Allday grinste.»Ganz meine Meinung, Sir. Es wird Zeit für eine kleine Veränderung.»
Kapitän Thomas Herrick trat unter dem Überhang der Hütte hervor und blieb — die Hände auf dem Rücken verschränkt — stehen, um sich in dem feuchten kalten Wind, der die Decks übersprühte, wieder seelisch und körperlich an das Schiff zu gewöhnen.
Der Vormittag war fast vorüber, und mit geübtem Blick sah Herrick, daß die Seeleute, die an Deck, auf den Laufbrücken oder oben auf den Rahen bei der Arbeit waren, sich langsamer als sonst bewegten. Sicher waren sie in Gedanken schon beim Mittagessen, bei ihrer Rum-Ration, bei der kurzen Erholungspause, die sie mit ihren Kameraden in den vollgefüllten unteren Decks verbringen würden.
Herrick ließ seinen Blick über das breite Achterdeck schweifen, über den stocksteif dastehenden Midshipman der Wache, der sich der Anwesenheit seines Kommandanten offenbar bewußt war, über die sauber ausgerichteten Kanonen, überall hin. Er hatte sich noch immer nicht an das neue Schiff gewöhnt. Sein altes Schiff, die Lysander, 74 Kanonen, hatte er nach vielen Monaten ununterbrochenen Dienstes heimgebracht. Die Jahre, Sturmschäden und schwere Wunden aus vielen Gefechten hatten ihre tiefen Spuren in dem alten Schiff hinterlassen. Herrick war nicht überrascht gewesen, als er den Befehl erhielt, seine Besatzung auszuzahlen und seine Lysander bei der Marinewerft abzuliefern. Er hatte viel erlebt und durchgemacht auf diesem Schiff, und bei vielen Gelegenheiten hatte er auch etwas über sich selber dabei gelernt, über seine Möglichkeiten und seine Grenzen. Als Flaggkapitän von Kommodore Richard Bolitho hatte er mehr Arten der Pflichterfüllung kennengelernt, als er für möglich gehalten hatte.
Die Lysander würde nie wieder in einer Schlachtlinie stehen. Zu viele Beschädigungen hatten ihren Tribut gefordert, aber ihre vielen Dienstjahre würden wahrscheinlich ohne Lohn bleiben. Sie mochte ihre Tage als Vorratsschiff oder — schlimmer noch — als schwimmendes Gefängnis beenden.
Ihre Besatzung war nun über die ganze Flotte verteilt und stillte den nie endenden Bedarf an guten Leuten. Herrick hatte es vorausgesehen und sich mehr als einmal gefragt, wie seine eigene Zukunft wohl aussehen werde. Zu seiner Überraschung hatte man ihm dieses Schiff gegeben: Seiner Britischen Majestät Linienschiff Benbow, 74 Kanonen, funkelnagelneu aus der Hauptmarinewerft in Devonport. Es war das erstemal, daß Herrick auf einem Neubau Dienst tat, ihn sogar befehligte.
Seit Monaten war er nun schon an Bord, arbeitend und sich sorgend, während die Werft ihren Teil tat, und die Benbow wuchs und wuchs, bis sie schließlich ihren gegenwärtigen Zustand erreicht hatte.
Alles war noch neu und unerprobt: dies galt nicht zuletzt für die Männer, die sich in ihrem Achtzehnhundert-Tonnen-Rumpf zusammengefunden hatten. Herrick hatte jede Unze Erfahrung gesegnet, die er seinem langsamen Emporklettern auf der Leiter des Erfolges und der Beförderung verdankte.
Glücklicherweise war es ihm möglich gewesen, einige seiner alten Recken von der Lysander bei sich zu behalten, einige vom Stamm der erfahrenen Maate und Deckoffiziere, die man sogar jetzt, nach der gerade hinter ihnen liegenden Sturmnacht, auf dem Oberdeck herumbrüllen hören konnte, weil sie sich — genau wie der Kommandant — ihrer Verantwortung und dessen, was die nächste Stunde bringen würde, bewußt waren.
Herrick schaute zur Spitze des Besanmastes empor und fühlte, wie ihm dabei der Gischt ins Gesicht sprühte. Sogar vor Anker konnte es in Spithead sehr bewegt sein. Bald würde die Flagge eines Konteradmirals vom Besan wehen. Sie würden wieder zusammen sein. Mit anderen Aufgaben, mit größerer Verantwortung, aber sie hatten sich bestimmt nicht verändert.
Herrick trat an die Finknetze {Netzkästen beiderseits über der Bordwand zur Aufnahme der Hängematten als Splitterschutz im Gefecht} und schaute zur verschwommenen Uferlinie hinüber. Sogar ohne Fernglas konnte er den Portsmouth Point sehen, seine Gebäude, die so eng zusammengerückt waren, als fürchteten sie, über die Felskante in die See zu stürzen. Da war die Kirche von Thomas ä Beckett, und irgendwo weiter links der alte George Inn.
Er kletterte auf einen Poller und schaute hinab auf das gurgelnde Wasser, das an der kräftigen, schwarz und gelb gemusterten Bordwand vorbeiströmte. Boote tanzten auf und nieder, Ladegeschirr hob und senkte sich, um in letzter Minute noch Vorräte an Bord zu hieven, Brandy für den Schiffsarzt, Wein für die Offiziere der Seesoldaten — kleine Annehmlichkeiten, von denen man nicht wußte, wie lange sie vorhalten mußten.
Die letzten Monate hatten Herrick nicht nur viel abgefordert, sondern ihn auch vielfältig belohnt. Von einem kleinen Seeoffizier ohne Beziehung oder Vermögen hatte er sich zu einem Mann entwickelt, der Wurzeln geschlagen hatte. Mit Dulcie hatte er Geborgenheit und ein Glück gefunden, wie er es sich nicht einmal erträumt hatte, und zu seiner größten Überraschung — das war typisch für ihn — hatte er eines Tages entdeckt, daß er mit einer Frau lebte, die, wenn auch nicht gerade reich, so doch recht wohlhabend war.
Dulcie hatte in der Nähe des Schiffes gewohnt, so lange die letzten Ausrüstungsarbeiten noch dauerten: Rahen aufbringen, das stehende Gut teeren und durchsetzen, Segel anschlagen, Kanonen an Bord hieven, vierundsiebzig Stück, und viele Meilen langes Tauwerk, Hunderte von Blöcken und Taljen, von Körben, Fässern und sonstigen Gegenständen, die einen nackten Schiffsleib in die modernste, am meisten begehrte und wahrscheinlich schönste Schöpfung des Menschen verwandelte. Die Benbow war jetzt ein Kriegsschiff, ja mehr als das, sie war das Flaggschiff dieses kleinen Geschwaders, das hier auf Spithead-Reede lag.»Ihr Glas, bitte, Mr. Aggett!«rief er scharf.
Herrick hatte sich Namen schon immer gut merken können. Den Charakter ihrer Träger kennenzulernen, dazu brauchte er länger.
Der Midshipman der Wache flitzte über das Achterdeck und überreichte ihm das große Teleskop des Signaloffiziers. Herrick richtete es durch die Steuerbordnetze und über die anderen Schiffe hinweg auf die nebligen Buckel der Insel Wight. Dann studierte er mit fachkundigem Blick sorgsam jedes Schiff. Die anderen drei Zweidecker glänzten fast im trüben Licht, und ihre geschlossenen Stückpforten hoben sich wie Schachbrettmuster von der kabbeligen See ab. Indomitable, Kapitän Charles Keverne. Bei jedem Schiffsnamen trat sein Kommandant vor Herricks geistiges Auge. Keverne war Bolithos Erster Offizier auf der großen Prise Euryalus gewesen. Nicator, Kapitän Valentine Keen. Sie hatten zusammen auf einem Schiff irgendwo auf den Weltmeeren gedient.
Die Odin, ein kleinerer Zweidecker mit nur vierundsechzig Kanonen. Herrick lächelte trotz seiner vielen Sorgen. Ihr Kommandant war Francis Inch. Er hätte nie geglaubt, daß der eifrige Inch mit seinem Pferdegesicht es so weit bringen würde. Noch weniger, als er das für sich selber erwartet hatte.
Die beiden Fregatten, Relentless und Styx, ankerten weiter achteraus, und die kleine Korvette Lookout zeigte ihre kupferbeschlagene Unterseite, als sie vor ihrer Ankertrosse heftig hin- und herdümpelte.
Insgesamt war es ein gutes Geschwader. Den meisten Offizieren und Mannschaften fehlte zwar Erfahrung, aber ihr jugendlicher Eifer würde das bald wettmachen. Herrick seufzte. Er war dreiundvierzig und alt für seinen Dienstgrad, aber er war zufrieden, wenn er auch gerne ein paar Jahre von seinem Lebensalter abgestrichen hätte.
Füße stampften über das Achterdeck, und er sah Henry Wolfe, den Ersten Offizier, mit großen Schritten auf sich zukommen. Herrick konnte sich nicht vorstellen, wie er in den letzten Monaten der Ausrüstung der Benbow ohne Wolfe hätte zurechtkommen sollen. Wolfe sah außergewöhnlich aus: sehr groß, über sechs Fuß, schien er Schwierigkeiten zu haben, seine langen Arme und Beine unter Kontrolle zu halten. Sie waren genauso lebhaft in Bewegung wie der ganze Mann. Er hatte Fäuste wie Schmiedehämmer und Füße so groß wie Drehbassen. Das Ganze wurde gekrönt von einem leuchtend roten Haarschopf, der unter seinem Dreispitz wie zwei Vogelschwingen hervorflatterte.