Swinburne zwinkerte Browne zu.»Also erledigt. Sie fahren zu diesen Eierköpfen von der Admiralität, wenn Sie müssen. Aber seien Sie rechtzeitig zum Fest wieder hier. «Er rieb sich die Hände.»Es wird wieder ganz wie in alten Zeiten. «Als Bolitho zurückkam, wußte er, daß es zwecklos war, zu protestieren oder zu streiten. Manchmal war Nachgeben besser. Schicksal? Herricks berühmte Fortune. Wie man es auch nennen wollte: irgend etwas hatte entschieden, daß er die Ben-bow so früh wie möglich verlassen sollte. Irgend etwas hatte Browne eingegeben, die bequeme Kutsche auszuleihen, statt den Dienstwagen nach London zu nehmen. Wenn er auf letzterem bestanden hätte, wären sie eine andere, stärker benutzte Straße gefahren.
Er versuchte, seine lächerliche Hoffnung zu unterdrücken, bevor sie ihn vernichtete.
Swinburne sagte laut:»Verdammt noch eins, natürlich: Bolitho! Mir ist bis jetzt nicht eingefallen, daß Sie es sind! Ich habe von Ihnen in der Gazette und in der Times gelesen. «Er drohte Browne mit der Faust.»Sie sind ein noch größerer Dummkopf als Ihr Vater, Oliver. Mir nichts zu sagen! Gottverdammmich, Mann!«Er war außer sich vor Vergnügen. Browne sagte sanft:»Sie haben mir kaum Gelegenheit dazu gelassen, Mylord.»
Ein Diener riß die Tür auf, und Lady Swinburne rauschte mit der imposanten Würde eines Linienschiffs herein, um ihre Gäste zu begrüßen. Sie nickte Browne zu.»Ah, Oliver!«war alles, was sie sagte, doch Bolitho vermutete, daß es viel mehr bedeutete. Dann nahm sie Bolithos Hand und musterte ihn neugierig. Sie war eine sehr große Dame, gut einen Kopf größer als ihr Mann.
«Konteradmiral Bolitho, Sie sind herzlich willkommen. Sie sehen so aus, wie mein Sohn jetzt wohl ausgesehen hätte. Er fiel bei der Schlacht in der Chesapeake-Bucht.»
Swinburne sagte:»Quäl' dich nicht damit, Mildred. Es ist lange her.»
Bolitho drückte ihre Hand.»Nicht für mich, Mylady. Ich war dabei.»
Sie nickte.»Das dachte ich mir, da Sie gleichaltrig sind. «Ein Lächeln wischte ihre plötzliche Trauer beiseite. Sie sagte:»Oben liegt ein junge Dame, die Sie zu sehen wünscht. Um Ihnen zu danken. «Lady Mildred sah, daß der Arzt kurz den Kopf schüttelte, und bemerkte den Blutfleck auf Bolithos Hose, den auch der Alkohol des Arztes nicht ganz beseitigt hatte.»Na schön, dann eben später. «Sie warf den anderen einen strahlenden Blick zu.»Ein verwundeter Seeheld und eine Dame in Not, kann es bessere Voraussetzungen für ein schönes Weihnachtsfest geben?»
XI Eine alte Rechnung
Bolitho stand unentschlossen am frisch entfachten Kaminfeuer und lauschte auf das Prasseln des Graupelregens gegen die Fenster. Es war Abend und er, soweit er wußte, fast allein in dem großen Haus. Sie hatten ihm ein kleines Zimmer im Erdgeschoß eingeräumt und ihn nicht einmal zum Mittagessen geweckt.
Als er schließlich aufgewacht war, hatte er seine Kleider sauber zurechtgelegt gefunden und seine Kniehosen wie neu und ohne eine Spur der Blutflecken.
Das Haus mußte sehr alt sein, stellte er fest, und viele Generationen von Swinburnes hatten immer wieder daran gebaut. Sein Zimmer war mit hohen Regalen ausgestattet, in denen offenbar vielbenutzte Bücher standen. Es erinnerte ihn an den Raum in Kopenhagen, in dem ihn der Kronprinz empfangen hatte. Auch das schien jetzt Teil eines Traumes zu sein. Nur die schmerzhafte Erinnerung an seine Wunde bürgte für die Realität.
Er versuchte, die Frau aus der Kutsche als völlig Fremde zu sehen, wie es selbstverständlich gewesen wäre, wenn sie anders ausgesehen hätte. Ihm war, als träte er von einem Gemälde zurück, dessen Einzelheiten ihn fasziniert hatten, um es nun als Ganzes zu betrachten.
Die Tür öffnete sich leise, und er wandte sich um und dachte, es sei Browne oder einer von Swinburnes aufmerksamen Dienstboten.
Sie stand da — umrahmt vom Licht aus dem Nebenraum — , Gesicht und Arme vom Feuerschein des Kamins angeleuchtet.
Bolitho wollte ihr entgegengehen, aber sie sagte:»Nein, bitte bleiben Sie, wo Sie sind. Ich habe von Ihrer Verwundung gehört. Sie haben Ihr Leben riskiert, als Sie auf der Straße halfen, meines zu retten.»
Sie näherte sich dem vollen Licht des Kaminfeuers, und ihr Kleid schleifte dabei über den Fußboden. Es war weiß mit gelbem Blumenmuster. Ihr langes, kastanienbraunes Haar war mit einem Band der gleichen Farbe zurückgebunden. Sie bemerkte, daß er sie anstarrte, und erklärte:»Das Kleid gehört mir nicht. Lady Swinburnes Tochter hat es mir geliehen. Mein Gepäck habe ich schon nach London geschickt. «Sie zögerte und streckte dann die Hand aus.»Ich bin in Ihrer und Ihrer Freunde Schuld.»
Bolitho nahm ihre Hand und suchte hilflos nach den rechten Worten.»Gut, daß wir zur rechten Zeit kamen.»
Behutsam machte sie ihre Hand frei und setzte sich.»Sie sind Konteradmiral Bolitho. «Sie lächelte leicht.»Und ich bin Mrs. Belinda Laidlaw.»
Bolitho saß ihr gegenüber. Ihre Augen glichen Cheneys überhaupt nicht. Sie waren dunkelbraun.
Er sagte:»Wir waren auf dem Weg nach London zur Admiralität. Wir kamen gerade von See. «Er bemühte sich, nicht auf sein Bein zu schauen.»Ich hatte das Pech, mich in einem Augenblick aufzurichten, in dem ich mich besser gebückt hätte.»
Sie ging auf seinen mageren Witz nicht ein.
«Auch ich bin gerade nach England zurückgekommen. Aus Indien. Mir scheint hier alles ganz anders. «Sie schüttelte sich.»Nicht nur das Klima, alles. Der Krieg ist so nahe, daß ich den Feind fast sehe, der auf der anderen Seite des Kanals wartet, um bei uns zu landen.»
«Ich wüßte einige gute Gründe, warum die Franzosen nie kommen werden. «Er lächelte verlegen.»Obwohl sie es versuchen.»
«Das nehme auch ich an. «Sie sah gedankenverloren aus.
Bolitho vermutete, daß die Erschütterungen und Prellungen doch schlimmer gewesen waren, als der Arzt festgestellt hatte. Er fragte vorsichtig:»Kam Ihr Gatte mit Ihnen?»
Ihre Augen verdunkelten sich, während sie zur geschlossenen Tür sah.»Mein Mann ist tot.»
Bolitho sah sie an.»Das tut mir leid. Es war taktlos von mir, so neugierig zu fragen. Bitte verzeihen Sie.»
Ihr Blick war prüfend.
«Sie meinen es ehrlich. Aber ich bin schon über das Schlimmste hinweg. Er war bei der Ostindischen Handelsgesellschaft und beschäftigte sich mit kaufmännischen Angelegenheiten, um den sich ausweitenden Handel auszubauen. Ursprünglich war er Soldat, aber er war zu weich dafür und froh, als er wieder Zivilist werden konnte.»
Sie zuckte kurz mit der Schulter, und diese Bewegung berührte Bo-litho tief.
«Dann wurde er krank. Auf einer Mission ins Landesinnere hatte er sich ein Fieber geholt. «Ihre Augen waren träumerisch wie ihr Ton, als riefe sie sich jeden Augenblick in die Erinnerung zurück.»Es wurde schlimmer und schlimmer, bis er schließlich das Bett nicht mehr verlassen konnte. Ich habe ihn drei Jahre lang gepflegt. Es war Teil meines Lebens geworden, etwas, das ich tragen mußte, ohne Mitleid oder Hoffnung. Dann, eines Morgens, starb er. Ich wußte nicht, daß er auch einige Geschäfte auf eigene Rechnung gemacht hatte, schlechte Geschäfte. Wenige Stunden nach seinem Tod stellte ich fest, daß ich ohne Geld und völlig allein dastand.»
Bolitho versuchte sich vorzustellen, wie es für sie gewesen sein mußte. Und doch sprach sie ohne Bitterkeit oder Groll. Vielleicht hatte sie während der langen Krankheit ihres Mannes gelernt, die Dinge so zu nehmen, wie sie waren.
Er sagte:»Wenn ich irgend etwas tun kann…»
Sie hob die Hand, lächelnd über seinen Eifer.»Sie haben genug getan. Sobald die Straße wieder befahrbar ist, werde ich in London ein neues Leben beginnen.»
«Darf ich fragen, was Sie vorhaben?»
«In Bombay hatte ich ein einziges Mal großes Glück. Ich traf zufällig einen leitenden Herrn der Handelsgesellschaft, und zu unser beider Erstaunen stellten wir fest, daß wir verwandt sind. «Sie lächelte bei der Erinnerung.»Sehr entfernt nur, aber es war wie eine rettende Hand, die sich einem Ertrinkenden entgegenstreckte.»