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Der Tarlaner beugte sich über das Bett und öffnete den Mund. Zum ersten Mal sah Hewlitt Liorens riesige Zähne und spürte dessen Atem im Gesicht. Er war stolz auf sich; denn anstatt panikartig den Raum zu verlassen, blieb er ruhig im Bett liegen. Im Orbit Hospital schien man sich mit der Zeit an alles und jeden zu gewöhnen.

»Das weiß ich selbst nicht so genau«, antwortete der Padre. »Irgendwas. Am besten alles. Am liebsten etwas, das es mir ermöglicht, mich an dem Problem – wie Sie es als Terrestrier auszudrücken pflegen – so richtig festzubeißen.«

»Und das mit Ihren Zähnen?« platzte es Hewlitt automatisch heraus, wobei er entsetzt auf den offenen Mund des Tarlaners starrte. Dann lachte er verkniffen und fuhr fort: »Na ja, wo wir schon davon sprechen: Ich hatte tatsächlich Probleme mit meinen Zähnen, und zwar als kleines Kind auf Etla, das war allerdings nur halb so schlimm. Ich war damals sieben Jahre alt, als die ersten Milchzähne locker wurden, doch die ersten beiden neuen Zähne wollten nicht richtig nachwachsen, da sich die alten anscheinend strikt weigerten herauszukommen. Ich hatte zwar Zahnschmerzen, aber als Kind machte ich mir natürlich mehr Sorgen darum, von der Zahnfee keine Belohnung zu bekommen, wenn sie während der Nacht keine herausgefallenen Zähne auf meinem Kissen finden würde. Kennen Sie eigentlich den terrestrischen Brauch mit der Zahnfee? Na, ich werde Ihnen vielleicht später mehr davon erzählen. Als der dritte neue Zahn kam und sich der alte ebenfalls standhaft weigerte herauszufallen, verlor der Zahnarzt die Geduld und zog alle drei alten Zähne auf einmal heraus. Danach bereiteten sie mir keine Probleme mehr, und das Geld der Zahnfee lag, wienicht anders zu erwarten war, auf meinem Kopfkissen. Aber ich glaube nicht, daß diese Zahngeschichte von Belang ist.«

»Wer weiß schon, welche Informationen für Ihren Krankheitsfall letztendlich verwertbar sind?« merkte der Padre an. »Trotzdem stimme ich Ihnen diesbezüglich zu. Gibt es vielleicht noch andere nicht aufgezeichnete und Ihrer Ansicht nach völlig unwesentliche Begebenheiten, an die Sie sich erinnern können?«

Je länger Hewlitt redete, desto besser konnte er sich an einige Vorkommnisse erinnern, von denen einige sogar zu seinem großen Erstaunen in seiner Krankenakte festgehalten worden waren. Der Rest war eine langweilige Aufzählung all der Hautausschläge, die man als Kind und Jugendlicher erleidet, sowie diverser Verletzungen, die er sich in der Schule oder zu Hause zugezogen hatte. Natürlich hatte er sich einige Male in den Finger geschnitten, sich den Kopf gestoßen oder sich die Knie aufgeschlagen, aber nie war etwas Ernsthaftes oder Langwieriges dabeigewesen. Die Schnittwunden und Abschürfungen waren stets im Nu verheilt, selbst wenn die eine oder andere Wunde zunächst so schlimm ausgesehen hatte, als hätte sie sofort genäht werden müssen.

»Als ich jung war, mochte ich keine Ärzte, weil sie darauf bestanden, mir Medikamente zu verschreiben, nach deren Einnahme es mir immer nur schlechter anstatt besser ging«, fuhr er fort. »Zuerst befürchtete ich, daß Medalont genauso vorgehen wollte, doch hat er mir zu meiner großen Verwunderung überhaupt keine Medikamente verschrieben, und mit Ausnahme des Herzstillstands in der ersten Nacht habe ich bislang keinerlei Beschwerden gehabt. Soll ich weitererzählen, Padre? Sind das ungefähr die Informationen, die Sie von mir haben wollen?«

»Ich weiß selbst nicht genau, was ich wissen will und wonach ich suche, ja noch nicht einmal, ob ich einen wichtigen Anhaltspunkt sofort als solchen erkennen würde, wenn ich auf ihn stoße, Patient Hewlitt«, erwiderte der Tarlaner. »Wenn allerdings all das, was Sie und Ihre Ärzte sagen, wahr ist und man die beiden unerklärlichen Ereignisse, in die Sie hier im Krankenhaus verwickelt waren, mit einbezieht, dann bleibt für mich bislangnur eine einleuchtende Erklärung übrig, wenngleich ich mich nur äußerst widerwillig damit abfinden kann.«

Der Tarlaner beugte sich derart weit über das Bett, daß Hewlitt sich fragte, ob dessen im Grunde von Natur aus standfester Körper womöglich doch das Gleichgewicht verlieren und auf ihn fallen könnte.

Die Gesichtszüge des Padre waren zwar nicht zu deuten, doch war seine Anspannung fast physisch spürbar, als er fragte: »Gehören Sie eigentlich einer religiösen Sekte an, Patient Hewlitt?«

»Nein.«

»Gehörten denn Ihre Eltern einer Religionsgemeinschaft an? Oder Ihre Großeltern vielleicht, bei denen Sie ja später aufgewachsen sind? Dabei dürfte es sich höchstwahrscheinlich um eine kleinere Sekte gehandelt haben, weil es ihr nicht möglich war, eine Bevölkerung mit einer größtenteils materialistischen Weltanschauung zu missionieren. Die nur sehr wenigen Mitglieder dieser Sekte dürften jedoch höchst moralische Grundsätze gehabt haben und äußerst fromm und zutiefst von ihrem Glauben überzeugt gewesen sein. Auch wenn Sie zu jener Zeit noch sehr jung gewesen sind, sind Sie von Ihren Eltern, Großeltern oder irgendwelchen Lehrern in den Glaubensgrundsätzen einer solchen Sekte unterwiesen worden?«

»Nein«, erklärte Hewlitt von neuem.

»Sie sollten sich mehr Zeit gönnen, wenn Sie sich an die Zeit erinnern«, riet ihm Lioren. »Bitte denken Sie noch einmal genau darüber nach.«

Der Körper des Padre richtete sich in schlängelnden Bewegungen wieder auf, und Hewlitt war sich nicht sicher, ob diese Geste Entspannung oder Enttäuschung ausdrücken sollte.

»Tut mir leid, Padre, aber ich dachte, Ihnen sei klar, daß ich kein religiöser Mensch bin, zumal ich vorhin Ihr Angebot, mir geistlichen Trost zu spenden, abgelehnt habe. Warum stellen Sie überhaupt so viele religiöse Fragen? Ich bin noch nie ein gläubiger Mensch gewesen.«

Als Lioren antwortete, war Hewlitt heilfroh, daß rings ums Bett ein schalldichtes Feld errichtet worden war, denn die Stimme des Padre wärebis in den letzten Winkel der Station gedrungen.

»Ich stelle diese Fragen, weil sie gestellt werden müssen, und weil religiöse Überzeugungen oft eine starke Auswirkung auf die psychische und physische Verfassung eines Wesens haben können. Hauptsächlich stelle ich sie allerdings aufgrund Ihres Verhaltens in der vergangenen Nacht.

Obwohl der gesundheitliche Zustand von Patientin Morredeth kaum Grund zur Sorge bereitete, hat sie aufgrund der Unterhaltung mit Ihnen starke seelische Qualen erlitten, die in einem heftigen Schüttelkrampf gipfelten«, fuhr er mit unverminderter Lautstärke fort. »Sie haben der diensthabenden Krankenschwester beim Ruhigstellen der Patientin geholfen, damit diese der Kelgianerin eine Beruhigungsspritze verabreichen konnte, doch da hatten bereits beide Herzen der Patientin aufgehört zu schlagen. Und dann setzte eine Art wundersamer Prozeß ein, den man allenfalls als ›Handauflegen‹ bezeichnen kann.

Als nämlich die Leute vom Reanimationsteam eintrafen, waren die ziemlich aufgebracht«, setzte Lioren mit etwas ruhigerer Stimme seine Ausführungen fort, »weil sie zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen auf dieselbe Station zu Noteinsätzen gerufen worden sind, die sich beide im nachhinein als Fehlalarm herausstellten. Thornnastor ist völlig verwirrt – ein Zustand, der beim Chefdiagnostiker der Pathologie übrigens höchst selten vorkommt – und hat Patientin Morredeth für genauere Untersuchungen in sein Labor bringen lassen, da es für das, was mit ihr geschehen ist, keinen Präzedenzfall gibt. Na, und Patientin Morredeth ist natürlich überglücklich, weil ihr Fell an den Stellen, an denen es gefehlt hat oder beschädigt gewesen ist, binnen Stunden nachgewachsen ist und jetzt so gut wie neu aussieht.«

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