Noch ein paar Minuten quälte er sich mit diesem Problem herum, und dabei fielen ihm Lucey und Lelean wieder ein und alle die anderen, die gestorben waren und noch sterben würden, ehe sie diesen verdammten Ort verlassen konnten.
Vielleicht hatte Draffen sogar versucht, ihm etwas Derartiges anzudeuten, dachte er. Denn als er erklärt hatte, daß sie Djafou sehr bald wieder aufgeben würden und dabei von Menschen gesprochen hatte, denen Djafou Vergangenheit und Zukunft bedeutete, hatte er nicht an seine Bewohner gedacht, denn die gab es gar nicht: nur einen ständigen Strom von Sklaven und Sklavenjägern, die für solche Händler wie Draffen arbeiteten. In dieser Minute trieb er sich wahrscheinlich irgendwo an der Küste herum und gab seinem Agenten Anweisungen, um seinen persönlichen Sieg so ertragreich und dauerhaft wie möglich zu machen.
«Wie lange hat es gedauert, bis die Restless Kontakt mit Draffens Agent hatte?«fragte er scharf.
Bickford hob die Schultern.»Höchstens einen Tag oder so, nehme ich an. Jetzt wird sie wohl auch in der Flaute liegen.»
Bolitho sah die drei an.»Dann kann das Redezvous nicht weit weg liegen. «Rasch ging er zur Tür.»Ich muß den Kommandeur sprechen. Machen Sie es sich inzwischen bequem, meine Freunde.»
Die Tür fiel ins Schloß, und Gillmor sagte:»So habe ich ihn noch nie gesehen.»
Inch trank sein Glas aus.»Ich ja. «Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an.»Als ich unter ihm auf der Hyperion Dienst tat.»
Ungeduldig sagte Gillmor:»Raus aus dem Ofen und auf den Tisch damit, Mann!»
«Verräterei haßt er«, sagte Inch einfach.»Ich glaube kaum, daß er mit so einem Kieselstein unterm Sattel ruhig sitzenbleiben wird.»
Als Bolitho beim Kommandeur eintrat, saß dieser am Fenster. Mit seinem müden, nachdenklichen Gesicht und in dem gedämpften Sonnenstrahl, der durch die trüben Scheiben fiel, sah er wie ein holzgeschnitztes Heiligenbild in einer alten Kirche aus.
Bolitho wartete, bis sich die verschatteten Augen des alten Herrn ihm zuwandten.»Wir müssen uns beeilen, denn die Zeit wird knapp«, begann er.»Aber gewisse Dinge muß ich wissen, und Sie sind der einzige, der sie mir sagen kann.»
Die runzligen Hände hoben sich langsam.»Sie wissen, daß mein Eid mir zu sprechen verbietet, Captain. «Kein Unmut, nur Resignation klang aus seiner Stimme.»Als Festungskommandeur habe ich.»
Bolitho unterbrach ihn rauh:»Als Festungskommandeur haben Sie Pflichten Ihren Leuten gegenüber, auch den Matrosen und Passagieren der Navarra, die spanische Untertanen sind.»
«Mit der Eroberung von Djafou haben Sie diese Pflichten übernommen.»
Bolitho trat an ein Fenster und lehnte sich auf das sonnenwarme Sims.»Ich weiß von einem französischen Offizier namens Witrand. Ich glaube, Sie kennen ihn auch, und er ist vielleicht schon früher hiergewesen.»
«Früher?»
Nur zwei Worte, aber Bolitho hörte den Bruch in der Stimme des Mannes heraus.
«Er ist unser Kriegsgefangener, Colonel. Aber Sie sollen mir jetzt sagen, was er hier gemacht hat, und warum er an Djafou interessiert ist. Andernfalls.»
«Andernfalls? Ich bin zu alt, als daß Sie mir drohen könnten.»
Bolitho wandte sich wieder um und sah ihn unbewegt an.»Wenn Sie sich weigern, muß ich die Festung zerstören.»
Alava lächelte milde.»Das ist natürlich Ihr gutes Recht.»
«Ich habe aber«, erwiderte Bolitho absichtlich grob, um seine innere quälende Unsicherheit zu verbergen,»nicht genügend Schiffe zur Verfügung, um die Zivilisten und Ihre Leute in Sicherheit zu bringen. «Seine Spannung ließ etwas nach, denn an dem plötzlichen Erzittern der runzligen Hände sah er, daß seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten.»Und obwohl die Kriegslage es erfordert, daß ich die Festung zerstöre, so daß sie uns in Zukunft nicht mehr bedroht, kann ich Ihnen keinen militärischen Schutz hierlassen.»
Er sah wieder aus dem Fenster, denn was er dem alten Mann antat, war ihm in der Seele zuwider. Unten lehnte sich Sawle über die Brüstung; sein Kopf war ganz dicht bei dem einer schwarzhaarigen Spanierin, der Frau eines der Offiziere der Garnison. Sie kam dichter heran, und Sawle legte ihr die Hand auf den Arm.
Er drehte der kleinen Szene den Rücken und fragte Alava:»Sie haben von einem gewissen Habib Messadi gehört?«Er nickte langsam.»Ja, ich sehe es Ihnen an.»
Ärgerlich fuhr er herum, denn die Tür sprang auf, und Hauptmann Giffard kam hereinmarschiert. Ihm folgte ein junger Seesoldat mit einem kleinen Korb.
«Was, zum Teufel, suchen Sie hier?»
Giffard stand bewegungslos stramm, den Blick irgendwohin über Bolithos linke Schulter gerichtet.
«Ein Reiter kam zum Damm galoppiert, Sir, irgend so 'n Araber. Meine Leute riefen ihn an, er drehte ab und floh, sie schossen hinterher, trafen ihn aber nicht. «Er deutete auf den hinter ihm stehenden Marine-Infanteristen.»Er hat uns diesen Korb hingeschmissen, Sir.»
Bolitho erstarrte.»Was ist darin?»
Giffard sah zu Boden.»Dieser französische Gefangene Witrand, Sir. Sein Kopf.»
Bolitho ballte die Fäuste so fest, daß er das Blut gegen die Knöchel pulsen fühlte. Irgendwie gelang es ihm, die aufsteigende Übelkeit und das Entsetzen zu unterdrücken, als er in Alavas schreckgeweitete Augen sah.»Anscheinend«, sagte er,»ist uns dieser Messadi näher, als wir dachten, Colonel.»
Der junge Seesoldat gab einen Laut von sich, als müßte er sich erbrechen.»Also wollen wir keine Zeit verlieren.»
XV Vergeltung und Vergessen
Bolitho stand neben einem offenen Fenster im düsteren Zimmer des Kommandeurs, als Allday eintrat und ihm meldete, die Gig der Hekla sei da, um ihn abzuholen.
In den letzten paar Stunden hatte sich das Wetter erstaunlich verändert. Es war später Nachmittag, und es hätte eigentlich noch taghell sein müssen. Statt dessen war der Himmel mit niedrigen drohenden Wolken verhangen, und die Flagge auf dem oberen Turm stand steif in einem westlichen Wind, der allem Anschein nach ständig auffrischte.
Er war gerade im Begriff gewesen, den alten Kommandeur zu verlassen, als eine Schildwache auf der Brustwehr den Wetterwechsel meldete. Er wollte sich selbst ein Bild von der Lage machen und stieg daher auf den Turm. Vor seinen Augen verschwand der westliche Landarm der Bucht langsam unter einem riesigen Wirbel aus Sand und Staub, so daß der Verbindungsdamm plötzlich im Leeren zu enden schien. Selbst in der Bucht dümpelten die Schiffe heftig, und Gillmor seufzte erleichtert auf, als er sah, daß sein Erster Offizier für alle Fälle einen zweiten Anker ausgeworfen hatte.
Doch die Sorge um die Sicherheit ihrer Schiffe, alle Zweifel und sogar der Schreck über Witrands gräßlichen Tod hatten sich in gespannte Erregung verwandelt, als Bolitho ihnen mitteilte, was er herausgefunden hatte.
Als Alava erst einmal zu sprechen begonnen hatte, schien er gar nicht mehr aufhören zu können. Es war, als sei die Bürde der Mitwisserschaft zu schwer für seine gebeugten Schultern, und der Schock über das, was in dem kleinen Korb lag, war der letzte Anstoß für ihn, die Verantwortung abzuwerfen.
Bolitho hatte seiner leisen, kultivierten Stimme mit starrer Aufmerksamkeit zugehört, die ihm sowohl als Schranke gegen sein Mitleid mit Witrand diente, als auch gegen seine Abscheu vor jenen, für die sein Tod nur ein Detail der psychologischen Kriegsführung war.
Jetzt, während der Wind gegen die dicken Mauern heulte und durch die ungeschützten Brustwehren fuhr, fiel es ihm immer noch schwer, sich einzugestehen, daß er mit seinem früheren Verdacht in vieler Hinsicht recht gehabt hatte. Witrand war schon einmal in Djafou gewesen, mit dem strikten Befehl, den Weg für weitere Entwicklungen freizumachen. Wieviel von Alavas Informationen auf Tatsachen und wieviel auf Spekulation beruhte, war schwer zu sagen. Eins war sicher: Witrand war nicht nur hiergewesen, um die Basis gegen jede zukünftige Aktivität der britischen Flotte im Mittelmeer abzuschirmen. Djafou sollte der erste einer Reihe Stützpunkte an der Küste Nordafrikas werden, ein Tor nach Osten und nach Westen. Truppen, Artillerie und die für Transport und Schutz nötigen Schiffe hätten es Frankreich ermöglicht, aufs neue mit Macht in einen Kontinent vorzustoßen, der ihnen bis jetzt verschlossen gewesen war, und das zu einer Zeit, da England es weniger denn je daran hindern konnte.