Und doch mußte Alava gewußt haben, daß Bolitho bluffte, wenn er damit drohte, Garnison und Passagiere den Berberpiraten preiszugeben. Er mußte mit dem Gedanken gespielt haben, seinen Standpunkt zu behaupten — bis zu dem Moment, als Giffard mit seinem furchtbaren Fund hereingeplatzt war. Genau im richtigen Moment; Bolitho selbst hätte es nicht besser arrangieren können.
Als er mit Gillmor und Inch sprach, hatte er sich an Broughtons Warnung, an sein Mißtrauen gegenüber Draffen erinnert. Was würde er sagen, wenn er den vollen Umfang von Draffens Verräterei — falls es das war — erfuhr? Draffen konnte ja ebenfalls tot sein oder sich schreiend unter der Folter krümmen.
Da jetzt der Wind endlich wieder aufgefrischt hatte, bestand ein Schimmer von Hoffnung. Von dem Moment an, als der Reiter Gif-fards Leuten den Korb vor die Füße geworfen hatte, war es klar, daß die Einnahme des Kastells an der ganzen Küste bekannt war. Das Geschwader war immer noch nicht da; der Himmel mochte wissen, wie weit es inzwischen bei dem auffrischenden Wind gekommen war; und somit konnte man durchaus mit einem massiven Angriff der Berber auf das Kastell rechnen. Alava hatte erwähnt, daß Messadi mit seinen Piraten erhebliche Teile des Küstengebiets beherrschte und terrorisierte. Schebecken vom gleichen Typ wie die, welche die Na-varra angegriffen hatten, konnten nötigenfalls sehr dicht unter der
Küste operieren, wo sie einen Angriff schwerer Kriegsschiffe nicht zu fürchten brauchten.
Messadis Nachrichtendienst mußte ebenso gut sein wie der Draf-fens, dachte Bolitho. Denn es war ganz klar, daß der Angriff auf die Navarra nicht auf einem zufälligen Treffen auf hoher See beruhte. Dafür waren die Schebecken viel zu weit ab vom Land gewesen, und wenn es nicht plötzlich Sturm gegeben hätte, wären es bestimmt noch mehr gewesen. In diesem Fall hätte die Navarra den Angriff nicht abschlagen können, und Witrand wäre mit den anderen an Ort und Stelle getötet worden; die Übernahme Djafous durch die Franzosen wäre so lange verzögert worden, bis seine ursprünglichen Eigner, die Berber, es wiedererobert hatten. Oder bis Broughton ihnen zuvorgekommen wäre und dann selbst gesehen hätte, daß die Bucht als britische Basis nicht zu gebrauchen war.
Nachdenklich sagte Gillmor:»Die Frogs wollen also Malta nehmen, eh? Und dann immer so weiter, und kein britisches Schiff ist da, um ihnen Widerstand zu leisten!»
«Ohne Hilfe können wir nichts machen«, hatte Inch noch gesagt.
Es war, als hätte er seine Gedanken laut ausgesprochen. Aber Bo-litho erwiderte:»Ich habe immer gesagt: das Kastell ist Djafou. Fällt es, dann ist die Bucht für keinen sicher — weder für Franzosen, noch für Piraten, oder, was das anlangt, für uns. Wir müssen es zerstören, es so zerschlagen, daß es Monate, vielleicht ein Jahr dauert, es wieder aufzubauen. In dieser Zeit können wir in ausreichender Stärke wieder in diese Gewässer zurückkommen und den Franzosen da schlagen, wo es ihm am wehesten tut. Zur See!«Seine Worte bewirkten, daß ihr Pessimismus wich und schließlich in erregte Spannung umschlug.
Gillmor hatte etwas abgebremst.»Darüber müßten Sie doch wohl mit Sir Lucius Broughton sprechen?»
Darauf hatte Bolitho in die Bucht gedeutet, wo die Wellen im auffrischenden Wind bereits weiße Kappen bekamen.»Erst müssen wir den Schlag gegen jene führen, die diese Festung für ihre eigenen niederträchtigen Zwecke so nötig brauchen. Der Wind hält sich vielleicht, und wenn ja, ist das ein unerwarteter Vorteil für uns, den wir ausnutzen müssen.»
Das war erst vor einer Stunde gewesen. Jetzt war es Zeit zum Handeln, sonst würde die Hekla echte Schwierigkeiten bekommen, sich am Kastell vorbei in die offene See durchzukämpfen. Die Coquette sollte vor Anker bleiben und, falls Bolithos Angriff mißlang, nach seiner schriftlichen Order handeln: das Kastell demolieren, aber jeden
Spanier, jeden Marine-Infanteristen, jede lebende Seele überhaupt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln evakuieren.
So enttäuscht Gillmor war, daß er bleiben mußte, war er deswegen doch nicht weniger besorgt um Bolitho.»Angenommen, Alavas Informationen stimmen nicht, Sir, und diese Berberpiraten sitzen ganz woanders? Oder Sie werden überrannt? Dann muß ich den Befehlen gehorchen, die Sie mir hinterlassen. Das könnte sehr leicht Ihren Untergang bedeuten, und dabei wissen wir doch, daß Sie zum Besten aller handeln.»
«Wenn das passiert, Captain Gillmor, dann brauchen Sie wenigstens nicht mitanzusehen, wie ich wegen eigenmächtigen Handelns kassiert werde«, hatte Bolitho erwidert und über Gillmors verdutztes Gesicht gelächelt.»Dann bin ich nämlich ohne jeden Zweifel tot.»
Aber als er seinen Hut aufnahm, der an der Lehne des großen Sessels im Kommandeurszimmer hing, fiel ihm Gillmors Warnung wieder ein. Mit einigem Glück würden sie irgendwo draußen auf die Restless stoßen, und diese konnte, was der schweren Fregatte nicht möglich war, Unterstützung leisten. Mit einigem Glück! Aber es zahlte sich nie aus, sich allzusehr auf Glück zu verlassen.
Er sah Allday an.»Fertig?»
«Aye, Captain.»
Unten am Landungssteg, dessen Steine noch Spuren von Musketenkugeln und Sawles Sprengladung trugen, spürte man den Wind stärker; man kam nur mühsam vorwärts und spürte Sand zwischen den Zähnen. Bolitho sah mehrere Boote, gedrängt voll mit den Passagieren der Navarra, und ein paar von Giffards Marine-Infanteristen. Auf seine Anordnung hin wurden alle Truppen außer den Schildwachen eingezogen und zur Sicherung des Forts verwandt, und er fand noch Zeit, sich zu fragen, was sie wohl denken mochten, wenn sie dort drin wie Tiere in der Falle saßen und die finsteren Mauern anstarrten.
Giffard und Bickford warteten schon bei der Gig, und der Hauptmann sagte ärgerlich:»Ich bin immer noch der Ansicht, meine Truppe sollte im Eilmarsch quer durch das Hinterland stoßen, Sir.»
Bolitho musterte ihn mit einem gewissen Wohlwollen.»Wenn wir mehr Zeit hätten, würde ich dem zustimmen. Aber Sie haben selbst gesagt, daß in diesen zerklüfteten Bergen ein paar gutplazierte Scharfschützen eine ganze Armee aufhalten können. Haben Sie nur keine Angst, Sie werden bald reichlich zu tun bekommen.»
Zu Bickford sagte er:»Mr. Fittock soll sich daranmachen, im Magazin und den unteren Räumen Sprengladungen zu legen. Das ist was für ihn, glaube ich. «Der Leutnant machte dazu ein so verbissenes Gesicht, daß Bolitho lächeln mußte.
Da kam Calvert hastig die Stufen herunter, mit so grimmig entschlossener Miene, wie man es sonst nicht an ihm kannte.
«Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, möchte ich zu Ihnen auf die Hekla.»
Bolitho merkte, daß Giffard mißbilligend die Mundwinkel herabzog und daß einige Matrosen der Bootsbesatzung Calvert neugierig oder sogar verächtlich ansahen. Spontan sagte er:»Sicher. Steigen Sie ins Boot.»
Dann sagte Giffard mit offensichtlichem Mißbehagen:»Ich haben den — äh — Korb vergraben lassen, Sir. Am Ende des Fahrdammes.»
«Danke. «Bolitho mußte an die Frau denken, die in Bordeaux wartete. Ob er ihr wohl schreiben sollte, wo Witrand ums Leben gekommen war? Und daß er neben einem britischen Leutnant und einem pickligen Midshipman lag?
Mit kurzem Abschiedsnicken sprang er ins Boot und befahl:»Ablegen!»
Inch begrüßte ihn am niedrigen Schanzkleid des Bombenwerfers. Der Hut saß ihm schief, und er spähte auf die weißen Wogenkämme jenseits der Landzunge. Dann sah er Calvert, öffnete den Mund, wollte etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders. Er kannte schließlich Bolitho besser als die meisten anderen. Und wenn der etwas tat, dann hatte er gewöhnlich gute Gründe dafür.
Das Boot wurde an Bord gehievt und auf seinem Gestell festgelascht, und dann befahl Inch:»Klar bei Ankerspill. «Er blickte zu Bolitho hin:»Wenn Sie soweit sind, Sir?»
Sie sahen einander in die Augen, trotz des Altersunterschiedes wie Verschworene.»Ab dafür, Commander Inch!«grinste Bolitho.