Bolithos Schuhe quietschten im Gras, als er sich umdrehte und den rechten Arm senkte. Über den glatten Lauf sah er deutlich Roches Hand und erkannte, daß seine Arme herunterhingen und die Pistolenmündungen auf die Erde zeigten.
Roche rief heiser:»Ich kann nicht auf Sie schießen, Sir! Bitte!»
Sein Sekundant, der es gewohnt war, daß umgekehrt das Opfer Ro-che anflehte, bevor er es niederschoß, wandte sich erstaunt zu ihm um.
Bolitho hielt die Pistole weiter auf ihn gerichtet, obwohl sie ihm so schwer wie ein Kanonenrohr vorkam.
Er sagte:»Wenn Sie mich erledigen, Mr. Roche, glauben Sie, daß dann derjenige, der Sie dafür bezahlte, meinen Neffen zu töten, zu Ihnen halten wird? Bestenfalls wird man Sie auf Lebenszeit deportieren. Aber ich schätze, daß viele alles darum gäben, Sie am Galgen baumeln zu sehen, wohin ein gemeiner Verbrecher wie Sie auch gehört.»
Die Pistole in Bolithos Hand wurde so schwer, daß er sich wunderte, wie ruhig er sie trotzdem hielt. Er rief:»Wenn ich andererseits Sie töte, ist die Sache erledigt, denn Ihr Auftraggeber wird kaum zugeben, daß er daran beteiligt war.»
Der Sekundant rief unsicher:»Ich muß doch bitten, meine Herren!«Ein Taschentuch erschien über seinem Kopf.»Wenn ich dieses Tuch senke, feuern Sie!»
Bolitho nickte.»Ich bin bereit.»
Roches Umriß wurde schmaler, da er Bolitho jetzt die rechte Seite zuwandte. Er hob die Pistole, die nun genau auf Bolitho zeigte.
Es hatte nicht gewirkt. Wie lange noch? dachte er. Drei Sekunden?
Das Taschentuch bewegte sich, und im gleichen Augenblick fiel Roche auf die Knie und warf beide Pistolen ins Gras.
«Bitte! Bitte, haben Sie Erbarmen!»
Bolitho ging langsam auf ihn zu, wobei ihm jeder Schritt durch seine schmerzende Wunde Qualen bereitete. Aber der Schmerz stachelte ihn eher an, als daß er ihn lahmte. Er ließ den Blick nicht von dem knienden, wimmernden Leutnant, bis er weniger als einen Meter von ihm entfernt stand.
Roche hatte aufgehört zu stammeln und blickte starr in die schwarzen Mündungen.
Bolitho sagte eiskalt:»Ich habe bessere Männer als Sie aus geringerem Anlaß sterben gesehen. Mein Neffe, den Sie beleidigten und ohne Grund verhöhnten, hat Taten vollbracht, die Leute Ihres Schlages nicht einmal in der Zeitung zu lesen sich die Mühe machen. Sie widern mich an, und ich wüßte keinen zwingenden Grund, warum ich Sie noch einen Augenblick länger leben lassen sollte.»
Sein Finger straffte sich am Abzug, doch da hörte er Clinton ruhig sagen:»Wenn es Ihnen recht ist, Sir, lege ich die Waffen jetzt zurück. «Er nahm Bolitho die Pistolen aus den Händen und setzte hinzu:»Mr. Roches Heldentat wird bis zum Mittag in ganz Portsmouth bekannt sein. Und niemand kann sagen, wo die Geschichte morgen erzählt wird«, er drehte sich zu dem völlig niedergeschmetterten Roche um,»und zwar mit Genuß, worauf Sie Gift nehmen können!»
Bolitho nickte dem Sekundanten zu und begab sich dann zu seinem Wagen.
Clinton marschierte neben ihm, und sein Atem hing wie Dampf in der kalten Luft.
«Gesindel, Sir! Ich habe trotzdem Blut und Wasser geschwitzt.»
Bolitho sah hinunter auf die Blutspur auf seiner Kniehose. In dem trüben Licht wirkte sie wie ein Farbfleck.
«Ja, Major. Gesindel. Aber das Schlimme war: Ich wollte ihn töten. Wenn Sie nicht gewesen wären. «Er schüttelte den Kopf.»Nun werde ich nie wissen, ob ich es getan hätte.»
Clinton lächelte erleichtert.»Er auch nicht, Sir.»
XIV Belinda
Edmund Loveys, Schiffsarzt der Benbow, straffte die schmalen Schultern und betrachtete Bolitho so vorwurfsvoll, wie seine Dienststellung es erlaubte.
«Sie haben all meine Mühe fast zunichte gemacht, Sir. «Er bückte sich und tupfte die offene Wunde mit einem Lappen ab, wobei er seinen Ärger kaum verbergen konnte.»Es grenzt an ein Wunder, daß Sie bei Ihrem Ritt keinen Wundbrand bekommen haben; von dem, was beim Duell passieren konnte, ganz zu schweigen.»
Bolitho legte sich auf der Sitzbank unter den Heckfenstern zurück und blickte durch die salzverkrusteten Scheiben. In dem Maße, wie er seine Gefühle wieder unter Kontrolle brachte, erkannte er die Torheit seiner Tat. Er hatte London verlassen, ohne die Admiralität zu informieren. Sogar jetzt noch konnte eine Konferenz zusammengerufen werden, um die künftige Strategie zu besprechen. Außerdem hatte er sein Beauchamp gegebenes Versprechen gebrochen, als er Roche zum offenen Kampf stellte. Doch selbst das war ihm im Augenblick unwichtig erschienen.
Er sagte:»Ich bitte um Entschuldigung, aber es war wichtig.»
Loveys schmollte.»Das habe ich längst gehört, Sir. Die Geschichte von Ihrem Duell mit Leutnant Roche ist in ganz Portsmouth bekannt.»
Bolitho setzte sich langsam auf. Das war zu erwarten gewesen. Derlei Dinge blieben in der Marine nicht lange geheim.
Er sah auf seinen Schenkel nieder, auf das fahle Fleisch um den dikken Verband, den Loveys wieder einmal anlegte. Seltsam, dachte er, als junger Leutnant hatte er es nie für möglich gehalten, daß ein Kapitän oder gar ein Flaggoffizier auch sterblich war; nun saß er hier, nackt wie am Tag seiner Geburt, nur mit einer Decke über den Schultern. Herrick hatte öfter nach ihm gesehen als nötig, und das wohl vor allem, um ihn bei guter Stimmung zu halten. Die Benbow war fast wieder einsatzbereit. Ihre Lasten, Magazine und Wassertanks waren bis oben gefüllt, aber Herrick hatte noch eine Menge zu tun. Neue Leute mußten verpflichtet und vereidigt werden, ein Leutnant namens Oughton war eingetroffen, der Pascoe ersetzen sollte — all diese Dinge gingen eigentlich nur Herrick an, er trug sie aber Bolitho vor, um ihn vom Grübeln abzuhalten.
Bolitho fragte sich, wie Pascoe wohl auf der Relentless zurechtkommen mochte. Die Fregatte mußte jetzt gerade aus dem Kanal in die Nordsee segeln. Es war eine andere Welt auf solch einem Schiff, aber Pascoe würde bald dazugehören. Schade, daß er ihn vor dem Auslaufen nicht mehr hatte sehen können. Er hatte es sogar verpaßt, die Fregatte Segel setzen zu sehen, weil er gerade zu der Zeit seinen Plan schmiedete, wie er Roche bluffen oder — seiner heroischen Geste wegen — sterben würde.
Loveys sagte:»Versuchen Sie, jetzt etwas zu ruhen, Sir, sonst werden Sie zeitlebens hinken, wenn nicht noch Schlimmeres eintritt.»
«Verstehe. Vielen Dank.»
Bolitho kam stöhnend auf die Füße. Ozzard stand mit dampfendem Kaffee bereit und verzog keine Miene — das hatte er inzwischen gelernt — , als Bolitho einige Schritte zum Tisch taumelte. Die Wunde brannte wie Feuer, als wäre er doch bei dem Duell getroffen worden.
Er fragte sich, was Allday jetzt wohl machte. Er hätte inzwischen mit dem geborgten Wagen in Portsmouth sein müssen. Wieder sah er sein flehendes Gesicht vor sich und fühlte, daß er ihn hier brauchte, und sei es nur, um ihn aufzuheitern und ihm zu beweisen, daß er wirklich noch lebte.
Herrick trat ein und registrierte Bolithos Nacktheit, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
«Ich möchte unseren Ankerplatz morgen nach Spithead verlegen, Sir, sobald wir die Proviantübernahme beendet haben. Der Wind ist günstig, und ich mag nicht länger im Innenhafen liegen.»
«Dann benachrichtigen Sie den Hafenadmiral, Thomas. Ich würde gern möglichst bald zum Geschwader zurückkehren. Hier hält mich nichts mehr. «Er besann sich im gleichen Augenblick.»Verzeihen Sie, ich habe nur an mich selber gedacht. «Er zuckte die Achseln.»Wieder einmal.»
Herrick lächelte.»Verstehe. Ich habe zwar noch nie im Leben ein solches Glück erlebt wie mit Dulcie, aber ich will es nicht konservieren, indem ich hierbleibe. Ein neues Jahr ist angebrochen, vielleicht bringt es den Frieden. Zwar deuten alle Anzeichen darauf hin, daß der Feind sich wieder in den Kanalhäfen sammelt, aber Ihre Gefechte mit Ropars und der Ajax haben einen gleichzeitigen Angriff aus der Ostsee zumindest verzögert, wenn nicht vereitelt. Selbst die undankbaren Tölpel in der Admiralität müßten das erkennen.»