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Während seines Gesprächs mit der Oberschwester hatte Lioren die ganze Zeit sämtliche Augen auf Hewlitt gerichtet, doch selbst nie ein Wort dazu gesagt. Als sie sich wenige Minuten später wieder auf dem Korridor befanden, fragte sich Hewlitt, ob ihm der Padre das Gespräch mit Hredlichli krummnahm.

»Sind wir uns einig, daß es auf der Chalderstation keine Exwirte der Virenkreatur gibt?« erkundigte sich Hewlitt.

»Ja«, antwortete Lioren knapp.

Immerhin hatte dieses kleine Wort schon mal ein kleines Loch in die Mauer des Schweigens gerissen. Doch mit der wachsenden Angst wuchs auch Hewlitts Verlangen, mehr zu erfahren, und ihm war klar, daß seine nächste Frage dieses kleine Loch in der Mauer wieder verschließen könnte.»Haben Sie den Grund für die Notfallübung eigentlich auch gekannt und ihn mir extra nicht verraten, Lioren?«

»Ja«, antwortete der Padre, und bevor Hewlitt die naheliegende Frage nach dem Warum stellen konnte, fuhr Lioren fort: »Dafür gab es drei Gründe. Einer davon ist Ihnen ja bereits bekannt; nämlich der, daß Sie auf diesem Gebiet kein Experte sind, was wiederum bedeutet, daß es überhaupt keinen Sinn gehabt hätte, Sie über den wahren Sachverhalt zu informieren, da es nicht zur Lösung des Problems beigetragen hätte. Zweitens hätten Sie sich nur unnötige Sorgen gemacht, was sich möglicherweise auf Ihr Verhalten bei unserer gegenwärtigen Suche negativ ausgewirkt hätte. Und drittens bin ich über den Notfall unter ganz besonderen Begleitumständen informiert worden, die es mir verbieten, meine Kenntnisse preiszugeben. Auf jeden Fall haben Sie von Hredlichli auch nicht viel weniger erfahren, als ich weiß, so daß ich mich jetzt durchaus in der Lage sehe, mich mit Ihnen über die aktuelle Situation zu unterhalten… zumindest ganz allgemein.«

»Soll das etwa heißen, daß es da immer noch etwas gibt, das Sie mir nicht verraten wollen«, hakte Hewlitt nach und fügte im geringschätzigen Ton hinzu: »Natürlich nur, damit ich mir keine unnötigen Sorgen mache, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete Lioren.

Jetzt war Hewlitt an der Reihe, lieber eine Mauer des Schweigens um sich herum zu errichten, denn die Wörter, die er Lioren gerne an den Kopf geworfen hätte, wären dem Padre höchstwahrscheinlich nicht gerecht geworden.

Folglich mußte sich dieses Mal Lioren als Abbruchunternehmer von Schweigemauern betätigen. »Als nächstes begeben wir uns auf die SNLU-Station«, verkündete er. »Die SNLUs sind sehr zarte Methanwesen mit einer kristallinen Gewebestruktur, die auf helles Licht und steigende Umgebungstemperatur extrem empfindlich reagiert. Die für uns erforderlichen Schutzfahrzeuge sind stark isoliert und etwas unbeweglich, aber mit Außensensoren und fernbedienbaren Greifarmen ausgestattet.Aufgrund der extremen Hörempfindlichkeit ist es notwendig, die nach außen gehenden akustischen Signale zu reduzieren und die hereinkommenden zu verstärken, deshalb ist es sehr leise auf dieser Station. Sie können sich meinem Patienten ruhig nähern, wenn ich Sie mit ihm bekanntmache. Danach müssen Sie uns beide aber allein lassen. Sie können sich dann mit den drei anderen Patienten, die dort zur Zeit sonst noch behandelt werden, unterhalten, wie Sie es schon auf der Chalderstation getan haben. Um die Steuerung Ihres Schutzfahrzeugs brauchen Sie sich nicht zu kümmern, weil es vom Personalraum aus von einem Mitarbeiter ferngesteuert wird.«

Hewlitt schwieg beharrlich, da er sich noch immer maßlos darüber ärgerte, daß Lioren ihm Informationen vorenthielt, nur damit er sich keine unnötigen Sorgen machte.

»Wie Sie gleich feststellen werden, kühlt bei den auf der SNLU-Station herrschenden Umweltbedingungen selbst das heißblütigste Temperament rasch ab«, fügte Lioren weise hinzu.

29. Kapitel

Auf der Station herrschten Dunkelheit und eisige Kälte. Schwere Blei-und Panzerplatten dienten als Isolation vor der Reststrahlung und Wärme, die durch den hospitalnahen Schiffsverkehr hervorgerufen wurden. Natürlich gab es keine Fenster, weil selbst das schwache Licht der weit entfernten Sterne diesen sensiblen Bereich des Orbit Hospitals nicht erreichen durfte. Die Abbildungen, die auf Hewlitts kleinem Bildschirm erschienen, waren aus dem nicht sichtbaren Spektrum umgewandelt worden, wodurch sie unwirklich und nahezu geisterhaft wirkten. Die Schuppen, mit denen der achtgliedrige, seesternähnliche Körper des Patienten bedeckt war, glänzten durch den Methannebel hindurch wie vielfarbige Diamanten, wodurch das Wesen einem wundersam anmutenden Wappentier ähnelte.

Während sich Hewlitt zwischen den Patienten hindurchbewegte, stellte er den Translator aus, um auf diese Weise den natürlichen Stimmen der SNLUs zu lauschen, und er nahm Klänge wahr, wie er sie noch nie zuvor gehört hatte. So kristallklar und schön waren diese Laute, daß er beinahe das Gefühl hatte, dem akustisch verstärkten Klingeln zusammenprallender Schneeflocken zu lauschen. Auch wenn sich auf dieser Station kein Wirtskörper befand – wobei Hewlitt bezweifelte, daß hier irgend etwas, außer einem SNLU selbst, länger als fünf Minuten überleben könnte -, so wunderte er sich nur um so mehr, wie schwer ihm der Abschied von diesen exotischen Wesen fiel.

Liorens nächster Besuch galt einer melfanischen Schwester namens Lontallet, die gerade dienstfrei hatte. Nachdem Hewlitt ihr vorgestellt worden war und sie von der Verdächtigenliste ehemaliger Viruswirte hatte streichen können, wartete er draußen auf dem Flur, während Lioren die Schwester nach drinnen in deren Unterkunft begleitete.

Das Warten war nicht besonders langweilig, weil eine sich langsam bewegende Patientenkolonne an ihm vorbeizog. Hewlitt zählte dreißig Wesen, die fünf verschiedenen sauerstoffatmenden Spezies angehörten undvon denen einige mit G-Schlitten transportiert wurden. Den hektisch geführten Gesprächen des Begleitpersonals war zu entnehmen, daß es sich offenbar um eine Evakuierungsübung handelte, die ziemlich chaotisch verlief. Als der letzte Pfleger an ihm vorbeigegangen war, kam der Padre wieder nach draußen.

»Ist die Gruppe langsam genug an Ihnen vorbeigezogen, um jeden einzelnen überprüfen zu können?« erkundigte sich Lioren. »Und haben Sie irgendwas bemerkt?«

»Erstens ja und zweitens nein«, antwortete Hewlitt. »Wohin geht's als nächstes?«

»Zur Luftschleuse des Anlegedocks auf Ebene eins. Doch vorher werden wir sämtliche dazwischenliegenden Ebenen und den dazugehörigen Stationen einen kurzen Besuch abstatten und nebenbei alle Passanten auf den Verbindungskorridoren überprüfen«, sagte Lioren. »Auf jeden Fall müssen wir sehr viel schneller arbeiten und dürfen uns nicht so lange mit den Patienten unterhalten. Ein paar Worte wechseln oder ein kurzer Blickkontakt ist alles, was wir uns noch erlauben können. Sind Sie müde?«

»Nein, nur neugierig, aber auch hungrig«, antwortete Hewlitt. »Wir haben schon lange nichts mehr gegessen, und ich…«

»Kurzfristig wird uns der Hunger schon nicht umbringen«, unterbrach ihn der Padre. »Ich habe von Schwester Lontallets Zimmer aus Kontakt mit der Abteilung aufgenommen. O'Mara befindet sich gerade in einer Konferenz, dieses Mal per Kommunikator mit den Kapitänen der wartenden Schiffe, aber er hat eine Nachricht für uns hinterlassen. Demnach hat sich die Situation zwar verschärft, aber dennoch sind die genauen Umstände des technischen Notfalls immer noch nicht publik gemacht worden. Gegenwärtig sind drei verschiedene Evakuierungsübungen in Gang, doch bislang haben noch keine Schiffe an den Anlegeschleusen festgemacht. Die Patienten beklagen sich schon über die Unannehmlichkeiten. Die medizinischen Mitarbeiter ahnen längst, daß etwas im Argen liegt und verlangen nach Antworten auf ihre Fragen, und obwohl ihnen der Krankenhausfriede am Herzen liegt und sie alles fürdessen Aufrechterhaltung tun, bekommen die Patienten doch etwas von ihrer Unruhe mit, und so schaukeln sie sich gegenseitig hoch. In psychologischer Hinsicht befinden wir uns in einer äußerst prekären Situation, und dieser angespannte Zustand ist nicht mehr allzu lange tragbar.«

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