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Lioren hielt kurz inne, und in seine Stimme schlich sich ein fast wehleidig klingender Ton ein, als er fortfuhr: »Für ein Krankenhaus, das bereits überall in dem Ruf steht, wahre medizinische Wunder vollbringen zu können, ist ein wirkliches Wunder äußert unangenehm, wenn nicht sogar peinlich. Nun ja, und solch eine Wunderheilung macht selbst mir einigermaßen zu schaffen.Oder haben Sie für die wundersame Genesung der Patientin Morredeth irgendeine andere Erklärung, Patient Hewlitt?«

15. Kapitel

Während der folgenden Woche nach Morredeths Verlegung in die Pathologie fiel Hewlitt auf, daß sich die anderen ihm gegenüber etwas merkwürdig verhielten, doch gab es keinen bestimmten Anlaß, der ihm Grund zur Beschwerde gegeben hätte. Chefarzt Medalont wechselte nur wenige Worte mit ihm und wenn doch, dann drehten sich die Gespräche praktisch nie um seine Krankheit. Oberschwester Leethveeschi legte eine ungeahnte Höflichkeit an den Tag. Die hudlarische Schwester war wie immer freundlich, wenngleich weniger gesprächig als sonst, und als er versuchte, mit Horrantor und Bowab zu dritt Scremman zu spielen, taten sie fast so, als hätte es ihnen die Sprache verschlagen. Um es mit einer Redensart, die seine Großmutter einst gern verwendet hatte, auszudrücken: Alle führten um ihn herum den reinsten Eiertanz auf.

Offenbar war Lioren das einzige Wesen, das sich ausführlicher mit ihm zu unterhalten bereit war, obwohl die Besuche des Padre immer in langen und häufig auch hitzig geführten religiösen Debatten zu enden schienen; auch wenn Hewlitt diese als ungläubiger Mensch lieber als philosophische Streitgespräche bezeichnete. Auf jeden Fall verkürzten sie ihm die Tage und beschäftigten ihn gedanklich bis tief in die dazwischenliegenden Nächte hinein, und dafür war er sehr dankbar. Obwohl der Padre nicht unbedingt seine erste Wahl in der nach oben hin offenen Richter-Skala unterhaltsamer Gesprächspartner gewesen wäre. Erst recht nicht, wenn Lioren wie jetzt wieder einmal versuchte, die Unterhaltung auf das immer langweiliger werdende Thema zu lenken, was genau mit Morredeths Fell passiert sein könnte.

»Als ich vorhin mit Morredeth gesprochen habe, hat sie mir gesagt, die Pathologie habe nichts gefunden, was zu beanstanden sei, und in ihrem wiederhergestellten Fell gebe es auch keinerlei Anzeichen für eine Verschlechterung. Ihrer Auffassung nach gingen Thornnastor allmählich die Gründe dafür aus, sie noch länger unter Beobachtung zu halten, so daß er sie bald nach Hause entlassen müsse. Sollte Morredeth Sie nicht mehrsehen können, so läßt sie Ihnen die besten Wünsche ausrichten und darüber hinaus ein großes Dankeschön, falls Sie etwas getan haben sollten, um sie zu heilen und …«

»Aber ich habe lediglich mit ihr ein wenig gerungen, sonst nichts!« unterbrach ihn Hewlitt. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß Sie ihr das ausrichten sollen.«

»Das habe ich auch getan«, erwiderte der Padre. »Morredeth hat auch nur gesagt, falls Sie etwas getan haben sollten, wäre sie Ihnen dankbar. Wie alle anderen hat auch sie Probleme, an Wunder zu glauben.«

»Es gibt keine Wunder!« stellte Hewlitt nicht zum ersten Mal klar. »Es gibt bloß Naturgesetze, die wir nicht verstehen oder noch nicht erforscht haben. Da wir zum Beispiel wissen, wie dieses Ding hier funktioniert, können wir dieses Wunder auch mehrmals am Tag vollbringen, ohne weiter darüber nachzudenken, stimmt's?«

Während des Sprechens hatte Hewlitt den Kommunikator neben dem Bett eingeschaltet und den Code für das Bibliotheksmenü eingegeben, und jetzt fragte er sich, ob Lioren diesen Wink verstehen und endlich gehen würde. Bei früheren Anlässen hatte er es jedenfalls nicht getan, und wenn der Padre eins war, dann ein Musterexemplar an Beständigkeit, was sein Sitzfleisch betraf.

»Sicher, vor einigen Jahrhunderten wäre eine Bildübertragung ein großes Wunder gewesen«, stimmte Lioren ihm zu. »Daß Morredeth ungeheuer erleichtert und froh ist, muß ich Ihnen ja nicht erst sagen, aber vor allem ist sie enorm stolz auf den Zustand ihres Fells. Sie hat sogar darauf bestanden, daß ich meine Hände auf ihre Flanken lege, um die Dichte und Beweglichkeit zu spüren, und sie hat behauptet, daß es sich noch nie zuvor so gut angefühlt habe. Auf Tarla macht man so etwas nur, wenn man miteinander sehr vertraut ist und eine tiefe emotionale Bindung teilt, aber Morredeth wollte unbedingt, daß ich ihr Fell berühre. Na ja, offen gesagt, war mir das ziemlich unangenehm, denn bei solchen Anlässen kann ich mich in moralischer Hinsicht als ein ganz schöner Feigling entpuppen. Auf alle Fälle war es ein sehr seltsames und höchst unerwartetes Gefühl, das nur sehr schwer zu beschreiben ist. Ich kam mir dabei ziemlich… nun ja, wie soll ich das mal ausdrücken… ?«

»Kamen Sie sich vielleicht ein bißchen lächerlich vor?« half Hewlitt aus. »So ist es mir jedenfalls ergangen, als mir dasselbe mit Horrantor passiert ist. Medalont hat mich nämlich gebeten, meine Hände für einen medizinischen Versuch auf die verletzte Gliedmaße der Tralthanerin zu legen. Nach Aussage des Chefarztes gebe es mit Horrantors Beinverletzung Komplikationen, und die Genesung würde nur sehr langsam voranschreiten. Da offenbar befürchtet wurde, daß etwas Dramatisches passieren könnte, standen Medalont, Leethveeschi, zwei orligianische Krankenschwestern und das komplett angetretene Reanimationsteam bereit. Ich nehme an, daß letztendlich alle, sogar Horrantor selbst, heilfroh waren, daß sich trotz meines Handauflegens nichts tat.

Tja, mit einem zweiten Wunder kann ich also nicht dienen, Padre. Tut mir leid.«

»Sie brauchen sich deswegen wahrhaftig nicht zu entschuldigen«, meinte Lioren. »Außerdem empfinde ich ähnlich wie meine Kollegen; wenn ein solch vermeintliches Wunder geschieht, fühle ich mich immer sehr unwohl in meiner Haut, und es verunsichert mich in dem, an was ich glaube und an was ich nicht glaube, und ich muß umgehend beweisen, daß nichts dergleichen geschehen ist.«

»Natürlich gibt es keine Wunder, Padre«, versicherte ihm Hewlitt nochmals. »Können wir jetzt bitte über etwas anderes reden?«

»Es muß sehr schön sein, sich seiner Sache so sicher zu sein«, sagte Lioren und machte dabei mit den mittleren Armen eine ungestüme Geste, die ein anderer Tarlaner wahrscheinlich hätte deuten können. »Trotzdem frage ich mich, ob in der Schöpfung – in der ungeheuren Weite von Raum und Zeit, den unveränderlichen Gesetzen von Ursache und Wirkung und dem perfekten Gleichgewicht der Kräfte – kein Platz für ein gelegentliches Wunder ist. Doch warum ist es ausgerechnet hier geschehen?«

Hewlitt schüttelte den Kopf und seufzte schwer; anscheinend gab es keine Möglichkeit, den Padre von diesem endlosen Thema überMorredeths Fell und den unvermeidlichen religiösen Debatten abzubringen. »Hier ist gar nichts geschehen. Es gibt keine Wunder, Padre! Würde es welche in Ihrem großen, komplizierten und dennoch wohlgeordneten Universum geben – oder von mir aus auch in der Schöpfung, wie Sie es nennen -, dann wären sie fehl am Platz. Ein Defekt in einem ansonsten so perfekten System. Im Universum ist nun mal kein Platz für Wunder.«

»Ein interessanter, philosophischer Gedanke«, sann Lioren laut nach. »Er läßt darauf schließen, daß unsere Schöpfung fehlerhaft ist, da ja ganz offensichtlich hier im Orbit Hospital ein übernatürliches Ereignis stattgefunden hat. Wenn man sich die hypothetischen Eigenschaften des höchsten Wesens vor Augen hält, warum sollte er, sie oder es irgendeine Form der Unvollkommenheit erschaffen haben?«

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