Wagen.»
Allday hatte gar nicht zugehört. Er wandte sich flehentlich an Browne:»Halten Sie ihn davon ab, Sir. Ich kenne ihn schon so lange, er wird mit diesem Lumpen kämpfen. «Er blickte wieder verzweifelt Bolitho an.»Mit Pistolen!»
Bolitho sagte:»Sie hätten ihm nichts erzählen sollen.»
Browne antwortete ruhig:»Es schien mir notwendig, Sir.»
Allday trat zwischen sie.»Sie sind ein guter Säbelfechter, Sir, einer der besten, die ich je gesehen habe. «Er faßte Bolithos Ärmel.»Aber Sie sind kein Pistolenschütze. Sie würden kaum einen Mann auf dreißig Schritt treffen und wissen das!»
Browne schaute bedeutungsvoll auf die Uhr.»Wenn wir unsere Pferde in Guildford wechseln wollen, Sir, müssen wir jetzt aufbrechen.»
Bolitho nickte.»Warten Sie auf mich.»
Er konnte Allday nicht einfach so zurücklassen. Dafür waren sie schon zu lange Zeit miteinander marschiert. Er sagte:»Hör zu, mein Freund. Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, würde ich sie wahrnehmen. Aber Adam wurde nur gekränkt, um durch ihn mich zu beleidigen. Wenn es nicht jetzt in England geschieht, dann woanders zu anderer Zeit. Das können wir nicht zulassen, oder?»
«Es ist nicht fair, Sir. Ich sollte wenigstens bei Ihnen sein.»
Bolitho berührte seinen Arm.»Das werden Sie immer sein. «Er ging hinaus in den Nieselregen, der zugenommen hatte, und kletterte in den Sattel.
Browne warf ihm einen fragenden Blick zu.»Alles klar, Sir?«»Aye. Wie weit ist es?»
Browne bemühte sich, seine Besorgnis zu verbergen.»Etwas über sechzig Meilen, Sir.»
«Dann wollen wir uns auf den Weg machen.»
Bolitho nickte dem Stallburschen zu, der darauf die Pferde freigab, und dachte an Alldays Worte: >Kein Pistolenschütze<. Aber welche Chance hätte Adam gegen einen versierten Killer gehabt?
Der Gedanke schien ihm zusätzliche Kräfte zu verleihen, und er sagte bissig:»Wenn man ein feindliches Schiff bekämpft, weiß man wenigstens, woher die Schüsse kommen. Aber unter zivilisierten Menschen weiß man das nie so genau!»
Als das Wachboot energisch durch das kabbelige Wasser des Hafens von Portsmouth ruderte, mußte Bolitho die Zähne zusammenbeißen, damit sie nicht vor Kälte klapperten. Der Ritt von London war wie ein Alptraum und scheinbar endlos gewesen. In kleinen Gasthöfen hatten sie gerade so lange gerastet, um ein heißes Getränk herunterzustürzen, während müde Stallburschen die erschöpften Pferde wegführten und neue für die nächste Wegstrecke sattelten.
Weiter ging es dann auf gewundenen Straßen, beiderseits von Büschen gesäumt, wie von Gruppen geduckter Straßenräuber. Kalter Wind und stechender Regen hatten die Sinne wachgehalten.
Jetzt war es fast Morgen, und in dem trüben Dämmerlicht sah Portsmouth unwirklich und wie ein Spukgebilde aus.
Der Bootssteurer legte Ruder und lenkte das Boot auf ein Ankerlicht zu, von dem Bolitho wußte, daß es seinem Flaggschiff gehörte.
Browne hatte während des anstrengenden Rittes sehr wenig gesagt und sich wortlos neben ihm auf den Hecksitz sinken lassen, als sei er zu müde zum Sprechen oder knoble an einem eigenen Plan herum.
Der Bootsoffizier befahl:»Zeigt die Laterne!«Es war ein Leutnant mit schrecklich entstelltem Gesicht, wohl dem Andenken von einem Seegefecht.
Der Bugmann drehte die Laterne auf und hielt sie über seinen Kopf.
Bolitho stellte sich die schläfrigen Wachhabenden auf der Benbow vor, die Seesoldaten, die auf Vor- und Achterschiff Posten standen, und den Höllenlärm, der gleich ausbrechen würde, wenn sie erkannten, daß er zurückkam.
Über das Wasser erscholl der uralte Anruf:»Boot ahoi?»
Der Bootssteurer führte seine Hände als Sprachrohr an den Mund und genoß die Vorfreude auf das Chaos, das er gleich auslösen würde.
«Flaggoffizier! Benbow!»
Bolitho sagte:»Ich hoffe zu Gott, daß Kapitän Herrick an Bord ist. «Er schämte sich gleich darauf, daß er daran gezweifelt hatte. Selbstverständlich war Herrick da.
Wie ein steiler Berg erhob sich die Bordwand der Benbow über ihnen, und darüber, wie mit Tusche auf den trüben Himmel gezeichnet, ihre Masten und Rahen.
«Riemen hoch!»
Das Boot trieb die letzten Meter bis zur Kette der Großrüsten; als Bolitho sich von seinem Platz erheben wollte, schrie er vor Schmerzen fast auf.
Browne flüsterte ihm eifrig zu:»Lassen Sie mich Ihnen helfen, Sir.»
Bolitho schaute zur Einlaßpforte hoch, wobei ihm der Schmerz den Blick zu vernebeln schien. Was hatte er anderes erwartet? Ein solcher Ritt reichte, um jede Wunde aufbrechen zu lassen. Doch die Überzeugung, daß Eile dringend erforderlich war, hatte ihn Browne etwas vorlügen lassen. Er hatte seit mehreren Jahren nicht im Sattel gesessen, jedenfalls nicht solch lange Strecke.
Er sagte:»Nein, ich muß das schaffen.»
Der Leutnant lüpfte seinen Hut, und die Ruderer saßen keuchend vor Erschöpfung auf ihren Duchten und sahen zu, wie Bolitho langsam das Fallreep der Benbow hochkletterte.
Herrick war da, nur etwas zerzaust, als er eilends und voller Sorge nach vorn geeilt kam, um ihn zu empfangen.
Bolitho sagte heiser:»Später, Thomas. Kommen Sie mit nach achtern!»
Aufgeregte Gestalten liefen umher und verschwanden wieder im
Halbdunkel. Leutnant Aggett hatte die verhaßte Morgenwache. Vielleicht bedauerte er schon seine unerwartete Beförderung nach dem Tod des Sechsten Offiziers.
Andere waren da, aber Bolitho hatte nur den einen Gedanken, in seine Kajüte zu gelangen und dort Zeit zum Nachdenken zu finden.
Der Posten vor seinen Räumen ging stampfend in >Hab-acht-Stellung<. Sein Uniformrock glänzte feuerrot im Licht der einsamen Laterne.
Bolitho humpelte an ihm vorbei.»Guten Morgen, Williams. «Er sah nicht mehr die Freude auf dem Gesicht des Mannes, daß er seinen Namen behalten hatte.
Ozzard war in der Kajüte geschäftig dabei, Lampen anzuzünden, die Leben auf das grüne Leder der Bezüge und die schweren Decksbalken zauberten.
Herrick starrte Bolitho an, als er in einen Stuhl sank, und keuchte:»Ziehen Sie mir die Stiefel aus, Ozzard!«Browne warnte ihn:»Vorsicht, Mann!»
Herrick gewahrte die breite Blutspur auf Bolithos Schenkel.»Allmächtiger Gott!»
Bolitho unterdrückte den Schmerz.»Schießen Sie los, Thomas. Erzählen Sie mir alles über dieses verdammte Duell.»
Herrick sagte:»Alles, was ich weiß, habe ich Browne geschrieben. Ich war nicht sicher, wo Sie sich zur Zeit aufhielten. Aber die Relentless segelt mit der Morgentide. Pascoe wird dann außer Gefahr sein.»
Er zuckte zusammen, als Bolitho plötzlich aufschrie.
«Ich lasse den Schiffsarzt kommen.»
«Später. «Bolitho wandte sich an Ozzard.»Etwas zu trinken, bitte. Irgendwas, aber so schnell Sie können. «Dann wieder zu Herrick:»Wie hat Adam es aufgenommen?»
«Schlecht, Sir. Er redete von Ehrensache und von Ihrem Vertrauen, und daß er Ihnen wegen seines toten Vaters nur Schwierigkeiten bereite. «Herrick blickte finster drein, weil er die Sache nun leider aufrühren mußte.»Ich habe schließlich meine Autorität ausspielen müssen. Das war fast der schwerste Teil der ganzen Angelegenheit.»
Bolitho nickte.»Adam hat immer davon geträumt, eines Tages auf eine Fregatte kommandiert zu werden. Daß ihm nun die Freude daran auf diese Weise vergällt wurde, ist schade, aber Sie haben richtig gehandelt, Thomas. Kapitän Rowley Peel ist jung und ehrgeizig und hat sich als Soldat bewährt. Außerdem ist er für mich ein Fremder, also wird er Adam nicht meinetwegen bevorzugen. Der liebe Inch würde behaupten, Weiß sei Schwarz, wenn er glaubte, mir damit einen Gefallen zu tun. Und Sie übrigens auch.»