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VIII Die Prise

Vizeadmiral Broughton riß dem Midshipman der Wache das Teleskop aus der Hand, trat flotten Schritts neben Bolitho und richtete das Glas auf den Spanier, der eine halbe Kabellänge in Lee der Euryalus steuerlos trieb.»Was, zum Teufel, machen die eigentlich so lange da drüben?»

Bolitho antwortete nicht. Auch er musterte das rollende Schiff, auf dem der endlich gehißte weiße Wimpel vom Masttopp flatterte — also hatte Leutnant Meheux mit seinem Prisenkommando wenigstens etwas zustande gebracht.

Er sah zu seinen killenden Segeln und losen Schoten hoch. Es war fast eine Stunde her, seit die Boote abgefiert worden waren, die Me-heux und seine Männer zu der Prise hinübergebracht hatten; und inzwischen hatte sich das Wetter deutlich und besorgniserregend verändert. Der Himmel bezog sich sehr schnell, die See wurde bleiern und glanzlos, die schnellen, weißmützigen Wellen waren jetzt schmutziggrau und drohend. Nur die Kimm blieb klar und kaltglänzend wie Stahl, als würde sie von einem anderen Licht als der untergehenden

Sonne erhellt. Ohne auf den Stander zu sehen, wußte Bolitho, daß der Wind gedreht hatte und jetzt fast genau von Westen kam; mit jeder Minute frischte er bedrohlich auf.

Ein Sturm war im Anzug. Angesichts des manövrierunfähigen spanischen Schiffes und der Ungewißheit über Meheux kam er zur allerungünstigsten Zeit.

«Endlich kehrt die Jolle zurück — wird auch verdammt Zeit!«schimpfte Broughton. Es sah gefährlich aus, wie das kleine Boot durch den hohen Seegang stampfte; schon daran merkte man deutlich, wie sehr sich das Wetter verschlechtert hatte.

Die anderen Boote waren bereits zurückgerufen und an Bord gehievt worden. Die Jolle war Meheux' letzte Verbindung zum Flaggschiff. In der Ducht saß sprungbereit Midshipman Ashton. Er und ein Steuermannsmaat, dazu ein verläßlicher Unteroffizier und eine Anzahl Matrosen waren unter Meheux als Prisenkommando hinübergeschickt worden.

Während das kleine Boot schwer arbeitend auf das Achterdeck der Euryalus zuhielt, rief Ashton durch die hohlen Hände:»Sie ist ziemlich leck, Sir! Und die Ruderzüge sind zerschossen!»

Bolitho beugte sich über die Reling und rief:»Wie heißt das Schiff? Warum dauert das so lange?»

«Die Navarra, Sir«, antwortete Ashton.»Unterwegs von Malaga. «Eine wütende Welle warf ihn fast über Bord.»Mit Stückgut und — «, er schien erst jetzt den Admiral gewahr zu werden — ,»und einer Menge Passagiere, Sir.»

«Himmeldonnerwetter, Bolitho! Fragen Sie diesen jungen Idioten, was der Kapitän gesagt hat!»

Aber Ashton antwortete ihm direkt:»Der ist tot, Sir. Bei der Breitseite gefallen. Die meisten Offiziere auch. Das Schiff ist in einem schauderhaften Zustand, Sir«, schloß er verzweifelt.

Bolitho winkte Keverne herbei.»Ich denke, Sie setzen am besten über. Der Seegang nimmt zu, und an der Prise scheint mehr dran zu sein, als wir dachten.»

Aber Broughton hielt Keverne zurück.»Befehl belegt. «Kalt glänzten seine Augen in dem seltsamen Licht.»Und wenn Keverne mit der Sache nicht fertig wird — was dann?«wandte er sich an Bolitho.»Noch mehr Verzögerung, und wir kommen obendrein in einen Sturm! Nein, Sie gehen an Bord der Navarra.«Er fuhr zusammen, als hoch über seinem Kopf die Takelage zu summen und zu jaulen anfing wie ein schlecht gestimmter Kontrabaß.»Entscheiden Sie, was zu tun ist, und zwar schnell. Ich würde die Prise ungern verlieren, aber ehe ich mit so einer lahmen Ente zum Geschwader zurückkriechen muß und dabei Stunden oder sogar Tage vergeude, bohre ich sie lieber gleich auf der Stelle an. «Er spürte, daß Bolitho eine Frage auf der Zunge hatte, und schloß:»Nötigenfalls übernehmen wir Mannschaft und Passagiere.»

«Jawohl, Sir«, nickte Bolitho. Keverne war sichtlich enttäuscht. Erst war ihm das Kommando über die Auriga entgangen, und jetzt verlor er eine weitere Möglichkeit, seine Stellung zu verbessern. Wenn die Navarra zwar gerettet werden, aber nicht im Verband mitsegeln konnte, dann hatte der Prisenkommandant, der sie nach Gibraltar zurücksegelte, durchaus die Chance, Kapitän zu werden. Bolitho hatte seine erste wirkliche Chance auf dieselbe Art bekommen und konnte verstehen, daß Keverne verärgert, vielleicht sogar wütend war.

Er verbannte diesen Gedanken und signalisierte der Jolle. Wenn der Wind noch stärker wurde, gab es vielleicht in einer Stunde überhaupt keine Prise mehr.

Allday war neben ihm aufgetaucht und half ihm in den Bootsmantel.»Sie brauchen mich natürlich, Captain.»

Bolitho blickte ihm kurz ins Gesicht. Er sah genauso besorgt aus wie damals, als er ohne ihn auf das Werferschiff gegangen war.»Ganz recht, Allday — natürlich«, lächelte er.

Ins Boot zu kommen, war ebenso gefährlich wie unbequem. In einem Moment wurde es hart gegen die Schiffswand geworfen, im anderen sackte es tief in ein Wellental; fluchend mühten sich die Ruderer ab, damit die Bootsplanken nicht eingedrückt wurden.

Bolitho sprang von der Bordwand weg und hinunter, im Bewußtsein, daß er, wenn er fehlsprang, unter die Rundung des Rumpfes gesaugt oder von der tanzenden Jolle zerquetscht werden würde.

Atemlos sank er in der Flicht zusammen, von Gischt geblendet und fast bewußtlos von dem Sprung, der eher ein Fall gewesen war.

Grinsend sah Allday durch die fliegenden Schaumfetzen zu, wie die Rudergasten das Boot von der Bordwand wegdrückten und sich anschickten, zur Navarra zu rudern.

«Es weht ganz hübsch, Captain!»

«Solche Böen können in Minuten vorüber sein«, erwiderte Bolitho.

«Oder aber sie bringen ein Schiff zur Verzweiflung. «Erstaunlich, wie rasch Allday jetzt, da er wieder bei ihm war, seine gute Laune wiedergefunden hatte!

Achteraus sah er die Euryalus schwer in den Wellen liegen. Ihre gerefften Marssegel gaben ihr gerade so viel Fahrt, daß sie sich steuern ließ und von der Navarra frei blieb. In dem stahlgrauen Licht sah sie riesig und machtvoll aus; Gott sei Dank hatte Keverne bereits die unteren Stückpforten schließen lassen, denn offene Pforten hätten nicht nur zusätzliche Arbeit für die Pumpen bedeutet, sondern auch noch Unbequemlichkeiten für die Männer, die dort unten wohnen mußten.

Selbst im Zwielicht waren die schweren Wunden des spanischen Schiffes deutlich zu erkennen. Kampanje und Achterschiff hatten gähnende Löcher an verschiedenen Stellen, die geschwärzten Balken ragten heraus wie brüchige Zähne. Das alles hatte diese eine und nicht einmal volle Breitseite verursacht.

Midshipman Ashton rief:»Mr. Meheux hat ein paar Schwenkgeschütze montiert, Sir. Aber die Mannschaft ist so durcheinander, daß sie kaum versuchen wird, das Schiff zurückzuerobern.»

«Da wird bald nichts mehr zurückzuerobern sein«, brummte Allday.

Beim vierten Versuch gelangte das Boot endlich in Lee der Navarra und konnte an den Großrüsten festmachen. Bolitho nahm seine Würde in beide Hände und versuchte einen wilden Sprung nach dem Fallreep, wobei ihm der Hut vom Kopf flog und er selbst von einem die Bordwand entlanglaufenden Brecher bis zum Gürtel durchweicht und beinahe weggespült wurde.

Mehrere Hände streckten sich ihm über die Schanz entgegen und hievten ihn unzeremoniell an Deck, wo Meheux und der Steuermannsmaat ihn empfingen, sichtlich überrascht von seinem plötzlichen und wenig würdevollen Auftauchen.

Nach ihm kletterte Allday an Bord; er hatte es sogar irgendwie geschafft, den verlorenen Hut aufzufischen, allerdings war die ursprüngliche Form unwiderbringlich dahin. Bolitho nahm ihn entgegen und musterte ihn kritisch, während er langsam wieder zu Atem kam und mit ein paar raschen Blicken den Umfang des angerichteten Schadens abschätzte.

Da war der gestürzte Besanmast, das Gewirr von Stagen und Leinwand, eine Anzahl Tote mit klaffenden Wunden, deren Blut mitsamt dem überkommenden Sprühwasser weggeschwemmt wurde wie das Leben selbst.

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