Литмир - Электронная Библиотека

An der vordersten Karronade waren mehrere Matrosen ausgefallen; Bolitho hörte sie schreien, als die ersten Enterer aus dem Qualm auftauchten und mit ihren Skimitaren und breiten Säbeln blindwütig um sich hieben.

Am Vorschiff bellte eine Drehbasse, blutend stürzten ein paar Piraten auf die Planken und zuckten im Todeskampf; aber andere schwärmten durch einen großen Riß im Netz an Deck und stürzten sich mit geschwungenen Säbeln auf die Matrosen.

Bolitho packte einen Geschützführer an der Schulter und schrie:»Versuch, das Boot da zu treffen!«Halb betäubt nickte der Mann und ließ neu laden.

Allday fuhr herum und hieb einen Enterer nieder, der sich irgendwie durch Leutnant Wilmots Abteilung gekämpft hatte. Der Berber rutschte das Deck entlang, ein Matrose stieß ihm die Pike zwischen die Rippen, und er bleckte die Zähne im Todesschrei.

Bolitho schwenkte den Degen und winkte eine Gruppe von Matrosen unter dem Großmast herbei. Er fühlte eine Pistolenkugel dicht an seiner Wange vorbeifliegen, drehte sich um und sah Wilmot fallen — Blut strömte aus seinem Mund. Eben hatte er noch an der Spitze seiner Männer gekämpft.

Inch rief seinen Leuten zu, eine brennende Schebecke mit ihren Bootshaken wegzustoßen, die gefährlich nahe herangetrieben war. Bolitho hörte furchtbare Schreie aus diesem Boot und sah, daß die Ruderer an ihren Bänken festgekettet waren — es mußten Sklaven sein, die jetzt einem schrecklichen Tod geweiht waren.

Ein Mann kam von oben; sein Gesicht war von einer Musketenkugel zerfetzt. Ein anderer rollte sich von einer Karronade weg; das zurückstoßende schwere Rohr hatte ihm den Fuß zerquetscht.

Der Geschützführer von vorhin winkte Bolitho zu; weiß leuchteten seine Zähne in dem pulvergeschwärzten Gesicht. Er hatte es geschafft, die Schebecke zu treffen, die direkt unter dem Riß im Netz festgemacht hatte.

Ein bärtiger Pirat duckte sich unter eine Pike weg und kam direkt auf Bolitho zu, den schweren Krummsäbel in Brusthöhe vorstoßend. Bolitho parierte, Funken sprühten, er fühlte den Anprall bis in die Schulter hinein, aber es riß den Kerl halb herum, und bevor er sein Gleichgewicht wiederfand, hatte Stückmeister Broome ihn schon mit einem Belegnagel zu Boden geschlagen.

Auf einmal stand Inch neben ihm und schrie:»Wir haben schon über die Hälfte versenkt, und den anderen geht's auch ziemlich drek-kig!»

Er schwenkte den Hut, und als der Qualm über den schwitzenden Kanonieren dünner wurde, sah Bolitho, daß die See mit zerschossenen Schiffsrümpfen und Wrackteilen bedeckt war. Hier und dort ruderte noch eine havarierte Schebecke eilends dem Lande zu. Es würde eine

Weile dauern, dachte er benommen, bis Messadi an diesem Küstenstrich wieder sein Schreckensregiment ausüben konnte.

Da kam ein Ruf von Broome:»Bei Gott, Sir! Da ist noch eine, direkt vorm Bug!»

Durch den Rauch sah Bolitho den gespaltenen Wimpel ganz nahe — irgendwie wußte er, daß es das Führerschiff war. Da versuchte wohl Habib Messadi in eigener Person, der Hekla zu entkommen und noch einmal die schützende Bucht zu erreichen.

Er rannte mit Inch nach achtern, wo die Rudergasten breitbeinig über zwei toten Kameraden standen, deutete mit dem Degen auf die fliehende Schebecke und rief:»Eine Guinea für den Geschützführer, der sie versenkt!»

Das Bewußtsein ihres Sieges, das plötzliche Begreifen, daß sie einen furchtbaren, zahlenmäßig weit überlegenen Feind abgeschlagen hatten, war genug. Hurraschreiend oder vor Erschöpfung schluchzend rannten sie wieder an die Taljen; Drehbassen- und sogar Musketenkugeln durchschnitten die Luft, um die schnelle Schebecke zu treffen.

Da fuhr eine der schweren Karronaden im Rückstoß binnenbords, und aufblitzend schlug das Geschoß dicht unter dem ausladenden Bug der Schebecke ein. Ein zweites traf die reichgeschnitzte Kampanje und zermalmte die dichtgedrängten Männer zu blutigem Brei.

Alles brüllte und schrie; Bolitho stieg ein Stück in die Wanten, um über die rollende Rauchwolke blicken zu können: die Masten der Schebecke kippten bereits.

Inch rief ihm etwas zu, doch als er sich umwandte, spürte er einen Schlag gegen die rechte Schulter — nicht sonderlich schlimm, aber er taumelte und brach in die Knie. Mit dumpfer Überraschung sah er Blut, das über seine weiße Kniehosen auf die Planken rann. Er lag auf der Seite, das mächtige Großsegel über sich, und dahinter ein blasses Wölkchen. Rufe ertönten, Inch kam mit schreckensstarrem Gesicht herbeigerannt. Bolitho öffnete den Mund, um ihn zu beruhigen, aber da durchfuhr ihn ein Schmerz, so stark und furchtbar, daß er in gnädige Dunkelheit versank.

Und dann kam das Vergessen…

XVI Ein Ehrenhandel

Langsam, beinahe angstvoll, öffnete Bolitho die Augen. Es schien ewig zu dauern, bis er klar sehen konnte. Er mußte sich zusammennehmen, um dem furchtbaren Schmerz standzuhalten, der todsicher gleich kommen mußte. Wie Eiswasser rann ihm der Schweiß über Gesicht und Hals, doch obwohl er ängstlich gespannt darauf wartete, spürte er gar nichts. Er versuchte, sich zu bewegen, gab sich Mühe, die Geräusche der See oder der knarrenden Balken zu hören, doch vernahm er keinen Ton. Seine Unsicherheit drohte in Panik umzuschlagen, denn alles um ihn war so still, so völlig lautlos, und beinahe dunkel — wie in einem Grabgewölbe.

Mühsam versuchte er, sich aufzustützen, aber da schoß es ihm wie glühender Stahl durch die Schulter, bis er glaubte, sein Herz würde aussetzen. Er knirschte mit den Zähnen, kniff die Augen zu, um den Schmerz zu überwinden, doch er versank wieder in seinen Fiebertraum. Wie lange lag er schon so? Tage, Stunden — oder war es eine Ewigkeit, seit er… Er konzentrierte seine schwindende Willenskraft darauf, sich zu erinnern, seinen Geist davor zu bewahren, daß er unter dem Druck des körperlichen Schmerzes zusammenbrach.

Er erinnerte sich an Gestalten und Stimmen, schwebende Gesichter und die unbestimmten Bewegungen des Schiffes. Gewisse wenn auch kurze Episoden traten deutlicher hervor, doch ungeordnet und anscheinend beziehungslos. Inch, der ihm an Deck etwas Weiches unter den Kopf schob. Und Alldays schreckensstarres Gesicht, das sich bald von dieser, bald von jener Seite über ihn beugte. Auch hörte er sich selbst sprechen und versuchte, sich zuzuhören, als stünde er bereits neben sich selbst, und sein Geist schwebe über seiner sterbenden Hülle wie ein etwas neugieriger, aber unbeteiligter Zuschauer.

Auch andere Gesichter waren darunter gewesen, die ihm irgendwie bekannt vorkamen: ernst, jung, ruhevoll, traurig. Immer wieder hatte seine Stimme zeitweilig ausgesetzt, doch einmal, als er sich in der erstickenden Dunkelheit laut schreien hörte, hatte ein Unbekannter beruhigend gesagt:»Ich bin Angus, Sir, Schiffsarzt der Coquette.«Bolitho versteifte sich, aufs neue rann ihm der Schweiß aus allen Poren. Dieses Gesicht und die bloße Erinnerung an die gelassenen Worte brachten ihm die Wirklichkeit, den Schock seiner Verwundung wieder nahe. Wild und unbewußt hatte er gegen den Schmerz, gegen die Unfähigkeit, sich verständlich zu machen, gegen die tastende Hand des Arztes angekämpft.

Mit verzweifeltem Aufstöhnen versuchte er, die Schulter zu bewegen, in Arm und Fingern Gefühl zu entdecken. Nichts.

Er wurde wieder schlaff, vergaß den brennenden Schmerz, empfand nur noch die bohrende Verzweiflung, die ihn für alles andere blind machte.

Wie aus innerster Seele hörte er sich schreien:»O Cheney, Cheney, hilf mir! Sie haben mir den Arm abgenommen!»

Sofort scharrten Stuhlbeine über Steinboden, Schritte kamen auf ihn zu. Jemand rief:»Er kommt wieder zu sich! Sagt Bescheid!»

Sanft legte sich ein kühles Tuch über seine Stirn; und als er die Augen wieder öffnete, sah er Allday, der auf ihn niederblickte; seine harten Hände stützten ihm den Kopf, damit jemand anderer ihm den Schmerzens — und Angstschweiß abwischen konnte.

78
{"b":"113273","o":1}