Allday kam in die Kajüte und hängte den Ehrensäbel wieder in seine Halterung unter dem anderen. Er sagte:»Ich war doch etwas in Sorgen neulich, Sir. Einen Augenblick jedenfalls.»
Bolitho zuckte die Achseln.»Mit dem Aberglauben ist das so eine Sache.»
Allday grinste erleichtert.»Die Leute in Falmouth wären ganz schön entsetzt gewesen, wenn Sie ihn zerbrochen hätten. Darauf können Sie sich verlassen, Sir.»
Bolitho setzte sich, er fühlte sich plötzlich müde.»Holen Sie mir was zu trinken, bitte. «Dann lächelte er.»Und wir wollen aufhören, uns gegenseitig etwas vorzumachen.»
VII Klar Schiff zum Gefecht
Am Morgen war es sehr kalt, und als Bolitho zu seinem gewohnten Spaziergang an Deck kam, empfand er die eisige Luft als genauso unangenehm wie kürzlich vor Gotland.
Er schaute hinauf zum Himmel, der zwar wolkenlos war, aber grau wie die See, bleiern grau.
Durch das Fernrohr beobachtete er die anderen Schiffe, verfolgte ihre morgendlichen Routinearbeiten, zu denen das Setzen und Trimmen der Segel gehörte, um wieder den vorgeschriebenen Platz in der sich langsam vorwärtsbewegenden Linie einzunehmen. Von der Loo-kout war noch nichts zu sehen, aber vom Mastkorb aus konnte man sie vielleicht schon ausmachen.
Der Erste Offizier marschierte auf der Leeseite auf und ab. Sein rotes Haar, das unter seinem Hut im Winde flatterte, bildete den einzigen lebhaften Farbfleck an Deck.
An ihm war nichts herumzurätseln oder zu kritisieren. Wolfe war Erster Offizier und würde über kurz oder lang, wenn er Glück hatte, sein eigenes Schiff führen. Hier auf der Benbow war es seine einzige Aufgabe, das Schiff wie ein gut gestimmtes Instrument zu handhaben und für seinen Kommandanten in höchstmögliche Gefechtsbereitschaft zu bringen.
Bolitho ließ die Gedanken von der täglichen Routine zur eigenen Lage schweifen. Zwei Tage lang waren sie zuerst nach Westen, dann nach Norden gesegelt: zwei Tage, in denen sie ihre Patrouille vor den Ostseeeingängen vernachlässigt hatten. Angenommen, seine Überlegungen waren falsch? Angenommen, er hatte im Bemühen, den Erfolg seines Geschwaders auszuweiten — ungeachtet von Inskips Zweifeln und Warnungen — das Nächstliegende versäumt?
Die Begeisterung in England angesichts der Styx und ihrer Kampfesspuren konnte nicht ewig anhalten. Sehr bald schon würde er sich zu entscheiden haben: weiter durchzuhalten oder auf seine küstennahe Station zurückzukehren. Wenn er es andererseits unterließ, seine Schiffe — oder wenigstens einige davon — in die irischen Gewässer zu führen, und wenn er einer fixen Idee zuliebe keinen Kontakt mit dem französischen Geschwader bekam, würde das Damerum und der Admiralität kaum schmecke n.
Wolfes rauhe Stimme riß ihn aus seinen Gedanken:»Also, Mr. Pas-coe, was höre ich da über Ihre Bitte, die Landratte Babbage zu versetzen? Zur Achterdecksmannschaft, sagen Sie?«Er beugte sich vor und wirkte dabei wie ein ungeschlachter Riese, der auf den schmächtigen Leutnant herabsah.
Pascoe antwortete:»Ja, Sir, er wurde in Plymouth gepreßt. Es kommt aus Bodmin, und.»
Wolfe brummte ungeduldig:»Und ich komme aus dem verdammten Bristol, aber was hat das damit zu tun, he?»
Pascoe versuchte es noch einmal:»Midshipman Penels bat um die Versetzung, Sir. Sie sind zusammen aufgewachsen. Babbage arbeitete für Penels Mutter, seit sein Vater gestorben war.»
«Ist das alles?«Wolfe nickte zufrieden.»Gut, das wußte ich bereits. Deshalb habe ich sie ja getrennt, als ich von ihrer Beziehung zueinander hörte.»
«Ich verstehe, Sir.»
«O nein, Mr. Pascoe, Sie verstehen nicht. Aber lassen wir das. Sie haben gefragt, und ich habe nein gesagt. Nun nehmen Sie ein paar Leute mit zum Vorschiff, und schauen Sie mal nach dem Schanzkleid. Mr. Swale meldet, daß es Risse bekommen hat. Die Teufel haben wahrscheinlich ungeeignetes Holz beim Bau verwendet.»
Pascoe tippte an seinen Hut und marschierte zur Laufbrücke.
Als er außer Hörweite war, rief Bolitho:»Mr. Wolfe, einen Augenblick bitte!»
Bolitho war schon ziemlich groß, aber Wolfe gegenüber kam er sich wie ein Zwerg vor.
«Sir?»
«Ich habe eben unfreiwillig Ihre Gespräch mit angehört. Vielleicht sind Sie bereit, Ihr Wissen mit mir zu teilen?»
Wolfe grinste ohne einen Anflug von Verlegenheit.
«Gewiß, Sir. Ich sprach den Offizier, der das Preßkommando in Plymouth führte, als er uns einige Leute an Bord brachte. Er erzählte mir alles über Babbage. Daß er mit einer Nachricht für einen Lagerverwalter nach Plymouth geschickt worden war.»
«Ein langer Weg von Bodmin, nicht wahr, Mr. Wolfe?»
«Aye, Sir. So ist es. Jemand wollte ihn aus dem Weg haben. So schickte man ihn dorthin, wo sich niemand mit der Tatsache, daß er von einem Preßkommando eingefangen wurde, lange aufhalten würde. Wenn Sie verstehen, was ich meine, Sir?»
Bolitho schaute finster drein.»Penels Mutter?»
«Das nehme ich an, Sir. Ihr Mann tot, ihr Sohn auf See — da hat sie sich wohl nach einem neuen, hm, Ehemann umgesehen. Babbage war ihr lästig, er lebte mit im Haus, sah und hörte alles. Sie konnte nicht wissen, daß Babbages Ankertau sich ausgerechnet in dem unseres jungen Herrn Penels verfangen würde.»
«Vielen Dank, daß Sie mich informiert haben.»
Bolitho dachte an den unglücklichen Babbage. Daß sie einen unbequemen oder unerwünschten Bedienten auf diese Weise loswerden konnten, war Unternehmern und Landbesitzern nicht unbekannt. Man schickte ihn mit einen Auftrag weg und benachrichtigte gleichzeitig einen Werber oder das Preßkommando. Das weitere ergab sich dann von selbst.
Wolfe fügte hinzu:»Mr. Pascoe wird ein guter Offizier werden, Sir. Und das sage ich nicht, um mich bei Ihnen beliebt zu machen. Auch er wird die Ränke von Frauen noch kennenlernen. Warum soll man ihn schon jetzt mit solchen Dingen belasten.»
Er machte eine kurze Ehrenbezeigung und ging mit langen Schritten davon.
Bolitho nahm seinen Marsch wieder auf. Dieser linkische Erste Offizier hatte also noch eine andere Seite, dachte er. >Nicht um mich bei Ihnen beliebt zu machen
«An Deck! Lookout in Sicht. Über den Luv-Bug!»
Bolitho sah, daß der Wachoffizier eine Eintragung über die erste Sichtmeldung des Tages in das Logbuch machte. Weit hinter der Korvette würde Kapitän Rowley Peel auf seiner Relentless eifrig den sich langsam aufhellenden Horizont absuchen. Sooft er an den hart errungenen Sieg der Styx dachte, wünschte er bestimmt für sich und sein Schiff eine ähnliche Chance herbei. Er war sechsundzwanzig, und das war auch schon alles, was Bolitho über ihn wußte. Bis jetzt.
Auf der Lee-Laufbrücke hörte man Fußgetrampel. Ein bulliger Bootsmannsmaat bewegte sich schwerfällig nach achtern und beugte sich zu dem Offizier hinab, der gerade dabei war, das Logbuch wieder in seine Segeltuchhülle einzuschlagen.
«Verzeihung, Mr. Speke, Sir. Im unteren Batteriedeck hat es eine Keilerei gegeben. Ein Mann hat einen Unteroffizier mit einem Schemel niedergeschlagen.»
Speke, der Zweite Offizier, war laut Herrick ein tüchtiger Offizier, aber mit der Neigung, zu rasche Entschlüsse zu fassen.
Jetzt erwiderte er scharf:»Gut, Jones. Melden Sie es dem Wachtmeister, {»master-at-arms«= der (meist recht unbeliebte) Bordpolizist im Range eines Deckoffiziers (Anm. d. Übers.)} ich werde es für den Ersten Offizier ins Logbuch eintragen. Wer ist es übrigens?»
Irgendwie — es gab dafür keine vernünftige Begründung — wußte Bolitho schon, wer es war.
«Babbage, Sir. Von Mr. Pascoes Division. «Und als wäre es ihm eben noch eingefallen, fügte er grob hinzu:»Er hat den Unteroffizier krankenhausreif geschlagen, Sir. Den Schädel gespalten hat er ihm!»
Speke nickte bedeutungsvoll.»Das war's, Jones. Gehen Sie zu Mr. Swale. Melden Sie ihm, daß wir eine Strafgräting auftakeln müssen.»