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Jetzt war es soweit. Der Wind stand günstig, das Schiff lag so hoch an, wie es konnte und die Leinwand noch zog. Wenn sie um die Felsspitze herum waren, mußte alles schnell und wirkungsvoll ablaufen, mußte der Überraschungseffekt wie kaltes Wasser auf einen schlafenden Matrosen wirken.»Rennen Sie die Kanonen aus, wenn's beliebt!«Bolitho vermied es, die kleine Gruppe von Offizieren anzuschauen. Wenn die Bucht leer war, würden sie über seine läppischen Vorbereitungen lachen. Aber wenn er kostbare Minuten opferte, um sein Ansehen zu retten, mußten sie ihn mit Recht verfluchen.

Als der Zweite Offizier ein Handzeichen gab, rumpelten die Geschütze auf ihren quietschenden Lafettenwagen an die Lee-Pforten und wurden in ihrer Abwärtsbewegung mit Taljen und Handspaken gebremst. Es war keine leichte Arbeit auf dem tückisch glatten Deck.

Fast gleichzeitg steckten die Zwölfpfünder ihre schwarzen Mäuler aus den Stückpforten, während hier und da ein Richtschütze den Schnee von seinem Schützling wischte.»Steuerbord-Batterie ist ausgerannt, Sir!»

«An Deck!«Die spannungsvolle Erwartung ging plötzlich zu Ende, als der Ausguck im Mastkorb aufgeregt herunterrief:»Schiffe vor Anker hinter der Spitze, Sir!»

Bolitho schaute Neale und Allday an, der hinter ihm stand und mit seinem Entermesser Löcher in die Luft schlug, als kämpfe er mit einem Feind. Sein Blick schweifte weiter nach vorn, wo sein Neffe auf einen Geschützwagen geklettert war, um besser über die Netze sehen zu können. Wenn alle anderen an ihm gezweifelt hatten — diese drei bestimmt nicht.

«Klar zum Abfallen!»

«An die Brassen, Schoten und Halsen!»

Während Toppsgasten und Decksleute auf Posten rannten, blieben die Geschützbedienungen ruhig an ihrem Platz, jeder Geschützführer auf Ordnung in seiner kleinen Welt bedacht, die von der Stückpforte wie ein Bild eingerahmt wurde.

Neale hob die Hand.»Ruhig, Leute! Ganz ruhig bleiben!»

Bolitho hörte ihn. Es klang, als besänftige jemand ein nervöses

Pferd.

Er starrte gebannt über die Netze und konnte seine Gefühle kaum noch beherrschen. Da lag es vor ihnen: ein halbes Dutzend Handelsschiffe, eng beieinander geankert. In ihren weißen Schneemänteln, den kreuz und quer gebraßten Rahen und ihrer Leblosigkeit machten sie einen ziemlich niedergeschlagenen Eindruck.

Allday hatte sich hinter ihn geschoben, wie immer, um ihm nahe zu sein. Und bereit. Bolitho konnte ihn aufatmen hören, als er sagte:»Englische Schiffe, ohne Zweifel, Sir. «Sein kräftiger Arm schoß vor.»Und schauen Sie da: der verdammte Franzmann!»

Bolitho griff wieder nach dem Glas und suchte sich zwischen Masten und Takelage ein Blickfeld. Da war sie, die Ajax, wie er sie in der Erinnerung hatte. Näher zum Ufer hin lag ein weiteres Kriegsschiff, größer und wuchtiger. Wahrscheinlich ein ehemaliger Zweidecker: der Begleiter der beschlagnahmten Handelsschiffe, hier vor Anker, um besseres Wetter oder neue Befehle abzuwarten.

Die blassen Umrisse der Festungswälle verloren sich fast hinter den herabrieselnden Schneeflocken, aber irgendwo schmetterte ein Trompetensignal, und Bolitho konnte sich gut vorstellen, wie die aufgeschreckten und fluchenden Soldaten umherrannten, um ihre Verteidigungsstellungen zu bemannen. Niemand war begeistert, wenn er aus seinem warmen Nest in ein solches Wetter gejagt wurde.

«Jetzt, Captain Neale! Ändern Sie Kurs, und fahren Sie knapp hinter den Handelsschiffen vorbei.»

Weit weg ein Kanonenschuß, der Knall wurde vom Schnee gedämpft. War es ein Probeschuß? Ein Alarmsignal? Bolitho fühlte Erregung in sich aufsteigen wie Fieber. Was auch kam, jetzt war es für ein Ausweichen zu spät.

Er packte wieder das Geländer, um sich zu beruhigen, während Ruder gelegt wurde und die Styx Kurs auf den Ankerplatz nahm. Er berührte den prächtigen, vergoldeten Griff seines Ehrensäbels und erschrak, als ihm einfiel, daß er seinen alten Degen auf der Benbow gelassen hatte. Allday bemerkte diesen Augenblick der Unsicherheit und fühlte mit ihm.

Bolitho drehte sich um und sah ihn an. Er wußte, daß Allday ihn verstand und sich selber die Schuld zuschob.

«Keine Sorge, Allday, wir konnten nicht wissen, daß unser Besuch bei den Dänen hier enden würde.»

Beide lächelten, aber keiner machte dem anderen etwas vor. Es war wie ein Omen.

«Die Ajax hat ihre Ankertrosse gekappt, Sir!«Ein Midshipman hüpfte vor Aufregung.»Sie sind völlig durcheinander!»

Bolitho sah das erste Stück Leinwand an den Rahen der gegnerischen Fregatte erscheinen und beobachtete den steilen Winkel ihrer Masten, als Wind und Strömung sie zum Ufer trieben.

Neale hatte sein Schwert gezogen und hielt es über die Köpfe der nächsten Geschützbedienung, als wolle er sie zurückhalten. Das französische Schiff trat nun deutlicher aus dem Schneetreiben hervor und gewann Umriß und Persönlichkeit. Weitere Segel waren gesetzt, und über das Getöse von Wellen und schlagender Leinwand hinweg hörten sie das Gepolter der Geschützwagen und den eindringlichen Ton einer

Pfeife.

Über die Schulter rief Neale:»Nicht zu stark abfallen! Wir wollen den Franzosen zwischen uns und der Landbatterie halten!»

Bolitho beobachtete die feindliche Fregatte, als sie nach achtern auswanderte. Neale hatte nichts vergessen. Aus dem Augenwinkel sah er, als die Styx ihre leichte Kursänderung vollendet hatte, wie das Schwert des Kommandanten niederfuhr.

«Ziel aufgefaßt! Feuern!»

VI Schnell geschafft

Bolithos Augen brannten von dem Pulverqualm, den eine launische Bö über das Achterdeck geweht hatte. Er beobachtete, wie die Kanonen beim Abschuß zurückrollten und der wirbelnde Schneevorhang jedesmal wie von feurigen Zungen aufgerissen wurde. Seine Ohren waren durch den Lärm fast taub. Jetzt fielen auch die Sechspfünder auf dem Achterdeck mit ihren grelleren Tönen in das Konzert ein. Die Kugeln schlugen kurz vor oder hinter dem anderen Schiff ins Wasser, einige trafen sogar.

Sofort nach dem Schuß sprangen die Geschützbedienungen wie die Verrückten hinzu, wischten die Rohre aus, luden sie aufs neue mit Kartuschen und Kugeln und warfen dann ihr Körpergewicht in die Taljen, um die Lafetten wieder in Abschußstellung zu ziehen.

Und noch immer hatte der französische Kommandant nicht einen einzigen Schuß als Antwort gefeuert.

Immer wieder hoben sich die Fäuste der Geschützführer zur Klarmeldung, immer wieder brüllte der Erste Offizier:»Salve! Feuern!»

Bolitho hielt die Hand über die Augen und versuchte, den Pulverqualm zu durchdringen, der leewärts zum anderen Schiff hinübergetrieben wurde. Sie liefen jetzt aufeinander zu. Die etwas schwerere Ajax setzte auch noch ihre Bramsegel, um sich den Weg ins offene Wasser zu erkämpfen.

Ein Hurra erklang, als eine Salve der Styx durch die Marssegel der Ajax fegte und der Wind die Löcher, die die Kanonenkugeln geschlagen hatten, weiter aufriß. Auch das Großsegel war getroffen und zerriß wie ein alter Sack.

Dann antwortete der Feind. Auf eine Entfernung von etwas einer Kabellänge {185 Meter} kam die Breitseite schlecht gezielt heraus, aber Bolitho fühlte, wie die Eisenkugeln in die hölzernen Planken der Styx einschlugen. Ein verirrtes Geschoß traf sogar etwas weiter achtern unterhalb seines Standorts. Das Deck federte wie nach einem heftigen Hammerschlag zurück, aber Neales Geschützbedienungen schienen es gar nicht zu bemerken.»Stopft die Zündlöcher! Wischt die Rohre aus! Laden!«Die täglichen Übungen, der harte Drill, die vielen Flüche — jetzt zahlten sie sich aus.

«Kanonen ausrennen!»

Der Pulverqualm lag mit immer wieder rot und orange aufleuchtendem Kern zwischen den beiden Schiffen, als ob er ein eigenes Leben besäße. Dann schlugen abermals Kugeln in die Bordwand der Styx ein, gerade als sie selber eine Breitseite abfeuern wollte.

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