»Ach – wirklich?«
19. Kapitel
Prilicla durchbrach das darauffolgende Schweigen, indem er sagte: »Freund Hewlitt, zunächst einmal würden wir gern denselben Weg zurückverfolgen, den Sie damals genommen haben, und zwar von dem Loch im Gartenzaun, durch das Sie entwischt sind, bis zu dem besagten Baum, von dem Sie gefallen sind. Wenn Sie soweit sind, gehen Sie uns bitte voran.«
Hewlitt stapfte auf der anderen Seite des Gartenzauns durch das hohe, dichte Gras, das, wenn man nicht genauer hinsah, wie eine terrestrische Wiese aussah. Überhaupt hatte man das Gefühl, auf der Erde zu sein, zumal die Insekten viel zu klein waren, als daß man Unterschiede hätte erkennen können, und wenn man auf die heiße Sonne und den blauen Himmel mit seinen bizarren Wolken blickte, dann war einem hier als Terrestrier eigentlich gar nichts mehr fremd. Stillman hielt mit ihm Schritt, sagte aber keinen Ton, und die anderen blieben zu weit hinten, als daß Hewlitt ihre Gespräche hätte verstehen können. Er befürchtete, daß sie sich höchstwahrscheinlich gerade über ihn unterhielten und die medizinischen und psychologischen Auswirkungen seiner letzten Geschichte erörterten, die sie bestimmt wieder einmal als eine Ausgeburt seiner übersteigerten Phantasie betrachteten.
»Anfangs bin ich mir zwar nicht ganz sicher gewesen, Doktor Stillman, aber dann habe ich Sie doch wiedererkannt«, versuchte er schließlich den Monitoroffizier in ein Gespräch zu verwickeln, um auf andere Gedanken zu kommen. »Damals sind Sie mir natürlich viel größer vorgekommen, aber das liegt wohl daran, daß Kinder die meisten Erwachsenen für Riesen halten. Das liegt an der Perspektive. Trotzdem scheinen Sie sich kaum verändert zu haben.«
»Ehrlich gesagt, habe ich Sie überhaupt nicht wiedererkannt«, antwortete Stillman und klopfte sich lächelnd auf seinen etwas fülligen Bauch. »Nun ja, ich bin eben mehr in die Breite gegangen, während Sie offensichtlich in die Höhe geschossen sind.«»Jedenfalls kann man von Glück reden, Sie hier auf Etla noch angetroffen zu haben«, fuhr Hewlitt fort. »Ich habe nämlich immer gedacht, daß Mitarbeiter des Monitorkorps häufiger ihren Einsatzort wechseln.«
»Ich bin eigentlich sehr glücklich hier auf Etla«, murmelte Stillman.
Danach gingen die beiden wenigstens dreißig Schritte schweigend weiter, und Hewlitt begann sich bereits zu fragen, ob er eben etwas Beleidigendes gesagt haben könnte, als Stillman fortfuhr: »Die Kulturkontaktsituation auf diesem Planeten ist noch immer… nun ja, sehr interessant und auch ein wenig komplizierter als üblich, weil uns die Einheimischen hier kaum fremd sind. Wenn man es nämlich mit einer völlig fremden intelligenten Spezies zu tun hat, dann werden bei eventuell auftretenden Mißverständnissen auf beiden Seiten rasch Zugeständnisse gemacht. Hier auf Etla versuchen wir hingegen, eine Zivilisation, die auf Abwege gebracht worden war, sowohl zu verstehen, als auch allmählich umzuerziehen. Besser gesagt, sind die Etlaner von ihrem Imperator falsch informiert und zur Massenxenophobie aufgehetzt worden, um sich mit allen Mitteln gegen eine nicht existierende Bedrohung zu verteidigen. Also mußten wir erst einmal ihr Vertrauen gewinnen und ihnen beweisen, daß fremde intelligente Lebensformen nicht unbedingt besser oder schlechter sind als sie, sondern einfach nur anders.
Schon zu Ihrer Zeit auf Etla waren ganz bewußt einige Extraterrestrier hier auf dem Stützpunkt stationiert. Dahinter steckte die Idee, den etlanischen Fremdenhaß abzuschwächen, indem wir gezeigt haben, daß Aliens Seite an Seite mit uns harmonisch leben und arbeiten können. Hin und wieder haben wir einige ETs zu sehr sorgfältig vorbereiteten Besuchen öffentlicher Veranstaltungen geschickt, natürlich stets in Begleitung verdeckt arbeitender Leibwächter. Zum Beispiel wohnten sie als Zuschauer wichtigen Sportveranstaltungen bei oder nahmen an Aussichtsfahrten teil, wobei sie zumeist selbst zur größten Attraktion wurden. Am wichtigsten aber waren die Besuche von Schulen und die dort geführten Gespräche mit den Kindern. Heute kommen auf jeden terrestrischen oder sonstigen Mitarbeiter des Stützpunktpersonals drei Etlaner, so daß das Kulturkontaktprogramm sehr große Fortschritte macht.Erschwert wird diese Arbeit allerdings durch den Umstand, daß die Etlaner, obwohl sie im Grunde sehr umgängliche und freundliche Wesen sind, über einen enormen Stolz verfügen. Selbst ich vergesse manchmal, wie anders sie sind, so daß immer noch Mißverständnisse tagtäglich auftreten. Deshalb ist Shech-Rar auch alles andere als erfreut – und bei seinem natürlichen Mangel an Charme mögen sich seine Äußerungen etwas unwirscher anhören, als sie gemeint sind -, daß ein so bunt gemischter Haufen wie der Ihre hier eine nicht genauer umrissene Untersuchung durchführt und womöglich in völliger Verkennung der Situation auf diesem Planten überall herumstromert.
Nehmen Sie das bitte nicht persönlich«, fügte Stillman hinzu. »Sie haben nämlich soeben eine knappe und leicht abgeänderte Zusammenfassung meiner Begrüßungsrede für neu eingetroffenes Monitorkorpspersonal gehört.«
Hewlitt hielt es nicht für angebracht, etwas darauf zu erwidern, zumal er hörte, daß die anderen allmählich von hinten aufrückten und augenscheinlich lieber zuhören wollten, worüber er sich gerade mit Stillman unterhielt, als selbst miteinander zu reden.
Stillman lachte kurz auf und fuhr dann fort: »Wenn ein engagiert und erfolgreich arbeitender Korpsoffizier erst einmal das Vertrauen der Einheimischen gewonnen hat, sehen es seine Vorgesetzten natürlich gern, wenn er so lange wie möglich bleibt, um eine Kontinuität dieses Prozesses zu gewährleisten. Offenbar habe ich diesbezüglich eine ganz besondere Begabung an den Tag gelegt, denn schließlich habe ich eine Etlanerin geheiratet und bin sogar noch nach meiner Pensionierung auf diesem Planeten geblieben. Meine Frau ist natürlich auch der Grund, weshalb ich Ihnen eben gesagt habe, daß ich hier sehr gerne lebe.«
»Ich verstehe«, merkte Hewlitt an.
Stillman schien Hewlitts leichte Verlegenheit zu registrieren und sagte: »Keine Sorge, ich werde auf meine alten Tage schon nicht sentimental. Ich habe meine Frau bereits im zweiten Jahr hier auf Etla kennengelernt. Sie hat damals als das gearbeitet, was man hier als › Lehrmeisterin der Kinder ‹bezeichnet. Das sind etlanische Frauen, die die Vier- bis Siebenjährigen unterrichten. Und meine Frau ist damals die erste Etlanerin gewesen, die sich damit einverstanden erklärte, ihre Klasse gemeinsam mit einem tralthanischen Lehrer zu unterrichten. Also ist sie schon zu jener Zeit davon überzeugt gewesen, Kinder am besten möglichst frühzeitig mit Aliens zu konfrontieren, damit sie erst gar nicht in die Versuchung geraten konnten, die Vorurteile ihrer Eltern zu übernehmen. Meine Frau ist damals Witwe gewesen. Seinerzeit gab es hier furchtbar viele Witwen und Waisenkinder. Da wir logischerweise selbst keine Kinder kriegen konnten, haben wir vier adoptiert, bevor wir zu alt wurden, um… «
»Doktor Stillman?« rief Murchison, die größere Schritte machte, bis sie die beiden eingeholt hatte. »Ich weiß zwar, daß die Natur der gemeinsamen Fortpflanzung unterschiedlicher Arten einen Riegel vorgeschoben hat, doch wenn Sie von einer Ausnahme wissen sollten, die die Regel bestätigt, könnte das eine Antwort auf einige ungeklärte medizinische Fragen sein. Vielleicht würde dadurch auch alles nur noch verwirrender. Haben Sie schon mal von einem solchen Ausnahmefall gehört? Und wenn ja, ist es möglich, daß ein Elternteil von Hewlitt etlanisch oder er selbst vielleicht ein etlanisches Pflegekind gewesen ist?«