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XII Liebe und Haß

Admiral Sir George Beauchamp stand mit dem Rücken zum hohen Raum am Fenster und blickte verdrießlich auf den weiten Platz von Whitehall hinaus.

Es war ein naßkalter Tag, aber viele Kutschen und Lastwagen waren unterwegs. Es wimmelte von geschäftigen, dick vermummten Gestalten und dampfenden Pferden. Für Beauchamps ausgeprägten Ordnungssinn wirkte das alles chaotisch.

Bolitho saß sehr gerade auf einem Stuhl und zwang sich, nicht an das schmerzende Bein zu fassen.

Es war eine lange Fahrt von Swinburnes schönem Landsitz bis hierher gewesen. Browne hatte ausnahmsweise einen traurigen Gesellschafter abgegeben. Jedesmal, wenn eines der Wagenräder in eine Furche rutschte, hatte er gestöhnt und gegen Erbrechen gekämpft. Als sie an einem Gasthof Pause machten, hatte Allday schadenfroh geäußert:»Ihr kleiner Trick scheint ein voller Erfolg gewesen zu sein, Sir. Mr. Browne sieht aus wie ein lebender Leichnam.»

Bolitho war sofort nach seiner Ankunft in diesen Raum gebeten worden, und als er die obersten Treppenstufen nahm, sah er, daß ein unglücklicher Offizier, der offenbar gerade hineingehen wollte, ihm den Vortritt lassen mußte.

Beauchamp hatte Bolitho ohne Wärme die Hand geschüttelt und ihn dabei gemustert wie ein Pferdekenner ein abgehetztes Roß. Dann saß er, die dürren Finger zusammengepreßt, wie verloren in seinem großen Stuhl, während Bolitho den Angriff auf die französische Fregatte und das spätere Zusammentreffen mit Ropars' Geschwader schilderte. Gelegentlich beugte Beauchamp sich vor, die Ausführungen mit Bo-lithos schriftlichem Bericht zu vergleichen, aber er unterbrach ihn nicht.

Bolitho schloß mit den Worten:»Ich möchte betonen, daß der Erfolg der Initiative und dem Können meiner Kommandanten zu verdanken war.»

Als Bolitho verstummte, war Beauchamp zum Fenster hinübergegangen, als wolle er damit andeuten, daß er Zeit brauche, sich ein Urteil zu bilden. Jetzt wandte er sich um und sagte:»Ich habe inzwischen von Ihrem Freund Inskip gehört. Ihre Aktion scheint nicht ganz in sein diplomatisches Konzept gepaßt zu haben. «Er lächelte flüchtig.»Zur Zeit laufen mehr Gerüchte durch die Korridore der Admiralität und von St. James als damals, als die Franzosen ihren König köpften.»

Er spitzte den Mund.»Einige behaupten, Ihr Angriff auf die Ajax sei eine Provokation in neutralen Gewässern gewesen. Zar Paul von Rußland hat dieses Argument bestimmt benutzt, um weiteren Rückhalt für seinen Plan, an Napoleons Seite zu treten, zu gewinnen. Hätten die dänischen Batterien auf die Styx geschossen, als Sie in Kopenhagen einliefen, so hätte das unverzüglich zu einem Krieg geführt, den durchzustehen, geschweige denn zu gewinnen, wir angesichts unserer anderen Verpflichtungen wenig Aussicht gehabt hätten. Nein, Bolitho, es gibt hier einige Leute, die behaupten, meine Entscheidung für Sie als Befehlshaber des Ostsee-Geschwaders sei übereilt, ja falsch gewesen.»

Bolitho blickte zum Fenster, an dem lange Bäche von Regenwasser herunterrannen. Seine Gedanken schweiften zurück zu dem Leutnant der Seesoldaten, der die blutüberströmten Hände vor das Gesicht geschlagen hatte. Zu dem jüngsten Leutnant der Benbow, dem der Unterkiefer weggeschossen worden war. Andere Gesichter, in der Hitze der Schlacht von Leidenschaft und Haß verzerrt, marterten sein Hirn. Das alles sollte vergeblich gewesen sein? Zar Paul hatte sechs Prisen verloren, die er unrechtmäßig beschlagnahmt hatte, aber die schnelle Aktion der Styx hatte ihm den Vorwand geliefert, den er benötigte.

«Wenden wir uns nun einen Augenblick Ihrer Begegnung mit Ro-pars' Geschwader zu. «Beauchamps bestimmter Ton brachte Bolitho zurück in die Gegenwart.»Unsere Informanten berichten, daß der französische Transporter tatsächlich Soldaten an Bord hatte, die als Ausbilder für die Armee des Zaren vorgesehen waren. Ihre Aktion, Bolitho, insbesondere die Vernichtung des feindlichen Vierundsiebzigers, zerstreute Ropars' Schiffe. Er verlor dann außerdem eine Fregatte beim Blockadegeschwader im Kanal.»

«Das also wurde anerkannt, Sir?«Bolitho konnte seine Verbitterung nicht verbergen.

Beauchamp antwortete scharf:»Reagieren Sie nicht wie der jüngste Leutnant, Bolitho. Ich muß Gerüchte ebenso berücksichtigen wie Tatsachen. Als Flaggoffizier täten Sie gut daran, meinem Beispiel zu folgen!«Er beruhigte sich wieder.»Selbstverständlich wurde es anerkannt, verdammt noch mal. Die Geschichte lief entsprechend übertrieben und verzerrt wie ein Lauffeuer durch London. Wenn Ropars in die Ostsee gelangt wäre, hätten wir ihn nur mit Gottes Hilfe wieder hinausbefördern können. Mit französischen Ausbildern und all diesen

Schiffen hätte uns Zar Pauls >Unheilige Allianz< an der Kehle packen können. Man hat mir mit gleicher Sicherheit gesagt, daß eine Invasion von den französischen Kanalhäfen aus gleichzeitig mit einem großen Ausfall aus der Ostsee geplant war. Nun, was uns die Zukunft auch bringen mag: für den Augenblick haben wir durch Ihren Sieg Zeit gewonnen. Aber bevor das Eis in den russischen Häfen schmilzt, müssen wir bereit sein.»

Bolitho überlegte, was geschehen wäre, wenn ihm ein anderer Ad-miral gegenübergesessen hätte. Beauchamp war unbarmherzig, wenn es sein mußte, aber auch bekannt für seine Fairneß.

Der kleine Admiral fuhr fort:»Dessen ungeachtet gibt es Kritiker, die fragen, warum Ihr Flaggkapitän nicht auf die Meldung der Brigg, daß Ropars nach Irland unterwegs sei, reagiert habe. Ein derartiges Ziel schien vielen einleuchtend. Der König hat erst kürzlich einer Änderung unserer Flagge zugestimmt, durch die Irland dem Vereinigten Königreich auch äußerlich angegliedert wird. Vom l. Januar an, also ab nächster Woche, wird es Fremden weniger einfach erscheinen, dort einen Aufstand auszulösen.»

«Kapitän Herrick hat — wie sich zeigte — richtig gehandelt, Sir. Hätte er das getan, was Sie andeuten, wäre niemand mehr dagewesen, um Ropars aufzuhalten.»

«Möglicherweise. Aber ich hatte Sie gewarnt, als Sie die Ernennung annahmen. Neider sind nie weit weg.»

Hinter der hohen Tür hüstelte jemand diskret, und Beauchamp schaute auf die Uhr.»Sie werden nach der Reise müde sein.»

Die Besprechung war beendet.

Bolitho stand auf und belastete vorsichtig sein Bein. Es fühlte sich wie abgestorben, völlig leblos an. Er wartete auf das erste prickelnde Stechen, das die Wiederkehr der Blutzirkulation ankündigte, und fragte:»Werden Sie mich noch einmal benötigen, Sir?»

«Möglicherweise. Ich habe mir erlaubt, eine angenehme Unterkunft für Sie reservieren zu lassen. Mein Sekretär wird Ihrem Flaggleutnant die Adresse geben. Wie macht sich Browne übrigens?»

Bolitho ging zur Tür, von Beauchamp begleitet. Er war sich immer noch nicht klar, ob der Admiral seine Handlung billigte oder sich erst noch eine Meinung darüber bilden wollte.

«Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich ohne ihn ausgekommen wäre, Sir. «Er sah ihm in die Augen.»Er ist außerordentlich tüchtig.»

Beauchamp zog eine Grimasse.»Und unverschämt, wenn es ihn überkommt. «Eine Hand auf der Türklinke, sagte er:»Die nächsten Monate werden sehr aufreibend, vielleicht sogar kritisch werden. Wir brauchen jeden guten Offizier, jeden loyalen Mann, wenn wir überleben oder gar siegen wollen. «Er studierte Bolithos unbewegliches Gesicht und setzte hinzu:»Sie wissen über Sir Samuel Damerum Bescheid? Natürlich, ich sehe es Ihnen an. Meine Agenten haben berichtet, daß Browne hier überall nach Informationen herumschnüffelte. Das Übrige ist leicht zu erraten.»

«Ich habe nicht die Absicht, Sie oder meinen Auftrag irgendwie in mein Privatleben hineinzuziehen, Sir. «Er kam nicht weiter.

Beauchamp sagte:»Ich mag Sie, Bolitho, und bewundere Ihre Kühnheit ebenso wie Ihre Menschlichkeit. Aber wenn Sie irgendwen mit hineinziehen, wird es keinen Auftrag geben. Habe ich mich klar ausgedrückt? Sie stehen jetzt darüber. Bleiben Sie so.»

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