Wolfe bremste ab und berührte kurz seinen Hut. Er holte mehrmals tief Luft, als könne er seine Energie, die nicht unbeträchtlich war, nur auf diese Weise zügeln.
«Alles klar, Sir!«Er hatte eine rauhe, tonlose Stimme, die den nahe dabeistehenden Midshipman zusammenzucken ließ.»Ich habe alles an seinen Ort gebracht und für alles auch einen Platz gefunden. Geben Sie uns noch ein paar Leute, und wir werden mit jedem Wetter fertig.»
«Wieviel mehr?«fragte Herrick.
«Zwanzig gute Seeleute oder fünfzig Idioten!»
Herrick hakte da ein.»Sind die Leute, die gestern von den Preßkommandos gebracht wurden, brauchbar?»
Wolfe rieb sich das Kinn und beobachtete einen Matrosen, der an einem Backstag herunterglitt.
«Das übliche, Sir. Ein paar Lümmel und ein paar Galgenvögel, aber auch einige gute Leute. Sie werden hineinpassen, wenn der Bootsmann sie sich erst vorgenommen hat.»
Eine Talje quietschte, und einige in Segeltuch eingeschlagene Kisten wurden angehievt und über die Laufbrücke an Deck geschwenkt. Herrick sah, wie Ozzard, Bolithos Diener, die Kisten in Empfang nahm und mit Hilfe einiger Seeleute nach achtern brachte.
Wolfe folgte seinem Blick und bemerkte:»Keine Bange, Sir. Die Benbow wird Sie nicht enttäuschen. «In seiner unverblümten Art setzte er hinzu:»Es ist für mich was Neues, unter einer Admiralsflagge zu fahren, Sir. Ich nehme gern jeden Rat an, den Sie für angebracht halten.»
Herrick musterte ihn ruhig und sagte nur:»Admiral Bolitho duldet keine Nachlässigkeiten, Mr. Wolfe, genausowenig wie ich. Aber ein anständigerer Mann ist mir nie begegnet, und auch kein tapferer. «Er ging wieder nach achtern und fügte in anderem Ton hinzu:»Rufen Sie mich bitte, sowie Sie das Admiralsboot sichten.»
Wolfe blickte ihm nach und bemerkte zu sich selber:»Und es gibt auch keinen besseren Freund für dich, möchte ich wetten.»
Herrick begab sich in seine Kajüte und registrierte auf dem Weg dahin viele geschäftige Gestalten, wie auch Essensdüfte und den starken Geruch nach jungem Holz, Teer, frischen Farben und neuem Tauwerk. Alles war neu auf diesem Schiff, vom Kiel bis zu den Mastspitzen. Und es war seines.
Vor dem Türvorhang hielt er kurz an und beobachtete seine Frau, die am Tisch in der Kajüte saß. Sie hatte ein angenehmes, ebenmäßiges Gesicht und Haare im gleichen Braun wie er selber. Sie war Mitte Dreißig, aber Herrick hatte ihr sein Herz geschenkt wie ein Jüngling einem Engel.
Der Offizier, mit dem sie gerade gesprochen hatte, stand auf und schaute zur Tür.
Herrick nickte ihm zu.»Keine Eile, Adam, Sie werden jetzt noch nicht an Deck benötigt.»
Adam Pascoe, Dritter Offizier der Benbow, war froh über die Unterbrechung. Nicht, daß es ihm unangenehm gewesen wäre, mit der Frau seines Kommandanten zu plaudern, ganz und gar nicht. Aber er war sich, genau wie Herrick, an diesem Tage besonders bewußt, was es für ihn und sie alle heute und in Zukunft bedeutete, wenn die Flagge seines Onkels hier an Bord gesetzt wurde.
Pascoe hatte schon auf der Lysander unter Herrick gedient. Er hatte als Unterleutnant angefangen und war dann, durch Beförderung oder Tod seiner Vorgesetzten, zum Vierten Offizier aufgestiegen. Jetzt, als Dritter Offizier der Benbow, war er immer noch sehr jung, gerade zwanzig. Innerlich war er hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, bei Richard Bolitho zu bleiben oder sich auf ein kleineres, unabhängiges Schiff, eine Fregatte oder Korvette, versetzen zu lassen.
Herrick beobachtete ihn und erriet, was Pascoe dachte.
Ein gutaussehender Junge, dachte er selbst, schlank und sehr dunkel, Bolitho ähnlich, mit der Unruhe eines noch nicht eingerittenen Jungpferdes. Sein Vater, wenn er noch lebte, wäre stolz auf ihn gewesen.
Pascoe sagte:»Ich gehe jetzt lieber zu meiner Division, Sir. Ich möchte nicht, daß heute was schiefläuft. «Er verbeugte sich leicht zu der Dame hin.»Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, Ma'am.»
Allein mit seiner Frau, sagte Herrick nachdenklich:»Ich mache mir manchmal Sorgen um ihn. Er ist noch ein Knabe und hat doch schon mehr Blutvergießen und Scheußlichkeiten gesehen als die meisten in diesem Geschwader.»
Sie antwortete:»Wir sprachen gerade über seinen Onkel. Er hält sehr viel von ihm.»
Herrick ging hinter ihrem Stuhl vorbei und legte ihr die Hand auf die Schulter. >Großer Gott, ich muß dich bald verlassen<, dachte er. Laut sagte er:»Die Wertschätzung ist gegenseitig, Liebste. Aber im Krieg hat ein Offizier des Königs seine Pflichten.»
Sie griff nach seiner Hand und drückte sie gegen ihre Wange.
«Unsinn, Thomas! Du sprichst mit mir und nicht mit einem deiner Seeleute!»
Er beugte sich über sie und fühlte sich zur gleichen Zeit unbeholfen und als ihr Beschützer.»Du wirst gut auf dich aufpassen, wenn wir fort sind, nicht wahr, Dulcie?»
Sie nickte kräftig.»Ich gebe auf alles acht. Und ich sehe auch darauf, daß deine Schwester bis zu ihrer Hochzeit mit allem versorgt ist. Wir werden bis zu deiner Rückkehr eine Menge zu besprechen haben. «Sie stockte.»Wann mag das sein?»
Durch sein neues Kommando und seine unerwartete Heirat hatte Herrick den Kopf so voll gehabt, daß er kaum weiter über den Tag hinaus gedacht hatte, an dem er sein Schiff von Plymouth nach Spithead zum Treffpunkt mit dem übrigen Geschwader bringen sollte.
«Es geht nordwärts, glaube ich. Mag ein paar Monate dauern. «Liebevoll drückte er ihre Hand.»Keine Angst, Dulcie, mit der Flagge unseres Dick im Masttopp sind wir in guter Hut.»
Eine Stimme gellte über ihnen:»Klar Deck überall! Ehrenwache antreten!»
Pfiffe und Kommandolaute schrillten durch die Decks, und Füße stampften über Holzplanken, als die Seesoldaten nach oben stürzten und sich an der Fallreepspforte aufstellten.
Es klopfte kräftig an die Tür, und Midshipman Aggett meldete atemlos, während seine vom Wind geröteten Augen sich auf das halb aufgegessene Stück Kuchen auf dem Tisch richteten:»Meldung vom Ersten Offizier, Sir: Das Admiralsboot hat eben von der Pier abgelegt.»
«Sehr gut, ich komme.»
Herrick wartete, bis der Junge gegangen war.»Gleich werden wir mehr wissen, Liebste.»
Er nahm seinen Säbel aus der Wandhalterung und befestigte ihn am Gürtel. Dann stand er auf und marschierte durch die Kajüte, wobei er das Halstuch und seinen Rock mit den weißen Aufschlägen zurecht-zupfte.
«Thomas, Liebster, ich bin stolz auf dich.»
Herrick war kein großer Mann, aber als er jetzt die Kajüte verließ, um seinen Admiral zu empfangen, fühlte er sich wie ein Gigant.
Richard Bolitho saß kerzengerade auf dem Hecksitz seines Ad-miralsbootes und beobachtete die vor Anker liegenden Schiffe, die mit jedem Schlag der Riemen näher kamen, ohne daß er sich bewußt wurde, was jetzt auf seinem Flaggschiff oder gar auf dem übrigen Geschwader vorging.
Als er in das Boot eingestiegen war, hatte er unter den Kuttergästen einige seiner alten Leute von der Lysander wiedererkannt. Für sie ging es jetzt abermals hinaus, wahrscheinlich hatten sie in der Zwischenzeit nicht einmal Familie und Heimat gesehen.
Allday saß dicht neben Bolitho und beobachtete aufmerksam, wie die weiß gemalten Riemen sich hoben und senkten wie blankpolierte Spinnenbeine. Ein Leutnant führte das Kommando im Boot, der jüngste Offizier der Benbow, und er fühlte sich unter Alldays kritischem Blick ebenso unbehaglich wie wegen der Anwesenheit des Admirals.
Bolitho war fest in seinen Bootsmantel eingewickelt, der sogar noch seinen Hut umhüllte, damit er nicht über Bord geweht wurde.
Er musterte den an der Spitze liegenden Zweidecker; als das Schiff langsam im überkommenden Gischt Umriß und Gestalt annahm, rief er sich in Erinnerung, was er von ihm wußte.
Ein Linienschiff dritter Klasse, {Linienschiffe wurden nach Größe und Kanonenzahl in vier Klassen eingeteilt; die schwerste erste Klasse waren Dreidecker von ca. 2800 Tonnen mit über 100 Kanonen (Anm. d. Übers.)} etwas größer als die Lysander. Sieht blendend aus, dachte er und schätzte, daß Herrick ebenso beeindruckt hatte sein müssen. Er sah die Galionsfigur aus dem Schiffsleib ragen; es schien, als wolle sie mit ihrem erhobenen Säbel seinem Boot ein Zeichen geben. Sie trug den Namen von Vizeadmiral Sir John Benbow, gestorben 1702, nachdem er sein Bein durch ein Kettengeschoß verloren hatte, aber nicht eher, bis er der Hinrichtung seiner Kommandanten beigewohnt hatte, die in der Schlacht feige gekniffen hatten. Es war eine schöne Galionsfigur, dem toten Admiral sicher ähnlich. Würdevoll blickend, mit wehendem Haar und einem schimmernden Brustharnisch, wie man ihn zu jener Zeit getragen hatte. Der alte Izod Lambe aus Plymouth, einer der Besten seines Faches, hatte sie geschnitzt, obwohl er — wie es hieß — blind war.