Also könnte es doch durchaus sein, daß Leethveeschi recht hat und es nichts gibt, worüber Sie beunruhigt sein müßten«, fügte er hinzu, wobei er in Gedanken die Daumen drückte.
»Das ist genau das, was wir uns auch immer sagen, aber nachdem wir nun schon so lange miteinander Scremman spielen, fällt es uns schwer, überhaupt noch etwas zu glauben, was der andere erzählt«, wandte Horrantor ein.
»Wo wir gerade beim Thema sind, möchten Sie mitspielen?« wollte Bowab wissen. »Einer von uns könnte Sie kurzfristig als politischen Berater einkaufen, der die Seite wechseln will und …«Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Hewlitt, wie der Padre langsam die Station entlangging. Lioren bewegte sich im Zickzack und sah nach den Patienten oder wechselte mit Ihnen ein paar Worte, so wie er es selbst kurz zuvor getan hatte.
»Tut mir leid, diesmal geht's nicht«, lehnte er schließlich das Angebot dankend ab. »Ich muß gleich gehen.«
Nachdem er sich von seinen beiden ehemaligen Mitpatienten verabschiedet hatte und sich schließlich mit Lioren draußen auf dem Korridor befand, sagte er: »Ich habe bei den Patienten und beim Personal nichts wahrgenommen. Und wie ist es Ihnen ergangen, Padre?«
»Auch nicht anders«, antwortete Lioren.
»Aber ich habe ein interessantes Gerücht vernommen«, fuhr Hewlitt fort und berichtete über Horrantors und Bowabs Beobachtungen und den Wortlaut der Warnmeldung, die von der Rhabwar empfangen worden war. Er wußte, daß Lioren ihm keine Märchen erzählen würde, und wenn der Padre ihm nicht die Wahrheit sagen durfte, dann würde er seine Fragen geflissentlich überhören. »Sind Ihnen auch irgendwelche Gerüchte über eine Evakuierung zu Ohren gekommen? Und wenn ja, wissen Sie, was da vor sich geht?«
Es dauerte eine Weile, ehe Lioren antwortete: »Als nächstes begeben wir uns zu demDiagnostikertreffen auf Ebene dreiundachtzig.«
27. Kapitel
Als erster traf ein großer, alter Tralthaner ein, der sich nur schleppend fortbewegte und den Lioren sofort als Thornnastor, den leitenden Diagnostiker der Pathologie, identifizierte. Sie beobachteten ihn von dem Augenblick seines Auftauchens aus einem Seitengang, der ungefähr dreißig Meter von ihnen entfernt lag, bis zu dem Zeitpunkt, als er an ihnen vorbeizog. Die beiden standen direkt gegenüber dem Raum, in dem das Treffen stattfinden sollte. Ohne ein Auge in ihre Richtung zu biegen oder ein Wort zu sagen, trottete er durch den Eingang hindurch.
»Nichts?« fragte der Padre.
»Nichts«, stimmte ihm Hewlitt zu. »Aber warum hat er uns nicht einmal eines Blickes gewürdigt? Wir sind groß genug, um gesehen zu werden, und außer uns hält sich hier niemand im Korridor auf.«
»Ihm geht einfach zu viel durch den Kopf, weil er…«, begann Lioren, hielt dann aber inne und fuhr fort: »Dahinten kommen drei weitere. Conway und der Chefpsychologe sind, wie wir ja bereits wissen, sozusagen sauber. Bei der Kelgianerin handelt es sich übrigens um die Diagnostikerin Kurrsedeth. Und? Auch nichts?«
»Nichts«, bestätigte Hewlitt abermals.
Conway nickte, als sie an ihnen vorbeigingen, O'Mara blickte sie mit mürrischer Miene ungeduldig an, und Kurrsedeth fragte: »Warum starren mich der Padre und dieser DBDG-Terrestrier eigentlich so komisch an?«
»Im Moment haben die beiden wohl nichts Besseres zu tun«, bemerkte O'Mara trocken.
Ein Kühlfahrzeug, in dem laut Lioren der Diagnostiker Semlic steckte, bog in den Gang ein. Der Vosaner kam schon aufgrund seines Metabolismus als Wirtskörper nicht in Frage, da seine Spezies, kristalline Methanatmer, bei extrem niedrigen Temperaturen lebte. Im Gegensatz zu der Kälte, die von Semlics Fahrzeug ausging, kochte Hewlitt innerlich vor Wut, seit O'Mara an ihnen vorbeigekommen war.»Wie hat es solch ein ungehobelter, abscheulicher und vor miesem Sarkasmus strotzender Typ überhaupt fertigbringen können, Chefpsychologe dieses Krankenhauses zu werden? Wieso ist noch nie jemandem eingefallen, ihn aus Notwehr mit einem Tritt in den Hintern einfach ins All zu befördern? So, wie ich es jetzt am liebsten tun würde … «
Lioren deutete mit erhobenem Mittelarm den Korridor entlang und sagte nur: »Da hinten kommt Colonel Skempton, ein weiterer DBDG-Terrestrier, wie Sie sehen können. Er ist der Leiter des Wartungsdienstes und somit der ranghöchste Monitorkorpsoffizier im Orbit Hospital. In erster Linie ist er für das Nachschub- und Nachrichtenwesen, aber auch für die Energieversorgung verantwortlich. Ich nehme an, wir sind uns einig, daß er als Wirt der Virenkreatur ebenfalls nicht in Frage kommt, oder?«
»Sie haben völlig recht«, stimmte ihm Hewlitt zu. »Trotzdem ist es mir unverständlich, warum nicht jemand wie Prilicla O'Maras Job erledigt. Er ist einfühlsam und beruhigt einen, zudem ist er immer nett und empfindet aufrichtiges Mitleid für die Patienten. Beim Thema Einfühlungsvermögen und Empathie stellt sich mir außerdem die Frage, warum Priliclas Fähigkeiten bei Diagnostikern nicht funktionieren. Oder habe ich damit wieder nur ein paar Fragen aufgeworfen, die Sie mir sowieso nicht beantworten wollen?«
Da sämtliche Augen von Lioren in beide Richtungen des Korridors gerichtet waren, sah er Hewlitt nicht an, als er erwiderte: »Auf Ihre letzten Fragen gibt es im Grunde nur eine, wenn auch etwas komplexe Antwort, die ich Ihnen, vorbehaltlich einiger Unterbrechungen durch die eintreffenden Diagnostiker, ohne weiteres geben kann, da sie nicht im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Notfall steht.
Erst einmal ist Prilicla viel zu sanftmütig und sensibel, als daß er der Position des Chefpsychologen gewachsen wäre, wohingegen O'Mara durchaus einfühlsam und fürsorglich, jedoch alles andere als sanftmütig ist…«
»Einfühlsam und fürsorglich? Daß ich nicht lache!« unterbrach ihn Hewlitt empört. »Ist etwa mein Translator kaputt?«»Für private Meinungen haben wir nicht genügend Zeit«, wies ihn der Padre zurecht. »Wollen Sie nun etwas über O'Mara erfahren oder lieber nur dummes Zeug über ihn reden?«
»Entschuldigung, ich halte mich von nun an zurück«, murmelte Hewlitt verlegen.
Wie Lioren erklärte, war O'Mara für die reibungslose und rationelle Arbeitsweise der mehr als zehntausend Mitarbeiter des medizinischen Stabs und des Wartungspersonals verantwortlich. Aus administrativen Gründen bekleidete er innerhalb des Monitorkorps nur den Rang eines Majors, wodurch er sich rein theoretisch auf niederster Kommadoebene befand. Aber die harmonische Zusammenarbeit bei so vielen verschiedenen und möglicherweise feindlichen Lebensformen aufrechtzuerhalten war eine große Aufgabe, deren Grenzen, wie auch bei O'Maras tatsächlicher Autorität, schwer zu definieren waren.
Wie Lioren weiterhin ausführte, gab es selbst bei der äußerst großen Toleranz zwischen den verschiedenen Spezies und dem gegenseitigen Respekt unter den Beschäftigten und trotz der eingehenden psychologischen Durchleuchtung, der sich jeder neue Mitarbeiter vor der Zulassung zum Dienst an einem Multispezies-Krankenhaus unterziehen mußte, immer noch Augenblicke, in denen Reibereien zwischen Angehörigen verschiedener Spezies oder innerhalb des Personals möglich waren. Zu potentiell gefährlichen Situationen konnte es durch schlichte Unwissenheit oder durch Mißverständnisse kommen, aber auch, was noch schlimmer war, wenn ein Mitarbeiter eine neurotische Xenophobie gegenüber einem Patienten oder Kollegen entwickelte, die seine geistige Stabilität oder fachliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigte.