Der Affe starb um Viertel vor zwölf.
Er saß auf seinem Ast, wo er apathisch hockte, die Hände unterm Kinn, dann flatterten seine Lider, und er kippte nach vorne und schlug mit einem letzten gräßlichen Platsch auf den Betonboden. Larry wollte nicht mehr sitzen bleiben. Er stand auf und schlenderte rastlos zur Laubenpromenade mit ihrem großen Orchesterpavillon hinüber. Vor fünfzehn Minuten hatte er weit weg den MonsterSchreier gehört, aber jetzt schienen die einzigen Geräusche im Park das Klappern seiner Absätze auf dem Beton und das Zwitschern der Vögel zu sein. Vögel bekamen anscheinend keine Grippe. Gut für sie.
Als er sich dem Orchesterpavillon näherte, sah er, daß eine Frau davor auf einer Bank saß. Sie mochte um die Fünfzig sein, hatte sich aber große Mühe gegeben, jünger auszusehen. Sie trug teuer aussehende graugrüne Hosen und eine schulterfreie Bauernbluse aus Seide... abgesehen davon, dachte Larry, daß Bauern sich seines Wissens keine Seide leisten konnten. Als sie Larrys Schritte hörte, sah sie sich um. Sie hatte eine Tablette in der Hand und warf sie sich beiläufig in den Mund wie eine Erdnuß.
»Hi«, sagte Larry. Ihr Gesicht war gelassen, ihre Augen blau. Aufgewecktheit und Intelligenz leuchteten darin. Sie trug eine Brille mit Goldrand, und ihre Handtasche war mit etwas abgesetzt, das eindeutig wie Nerz aussah. Sie trug vier Ringe an den Fingern: einen Trauring, zwei Diamanten und einen Smaragd so groß wie ein Katzenauge.
»Äh, ich bin nicht gefährlich«, sagte er. Es war vermutlich lächerlich, so etwas zu sagen, schätzte er, aber es sah tatsächlich so aus, als hätte sie ungefähr 20000 Dollar an den Fingern. Natürlich konnte der Schmuck unecht sein, aber sie sah nicht wie eine Frau aus, die Messing und Zirkone tragen würde.
»Nein«, sagte sie, »Sie sehen nicht gefährlich aus. Und Sie sind nicht krank.« Beim letzten Wort hob sie die Stimme ein wenig, so daß der Satz halb wie eine höfliche Frage klang. Sie war nicht so gelassen, wie es auf den ersten Blick schien; an ihrem Hals zuckte ein Muskel, und hinter der strahlenden Intelligenz ihrer blauen Augen lag der gleiche dumpfe Schock, den Larry heute morgen beim Rasieren in den eigenen Augen gesehen hatte.
»Nein, ich glaube nicht. Sind Sie's denn?«
»Kein bißchen. Wissen Sie, daß Sie Eiscremepapier am Schuh haben?«
Er schaute nach unten und sah, daß es stimmte. Er wurde rot, weil er glaubte, sie hätte ihm im gleichen Tonfall gesagt, daß sein Hosenstall offen stand. Er hob das Bein und versuchte, es zu entfernen.
»Sie sehen aus wie ein Storch. Versuchen Sie es im Sitzen. Ich heiße Rita Blakemoor.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Larry Underwood.«
Er setzte sich. Sie gab ihm die Hand, er schüttelte sie leicht und spürte die Ringe an seine Finger drücken. Dann entfernte er mit spitzen Fingern das Eiscremepapier vom Schuh und warf es artig in einen Behälter neben der Bank, auf dem stand: ES IST IHR PARK! HALTEN SIE IHN SAUBER! Die ganze Prozedur kam ihm komisch vor. Er warf den Kopf zurück und lachte. Es war das erste herzliche Lachen, seit er nach Hause gekommen war und seine Mutter auf dem Fußboden der Wohnung vorgefunden hatte, und er stellte erleichtert fest, daß Lachen immer noch schön war. Es stieg aus dem Bauch empor und kam auf die altbekannte fröhliche Scheißdoch-drauf Weise zwischen den Zähnen heraus. Rita Blakemoor lächelte ihn an und lachte mit ihm, und wieder fiel ihm ihre ungezwungene und doch elegante Schönheit auf. Sie sah aus wie eine Frau aus einem Roman von Irwin Shaw. Nightwork vielleicht, oder derjenige, der für das Fernsehen verfilmt wurde, als er noch ein Kind war.
»Als ich Sie kommen hörte, hätte ich mich fast versteckt«, sagte sie.
»Ich dachte schon, Sie wären vielleicht der Mann mit der kaputten Brille und der merkwürdigen Philosophie.«
»Der Monster-Schreier?«
»Nennen Sie ihn so, oder nennt er sich selbst so?«
»Ich nenne ihn so.«
»Sehr passende Bezeichnung«, sagte sie und öffnete ihre (vielleicht) mit Nerz abgesetzte Tasche, der sie eine Packung Mentholzigaretten entnahm. »Er erinnert mich an einen wahnsinnigen Diogenes.«
»Ja, er sucht ein anständiges Monster«, sagte Larry und lachte wieder.
Sie zündete sich eine Zigarette an und stieß den Rauch aus.
»Er ist auch nicht krank«, sagte Larry. »Aber die meisten anderen.«
»Dem Pförtner in unserem Gebäude geht es ausgezeichnet«, sagte Rita. »Er tut sogar noch Dienst. Als ich heute morgen weggegangen bin, habe ich ihm einen Fünfer gegeben. Ich weiß nicht, ob ich ihm das Trinkgeld gegeben habe, weil er gesund war oder weil er Dienst tat. Was glauben Sie?«
»Ich kenne Sie nicht gut genug, das zu beantworten.«
»Nein, natürlich nicht.« Sie verstaute die Zigaretten wieder in ihrer Handtasche, und er sah, daß sie einen Revolver darin hatte.
»Der gehörte meinem Mann. Er war leitender Karrierist bei einer großen New Yorker Bank. So hat er sich selbst immer genannt, wenn jemand ihn gefragt hat, wie er sein Geld für die Cocktailzwiebeln verdiente. Ich-bin-leitender-Karrierist-bei-einergroßen-New-Yorker-Bank. Er starb vor zwei Jahren. Er war bei einem Essen mit einem dieser Araber, die immer aussehen, als hätten sie jedes sichtbare Stück Haut mit Brylcrem eingerieben. Er bekam einen Herzanfall. Er starb mit umgebundener Krawatte. Glauben Sie, das könnte für unsere Generation das Äquivalent für das Sprichwort sein, daß man in den Stiefeln stirbt? Harry Blakemoor starb mit umgebundener Krawatte. Das gefällt mir, Larry.«
Ein Fink landete vor ihnen und pickte auf dem Boden herum.
»Er hatte wahnsinnige Angst vor Einbrechern, darum hatte er diese Waffe. Ob Revolver wirklich rückstoßen und großen Lärm machen, wenn sie losgehen, Larry?«
Larry, der in seinem ganzen Leben noch keinen Revolver abgefeuert hatte, sagte: »Bei einer so kleinen Waffe wird der Rückstoß nicht so stark sein. Ist es ein Achtunddreißiger?«
»Ich glaube, es ist ein Zweiunddreißiger.« Sie nahm ihn aus der Tasche, und Larry sah, daß sie eine ganze Anzahl von Fläschchen mit Tabletten bei sich hatte. Diesmal folgte sie seinem Blick nicht. Sie sah zu einem kleinen Zedrachbaum, der etwa fünfzehn Schritte entfernt stand. »Ich glaube, ich versuche es. Meinen Sie, daß ich den Baum da drüben treffe?«
»Ich weiß nicht«, sagte er besorgt. »Aber ich finde, Sie sollten nicht...«
Sie drückte ab, und die Waffe ging mit einem eindrucksvollen Knall los.
Der Zedrachbaum hatte ein kleines Loch. »Ins Schwarze«, sagte sie und blies den Rauch vom Lauf wie ein Revolverheld.
»Echt gut«, sagte Larry, und als sie die Waffe in die Tasche zurücklegte, schlug sein Herz wieder in normalem Rhythmus.
»Auf einen Menschen könnte ich damit niemals schießen. Und bald wird keiner mehr da sein, auf den man schießen könnte, nicht wahr?«
»Oh, ich weiß nicht so recht.«
»Sie haben meine Ringe betrachtet. Möchten Sie einen haben?«
»Hm? Nein!« Er wurde wieder rot.
»Als Bankier glaubte mein Mann an Diamanten. Er glaubte an sie, wie die Baptisten an die Offenbarung glauben. Ich habe jede Menge Diamanten, und alle sind versichert. Wir besaßen nicht nur ein Stück vom Fels der Zeiten, mein Harry und ich, manchmal glaubte ich, wir hätten ein Pfandrecht auf das ganze verdammte Ding. Aber wenn jemand meine Diamanten haben wollte, würde ich sie ihm geben. Es sind schließlich nur Steine, nicht wahr?«
»Das stimmt wohl.«
»Natürlich«, sagte sie, und ihr Halsmuskel zuckte wieder leicht. »Und wenn plötzlich ein Bandit vor mir stehen würde und sie haben wollte, würde ich sie ihm nicht nur überlassen, ich würde ihm außerdem die Adresse von Cartier's geben. Die haben eine viel schönere Kollektion als ich.«
»Was haben Sie jetzt vor?« fragte Larry.
»Was würden Sie vorschlagen?«
»Ich weiß wirklich nicht«, sagte Larry seufzend.