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Bolitho schaute sich flüchtig im Raum um. Es war dasselbe Zimmer, in dem er vor neunzehn Jahren sein erstes selbständiges Kommando erhalten hatte, und in mancher Beziehung war das der Tag in seinem Leben, an den er sich am besten erinnern konnte. Hier hatte er Thomas Herrick kennengelernt, der sein Erster Offizier und getreuer Freund geworden war. Auf demselben Schiff hatte er John Neale angetroffen, damals ein zwölf Jahre alter Seekadett. Neale gehörte jetzt seinem Geschwader an, als Kommandant einer Fregatte.

«Erinnerungen, Bolitho?»

«Aye, Sir. An Schiffe und Gesichter.»

Das enthielt alles. Bolitho war — wie Neale — als Zwölfjähriger zur See gegangen. Nun war er Konteradmiral — ein Traum hatte sich erfüllt. Zu oft hatte er dem Tod ins Auge geschaut, zu oft waren andere neben ihm gefallen, da gewöhnte man es sich ab, über den nächsten Monat, das nächste Jahr hinaus Pläne zu schmieden.

«Ihre Schiffe sind alle versammelt, Bolitho. «Es war eine Feststellung.»Also wollen wir keine Zeit verlieren. Gehen Sie in See mit ihnen, exerzieren Sie, wie Sie es gelernt haben, und so lange, bis die Leute Sie zum Teufel wünschen. Aber eisenhart müssen die Kerle dabei geworden sein.»

Bolitho lächelte zustimmend. Er wäre lieber heute als morgen ausgelaufen. An Land hielt ihn nichts mehr. Er war in Falmouth gewesen, hatte sein Haus und sein Gut besucht. Es hatte ihn — wie jedesmal — innerlich bewegt, daß das Haus auf irgend etwas zu warten schien. Mehrmals hatte er im Schlafzimmer vor ihrem Porträt gestanden. Er hatte ihre Stimme vernommen, ihr Lachen gehört. Und er hatte sich nach dem Mädchen gesehnt, das er geheiratet und kurz darauf durch einen tragischen Unfall verloren hatte: Cheney. Er hatte ihren Namen ausgesprochen, als ob er ihr Bild damit lebendig machen könnte. Und als er weggegangen war, um nach London zu fahren, hatte er sich in der Tür noch einmal umgedreht, um ein letztes Mal ihr Gesicht zu sehen: ihre meergrünen Augen, die der See unterhalb von Pendennis Castle glichen, ihr wehendes Haar, das die Farbe junger Kastanien hatte. Und es war, als hätte auch sie ihm nachgeschaut.

Er schüttelte die wehmütigen Gedanken ab und erinnerte sich des einzigen erfreulichen Erlebnisses während dieser Tage, als Herrick mit seiner alten Lysander nach England zurückgekehrt war. Herrick hatte, ohne lange zu zögern, die Witwe Dulcie Boswell geheiratet, die er am Mittelmeer kennengelernt hatte.

Bolitho hatte die Reise zu der kleinen normannischen Kirche am Wege nach Canterbury bereitwillig unternommen. Die Kirchenbänke waren mit Herricks Freunden und Nachbarn gefüllt gewesen, dazwischen leuchtete viel Blau und Weiß von den Uniformen seiner Marinekameraden.

Bolitho hatte sich irgendwie ausgeschlossen gefühlt; dies Gefühl lastete noch schwerer auf ihm, als er sich seiner eigenen Hochzeit in Falmouth erinnerte, bei der Herrick sein Trauzeuge gewesen war.

Als die Kirchenglocken zu läuten begannen, als Herrick sich vom Altar abwandte und — die Hand seiner Braut auf dem goldbestickten Ärmelaufschlag — dem Ausgang zuschritt, war er bei Bolitho kurz stehengeblieben und hatte schlicht gesagt:»Daß Sie hier sind, hat diesen Tag für mich vollkommen gemacht.»

Nun drängte sich Beauchamps Stimme wieder dazwischen.»Ich hätte gerne noch mit Ihnen gegessen, aber ich muß mit dem Hafenad-miral reden. Außerdem haben auch Sie sicher noch viel zu tun. Ich bin Ihnen aus vielen Gründen zu Dank verpflichtet, Bolitho. «Dabei zog ein scheues Lächeln über sein Gesicht.

«Nicht zuletzt dafür, daß Sie meinen Vorschlag für Ihren Flaggleutnant angenommen haben. Ich bin seiner hier in London etwas überdrüssig.»

Bolitho dachte, daß es wohl noch einige Gründe mehr für diese Bitte gegeben hatte, aber er äußerte sich nicht dazu. Statt dessen sagte er:»Ich verabschiede mich also, Sir. Und vielen Dank, daß Sie mich gerufen haben. «Beauchamp antwortete nur mit einem Achselzucken. Es schien, als koste ihn schon das eine physische Anstrengung.»Es war das mindeste, was ich für Sie tun konnte. Sie kennen Ihre Befehle. Wir haben Ihnen keine bequeme Seereise ausgesucht, aber dafür hätten Sie sich auch kaum bedankt, eh?«Er lachte in sich hinein.»Halten Sie die Augen offen, es könnte Verdruß geben. «Damit sah er Bolitho fest an.»Mehr sage ich nicht. Aber Ihre Taten, Ihre Auszeichnungen, so wohlverdient sie waren, haben Ihnen auch einige Feinde gemacht. Ich warne Sie. «Er streckte die Hand aus.»Nun hinaus mit Ihnen, und beherzigen Sie, was ich gesagt habe.»

Bolitho verließ den Raum und ging an einer ganzen Reihe Leute vorbei, die daraufwarteten, bei dem grimmigen kleinen Admiral vorgelassen zu werden, um sich Rat zu holen, Unterstützung zu erbitten oder auch nur, um neue Hoffnung zu schöpfen.

Am Fuß der Treppe, nahe einer überfüllten Kaffeestube, wartete Allday auf ihn. Wie immer. Er würde sich nie ändern. Mit demselben breiten Grinsen auf dem biederen Gesicht, wie stets, wenn er vergnügt war. Er hatte etwas zugenommen in letzter Zeit, dachte Bolitho, aber er stand wie ein Fels. Bolitho lachte in sich hinein. In jedem anderen Fall hätte der Hausdiener einen einfachen Bootssteurer nach hinten in die Küche oder — wahrscheinlicher noch — in die Kälte hinausgeschickt. Nicht jedoch Allday. Der sah in seinem blauen Rock mit den vergoldeten Knöpfen, den neuen Kniebundhosen und blanken Lederstiefeln Zoll für Zoll wie der Bootssteurer eines Admirals aus.

Allday hatte drei Jahre gebraucht, um sich an die Anrede >Sir< zu gewöhnen. Vorher hatte er Bolitho einfach mit >Captain< angeredet. Nun mußte er sich an einen Konteradmiral gewöhnen. Erst am Morgen, als sie vom Hause eines Freundes, bei dem Bolitho ein paar Tage zu Besuch gewesen war, nach Portsmouth aufgebrochen waren, hatte Allday fröhlich gesagt:»Macht nichts, Sir. Bald werden Sie >Sir Ri-chard< sein, und auch daran werde ich mich gewöhnen!»

Nun half ihm Allday in seinen langen Bootsmantel und sah zu, wie er sich den Dreispitz fest auf das schwarze Haar drückte.

«Dies ist ein großer Augenblick, nicht wahr, Sir?«Er wiegte den Kopf.»Wir haben einen langen Weg zurückgelegt.»

Bolitho sah ihn mit Wärme an. Allday fand stets das treffende Wort. Wann und wo auch immer, bei Sturm oder Flaute. In schwierigen Lagen und Todesgefahr: Allday war immer da. Bereit zu helfen, seinen Witz ebenso wie seinen Mut einzusetzen. Er war ein wirklicher Freund, wenn er es auch manchmal darauf anlegte, Bolitho zu reizen.

«Aye. Irgendwie kommt es mir vor, als beginne alles noch einmal von vorne.»

Bolitho betrachtete sich kurz im Wandspiegel neben dem Eingang, genau wie damals, als er als frisch gebackener Kommandant der Fregatte Phalarope hier herausgekommen war. Damals war er jünger gewesen als der jüngste Kommandant seines jetzigen Geschwaders.

Er dachte plötzlich an das Landhaus, in dem er zu Besuch gewesen war, und erinnerte sich an eines der Dienstmädchen, ein hübsches Mädchen mit flachsblonden Haaren und schmucker Figur. Er hatte Allday mehrmals mit ihr zusammen gesehen, und der Gedanke beunruhigte ihn. Allday hatte sein Leben oft genug riskiert und Bolithos mehr als einmal gerettet. Nun ging es wieder hinaus, und Allday mußte wegen seiner hartnäckigen Anhänglichkeit mit.

Bolitho spielte mit dem Gedanken, ihm eine Chance zu geben, ihn nach Falmouth zu schicken, wo er in Frieden leben, am Ufer Spazierengehen und mit anderen ehemaligen Seeleuten sein Bier trinken konnte. Allday hatte mehr als seine Pflicht für England getan. Es gab unzählige andere, die nie ihr Leben riskiert hatten, die nie bei Sturm oben in einem Mast herumgeklettert waren oder an den Kanonen gestanden hatten, wenn die Luft voll Eisen war.

Er schaute in Alldays Gesicht und entschied sich anders. Es würde ihn verletzen und ärgern. Er selber hätte genauso empfunden. Bolitho sagte:»Manche Väter werden auf den Seemann scharf sein, der ihren Töchtern zu nahegetreten ist, nicht wahr, Allday?«Ihre Blicke trafen sich. Es war ein Spiel, das beide sehr gut beherrschten.

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