Hewlitt entriß sich dem Blick O'Maras, weil er das Gefühl hatte, daß seine Schamröte den ganzen Raum aufheizen mußte.
»Freund, O'Mara«, ergriff Prilicla erneut das Wort. »Beim Wiedersehen von der Katze und Freund Hewlitt habe ich die Gefühle der beiden wahrnehmen können, und sie sind genau so gewesen, wie sie Freud Hewlitt eben beschrieben hat.«
»Und wie ich bereits nahegelegt habe, mein kleiner Freund, sind Hewlitts nur sehr vage zu beschreibende und äußerst subjektiv wahrgenommenen Gefühle für unsere Zwecke höchstwahrscheinlich unbrauchbar«, stellte O'Mara fest. Dann drückte er auf den Kommunikator und sagte: »Ist der Padre schon zurück? Gut, dann schicken Sie ihn herein.« An Hewlitt gewandt, fuhr er fort: »Wir müssen jetzt einige medizinische Angelegenheiten klären, so daß Ihre Anwesenheit nicht länger erforderlich ist. Außerdem bin ich mir sicher, daß ich Sie mehr in Verlegenheit gebracht habe, als es Ihnen lieb und für einen einzigen Tag verträglich ist. Danke fürIhre Hilfe. Padre Lioren wird Sie jetzt in die Kantine begleiten.«
Im selben Augenblick, als der Tarlaner den Raum betrat, blieb er wie angewurzelt stehen und starrte Hewlitt mit all seinen vier Augen direkt in dessen immer röter werdendes Gesicht. Hewlitt erwiderte den Blick und wollte etwas sagen, hatte aber Angst, sich erneut lächerlich zu machen.
»Hewlitt, was ist denn?« erkundigte sich O'Mara in einem Ton, der sich überhaupt nicht mehr sarkastisch anhörte, sondern eher von Mitleid und Besorgnis geprägt war. »Sie haben über viele Jahre die Erfahrung machen müssen, daß Ihnen von der medizinischen und psychiatrischen Zunft kein Wort geglaubt wird, und deshalb hatte ich gehofft, daß ich Ihre Gefühle mit meiner etwas grobschlächtigen Art nicht verletzen könnte. Unter diesen Umständen kommt mir Ihre Reaktion etwas anormal vor. Jetzt erzählen Sie mir doch bitte, was Sie mir nur äußerst ungern verraten wollen.«
Hewlitt zögerte noch mit der Antwort, doch dann zeigte er auf Lioren und sagte: »Dieses vage Gefühl des Wiedererkennens, das ich Ihnen eben zu beschreiben versucht hatte, stammt vom Padre.«
»Das kann ich nur voll und ganz bestätigen«, bekräftigte Prilicla.
Zum ersten Mal seit dem Betreten von O'Maras Büro sah Hewlitt den Chefpsychologen mit den Augen zucken.
25. Kapitel
O'Mara schwang sich auf dem Sessel herum, damit er den in der Tür stehenden Padre besser sehen konnte, und fragte ihn: »Verbergen Sie etwas vor uns, Padre?«
Lioren verdrehte ein Auge in Richtung des Psychologen und hielt die anderen drei auf Hewlitt gerichtet, als er antwortete: »Jedenfalls nicht bewußt. Für mich kommt das alles genauso überraschend wie für Sie. Ihre Anweisung lautete, daß die Mitarbeiter des psychologischen Teams das hier geführte Gespräch zur späteren Analyse draußen mit anhören sollten. Da ich von der AUGL-Station vorzeitig zurückgekehrt bin, habe ich auch Patient Hewlitts Schilderung seiner Gefühle bezüglich der Katze mitbekommen. Ich… ich brauche erst mal etwas Zeit, um darüber nachzudenken.«
»Dann tun sie das«, ermunterte ihn O'Mara. »Aber versuchen Sie bitte, beim Sortieren Ihrer Gedanken nichts wegzulassen.«
»In Ordnung.« Lioren schien sich durch die letzte Bemerkung des Chefpsychologen nicht sonderlich beleidigt zu fühlen, es sei denn, das Verdrehen eines Auges an die Decke galt auf Tarla bereits als abfällige Geste. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Während meiner Tätigkeit hier am Hospital empfinde ich sehr oft unterschwellige und zumeist kaum zu beschreibende Gefühle für meine Schützlinge, sowohl für die Patienten als auch für die Mitarbeiter; umgekehrt gilt übrigens häufig dasselbe. Obwohl wir Tarlaner körperlichen Kontakt zwischen fremden Wesen abstoßend finden, so halte ich es doch für notwendig, jemandem einfach die Hand zu halten oder ihn zu streicheln, um Gefühle zu vermitteln, die für die betroffenen Personen zu schwierig auszudrücken sind. Bevor Hewlitt von der Existenz einer von ihm empfundenen Bindung zwischen ihm und seiner Katze erzählte und mir klar wurde, daß zwischen uns beiden und der ehemaligen Patientin Morredeth eine ähnliche Verbindung besteht, habe ich die ganze Angelegenheit überhaupt nicht für wichtig gehalten. Doch jetzt stellt sich alles gänzlich anders dar, denn anscheinend bin ich zu einemneuen Wirt für die Virenkreatur geworden. Ich weiß sogar, wie und wann diese Übertragung stattgefunden haben muß.
Damals ist mir an dem Zwischenfall natürlich nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Die Beschädigung des Fells ist für eine junge Kelgianerin eine doppelte Tragödie. In den Augen dieser Spezies handelt es sich nicht nur um eine häßliche körperliche Entstellung, durch die eine zukünftige Paarung praktisch ausgeschlossen ist, sondern auch um eine ernsthafte Beeinträchtigung ihres wichtigsten Kommunikationsmittels. Von dem Zeitpunkt an, an dem Patientin Morredeth erfuhr, daß es sich um einen dauerhaften Zustand handeln würde, bedurfte sie dringend seelischen Beistands. Wie die meisten zivilisierten Planetenbevölkerungen verfügen auch die Kelgianer über verschiedene religiöse Überzeugungen, deren Grundzüge mir einigermaßen vertraut sind, doch Morredeth billigte keine davon. Während meiner täglichen Besuche konnte ich ihr deshalb nur ganz allgemein Trost spenden und mich mit ihr unterhalten. Dazu gehörte natürlich auch der neueste Krankenhausklatsch über irgendwelche Patienten oder Mitarbeiter, um sie von ihren eigenen Problemen abzulenken. Viel habe ich allerdings nicht damit erreicht, denn die Patientin fiel stets in einen Zustand tiefster Depressionen zurück. Erst bei dem Treffen, das direkt nach dem unfreiwilligen körperlichen Kontakt mit Patient Hewlitt stattfand, legte sie ein völlig verändertes Verhalten an den Tag.«
Lioren hielt kurz inne, und bei der freudigen Erinnerung an dieses Ereignis geriet sein großer, spitz zulaufender Körper unter dem umhangähnlichen Mantel leicht ins Zittern, eher er sich wieder beruhigte.
»Auch wenn ich hier der Krankenhausgeistliche bin, so habe ich doch Schwierigkeiten damit, irgendein Vorkommnis, selbst wenn es einem hin und wieder völlig unerklärlich vorkommen mag, als übernatürlich anzusehen. Da ich aber zu dem Zeitpunkt noch nichts von der Existenz dieser intelligenten Virenkreatur wußte, begann selbst ich allmählich an Wunder zu glauben. Morredeths Verhalten nach ihrer Heilung kann man wirklich nicht mehr als ganz normal bezeichnen, weil sie vor Freude undErleichterung fast durchgedreht zu sein schien. Ich hatte die beschädigte Stelle ihres Fells schon zuvor einmal berührt oder, besser gesagt, leicht gestreichelt, um ihr Trost zu spenden. Als Morredeth wieder gesund war, bestand sie aber darauf, die Freude mit ihr zu teilen, indem ich die Beweglichkeit ihres wiederhergestellten Fells mit meinen Händen selbst überprüfen sollte. Dabei muß es passiert sein.
Das Fell war wirklich ungeheuer beweglich, und zwar so sehr, daß sich lange Büschel davon um meine Finger wickelten. Einen Augenblick lang wurde eine meiner mittleren Hände fest gegen die Haut gepreßt, und ich hatte Angst, mich loszureißen, weil ich befürchtete, dabei einige Strähnen des nachgewachsenen Fells herauszureißen. Danach habe ich zwar bemerkt, daß meine Handfläche feucht war, doch war ich mir nicht sicher, ob es sich dabei um meinen eigenen oder um den Schweiß der Patientin handelte. Natürlich hatte ich erst recht keine Ahnung, daß eine solch plötzlich auftretende Feuchtigkeit mit demÜbertragungsmechanismus dieser Kreatur in Verbindung stehen könnte. Sekunden später zog ich meine Hand ohne Probleme von ihrem Fell zurück, beglückwünschte Patientin Morredeth zu ihrer Heilung und machte mich dann auf den Weg zu anderen Patienten.«