Литмир - Электронная Библиотека

Der Arm der alten Dame tauchte aus ihren Gewandfalten auf und dirigierte Bolitho auf einen unbequem aussehenden Stuhl ihr gegenüber. Sie bediente sich dazu eines dünnen schwarzes Stockes ähnlich dem, den Major Clinton immer trug.

Von seinem Platz aus blickte Bolitho durch ein paar Fenster, hinter denen weder Häuser noch Bäume zu sehen waren. Vor diesem hellen Hintergrund konnte er die junge Frau nur wie eine Silhouette wahrnehmen, ohne ihr Gesicht oder gar seinen Ausdruck zu erkennen.

Die Frau des Richters sagte:»Wir werden gleich Tee bekommen, Herr.«, sie schaute auf Bolithos Schulterstücke,»Kapitän, ist das richtig?»

Die junge Frau sagte schnell:»Konteradmiral, Ma'am!»

Bolitho bemerkte eine gewisse Gereiztheit in ihrem Tonfall, was ihm verriet, daß sie der Richtersgattin schon von ihm erzählt hatte.

«Ich fürchte, die Details kann ich einfach nicht mehr behalten. «Sie nickte langsam.»Aber ich habe gehört, daß Sie sich auf dem Besitz von Lord Swinburne in Hampshire aufgehalten haben. «Es klang wie eine Anschuldigung.

Bolitho sagte:»Er war sehr hilfsbereit. «Dann versuchte er es noch einmal:»Es sieht so aus, als ob ich bald zum Geschwader zurückkehren könne. «Er wandte sich an ihre Silhouette.»Hoffentlich haben Sie sich hier schon eingelebt.»

«Es geht mir gut, danke.»

Und so plätscherte die Unterhaltung weiter. Jeder Vorstoß Bolithos wurde sofort und förmlich pariert. Wenn er von fernen Ländern sprach, die er besucht hatte, oder von Tieren, Schiffen, Eingeborenen, wurde das Thema mit einem Nicken oder einem geduldigen Lächeln beendet.

«Der Richter wird so oft gerufen, um Recht zu sprechen, daß wir selber keine Zeit zum Reisen finden.»

Bolitho veränderte vorsichtig die Lage seines Beins. Die Frau des Hauses sprach immer nur vom >Richter<, nie sagte sie >mein Mann< oder nannte ihn mit Namen. Was sie zum Thema Reisen vorbrachte, ließ Bolithos Leben an Bord wie die reinste Vergnügungsfahrt erscheinen.

Trocken fuhr sie fort:»Durch den Krieg gibt es viele Ungesetzlichkeiten. Den Richter kommt seine Aufgabe hart an. Aber er hat sich ihr verschworen, und der Erfolg ist ihm Lohn genug.»

Bolitho empfand Mitleid für jeden armen Sünder, der vor diesem Richter erscheinen mußte. Wenn er seiner Frau ähnelte, konnte niemand Mitgefühl oder gar Erbarmen erwarten.

Die Hausglocke schellte, und das Echo kroch wie Wehklagen durch die Korridore.

Die alte Dame schob mit ihrem Stock ein Holzscheit ins Feuer und fragte kühl:»Noch mehr Besucher, Mrs. Laidlaw? Wir scheinen populär zu werden.»

Der Diener kam geräuschlos herein und sagte:»Ich bitte um Vergebung, Ma'am, daß ich störe. «Es klang, als sei er gewohnt, angefahren zu werden.»Da ist noch ein Herr von der Marine. «Er verlagerte seinen Blick auf Bolitho.»Er möchte Sie sprechen, Sir.»

Bolitho erhob sich. Dabei fühlte er, daß die junge Frau sein Bemühen, locker und schmerzfrei zu erscheinen, durchschaute.

«Tut mir leid, aber es muß wohl wichtig sein.»

Als er das Zimmer verließ, hörte er noch die alte Dame sagen:»Ich glaube nicht, daß wir den Tee jetzt benötigen, Simkins.»

Browne stand in regennassem Umhang in der Halle.

Bolitho fragte:»Was ist los? Sind die Franzosen da?»

Browne warf einen schnellen Blick hinter sich.»Es betrifft Ihren Neffen, Sir. «Er hob die Hand, um Bolitho zu beruhigen.»Er ist in Sicherheit, aber es war haarscharf. Kapitän Herrick hat einen reitenden Eilboten geschickt, um Sie sofort ins Bild zu setzen. «In kurzen Sätzen berichtete Browne von Pascoes Zusammenstoß mit Leutnant Ro-che:»Als ich Kapitän Herricks Nachricht las, war ich zunächst entsetzt, Sir. Roche ist ein Rüpel und berufsmäßiger Duellant. Pascoe stieß auf ihn, als er wegen irgendeiner Privatangelegenheit an Land war. Roche machte ihm gegenüber eine Bemerkung, und Pascoe schlug deswegen zu. «Browne zuckte die Achseln.»Kapitän Herrick hat nicht weiter nachgeforscht, bat mich aber, Ihnen mitzuteilen, daß er die Angelegenheit erledigt habe. «Er zwang sich ein Lächeln ab.»Die Relentless brauchte gerade einen Dritten Offizier. Jetzt hat sie einen.»

Bolitho schaute sich nach dem Diener um.

«Das verstehen Sie nicht. Die Angelegenheit ist weder erledigt noch wird sie es jemals sein, bevor nicht. «Er hielt ein, als er die junge Frau aus dem dunklen Hintergrund auf sich zukommen sah.»Tut mir leid, aber ich muß gehen.»

Browne sagte beharrlich:»Er ist doch jetzt in Sicherheit, Sir.»

«In Sicherheit? Haben Sie schon vergessen, was Sie über meine Familie herausfanden? Es wird nicht eher vorbei sein, bevor die Wahrheit heraus ist. «Ruhiger fuhr er fort:»Ich bitte Sie wegen all dieser Aufregung um Entschuldigung, Ma'am. Ich kam in der Erwartung, daß wir miteinander reden könnten. Und ich hatte sogar gehofft.»

Er studierte ihr Gesicht, als wolle er sich jede Einzelheit einprägen: die braunen Augen, den vollkommen geformten Mund, ihre Lippen die — betroffen von seinem Wunsch — leicht geöffnet waren.

Sie sagte:»Auch mir tut es leid. Nach allem, was Sie für mich getan haben, mußten Sie dasitzen wie ein Handelsvertreter. Ich habe mich geschämt.»

Bolitho ergriff impulsiv ihre Hände.»Wir hatten noch nie genug Zeit füreinander.»

Sie zog ihre Hände nicht zurück, sagte aber in dem gleichen ruhigen Ton:»Wozu? Was möchten Sie mir sagen? Daß ich Ihrer verstorbenen Frau ungeheuer ähnlich sehe und ihren Platz einnehmen soll?«Sie schüttelte langsam den Kopf.»Sie wissen, daß das falsch wäre. Ich möchte um meiner selbst willen begehrt werden und nicht in Erinnerung an eine andere.»

Browne sagte verlegen:»Ich warte draußen, Sir.»

Bolitho sah ihm voll ins Gesicht.»Ich brauche ein schnelles Pferd und eine Liste der Poststationen auf der Straße nach Portsmouth. Sagen Sie Allday, daß er mit unserem Gepäck im Wagen folgen soll.»

Browne starrte ihn ungläubig an.»Pferde, Sir?»

«Ich kann reiten, Browne!»

Browne ließ sich nicht einschüchtern.»Mit allem Respekt, Sir, aber Ihre Wunde ist kaum verheilt, und außerdem kann jederzeit eine Konferenz in der Admiralität einberufen werden, bei der Ihre Anwesenheit verlangt wird.»

«Ich pfeife auf die Admiralität, Browne, und die Politik soll mir gestohlen bleiben!«Er versuchte zu lächeln, was nicht recht gelang.»Aber wenn Sie sich die Mühe machen wollen, zwei Pferde zu beschaffen, werde ich Ihnen zeigen, ob mich meine Verletzung daran hindert, Sie auf dieser Strecke abzuhängen.»

Browne eilte davon und ließ in seiner Verwirrung die Haustür offen.

Bolitho sagte:»Entschuldigen Sie bitte meine Ausdrucksweise, ich vergaß, wo ich bin. «Er betrachtete Belinda forschend.»Ich will Sie nicht belügen: die Ähnlichkeit überwältigte mich. Ich habe zu lange gehofft und dann zu lange keine Hoffnung mehr gehabt. Aber ich hätte gern genug Zeit, damit Sie mich kennen und schätzen lernten. Außerdem konnte ich den Gedanken nicht ertragen, daß Sie hier leben. Jetzt, da ich dieses Haus gesehen habe, bin ich noch mehr davon überzeugt, daß es nicht das Richtige für Sie ist, auch nicht als vorübergehende Lösung.»

«Ich muß auf eigenen Füßen stehen. «Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht.»Rupert Seton wollte mir Geld geben, andere Männer machten mir verschiedene Angebote. In dem Maße, wie sich meine Verhältnisse verschlechterten, wurden die Angebote immer taktloser.»

Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen.»Bitte vergessen Sie mich nicht. Ich werde immer an Sie denken!»

Sie trat zurück, als der Diener mit Bolithos Hut und Umhang erschien.

«Ihr Adjutant war besorgt, weil Sie nach Portsmouth reiten wollen.

Muß es denn sein?»

«Es geht um etwas, daß mich seit Jahren verfolgt. Darum muß es einmal ein Ende finden. «Er sah sie ernst an.»Ich wünsche Ihnen alles Gute dieser Welt. Und daß Sie glücklich werden!»

Er erinnerte sich nicht, wie er das Haus verlassen hatte, aber als er zurückschaute, war die Eingangstür geschlossen, als hätte er sich alles nur eingebildet. Als stände er noch immer da und überlegte, was er sagen sollte, wenn er ihr begegnete.

51
{"b":"113328","o":1}