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Angie lächelte. »Nein, das ist Tom. Er ist nur...«

Aber Dinny war schon losgerannt und rief: »Tom! Warte! Tom!«

Tom drehte sich grinsend um. »Dinny! He-he!«

Dinny sprang an Tom hoch. Tom ließ den Vesperkoffer fallen und nahm Dinny hoch. Wirbelte ihn herum.

»Flugzeug machen, Tom! Flugzeug machen!«

Tom packte Dinny an den Handgelenken und wirbelte ihn herum, schneller und schneller. Die Fliehkraft hob den Körper des Jungen, bis seine Beine parallel zum Boden waren. Er jauchzte vor Vergnügen. Nach zwei oder drei weiteren Umdrehungen setzte Tom ihn vorsichtig ab.

Dinny lachte, wankte und versuchte, das Gleichgewicht zu halten.

»Noch mal, Tom! Bitte, noch mal!«

»Nein, dann mußt du brechen. Und Tom muß jetzt nach Hause. Meine Fresse, ja.«

»Okay, Tom. Tschüs.«

Angie sagte: »Ich glaube, von allen Leuten in der Stadt mag Dinny am liebsten Lloyd Henreid und Tom Cullen. Tom Cullen ist einfältig, aber...« Sie sah das Mädchen an und verstummte. Das Mädchen betrachtete Tom mit schmalen, nachdenklichen Augen.

»Ist er mit einem anderen Mann gekommen?« fragte sie.

»Wer? Tom? Nein, soweit ich weiß, ist er ganz allein gekommen. Vor anderthalb Wochen. Er war bei den anderen Leuten in der Zone, aber sie haben ihn weggejagt. Ihr Verlust ist unser Gewinn, möchte ich sagen.«

»Und ist er wirklich nicht mit einem Tauben gekommen? Einem Taubstummen?«

»Einem Taubstummen? Nein. Er ist allein gekommen. Dinny liebt ihn über alles.«

Das Mädchen sah Tom nach, bis er nicht mehr zu sehen war. Sie dachte an Pepto-Bismol in der Flasche. Sie dachte an eine gekritzelte Notiz: Wir brauchten dich nicht.Das war damals in Kansas gewesen, vor tausend Jahren. Sie hatte auf die beiden geschossen. Wenn sie sie doch nur getötet hätte, besonders den Taubstummen.

»Julie? Alles in Ordnung?«

Julie Lawry antwortete nicht. Sie sah Tom Cullen nach. Nach einer Weile fing sie an zu lächeln.

64

Der Sterbende öffnete sein Permacover-Notizbuch, entfernte die Kappe von seinem Füller, überlegte eine Weile und fing dann an zu schreiben.

Es war seltsam; wo früher die Feder über das Papier geglitten war und wie in einem magischen Prozeß das Blatt mit Zeilen gefüllt hatte, kamen die Worte jetzt nur schleppend und ungelenk, die Buchstaben groß und unregelmäßig, als würde eine private Zeitmaschine ihn in seine ersten Schultage zurückversetzen.

Damals hatten seine Eltern noch ein wenig Liebe für ihn übrig gehabt. Amy war noch nicht erblüht, und seine Zukunft als der erstaunliche fette und-möglicherweise-homosexuelle Junge aus Ogunquit war noch nicht beschlossen. Er erinnerte sich noch genau daran, wie er damals mit einem Glas Cola neben sich am sonnigen Eßtisch gesessen und Wort für Wort ein Tom-Swift-Buch in ein Schreibheft Marke Blue Horse - billiges Papier, blaue Linien - abgeschrieben hatte. Er konnte die Worte seiner Mutter aus dem Wohnzimmer hören. Manchmal sprach sie ins Telefon, manchmal mit einer Nachbarin.

Es ist nur Babyspeck, sagt der Arzt. Gott sei Dank hat er nichts mit den Drüsen. Und er ist so klug!

Buchstabe für Buchstabe sah er die Worte entstehen. Wort für Wort die Sätze. Absätze, jeder ein Stein in dem großen gemauerten Bollwerk, das man Sprache nennt.

»Dies ist meine größte Erfindung«, sagte Tom energisch. »Gebt acht, was passiert, wenn ich die Platte herausziehe, aber um Gottes willen, schützt eure Augen!«

Die Mauersteine der Sprache. Ein Stein, ein Blatt, eine Tür, die man nicht findet. Worte. Worte. Magie. Leben und Unsterblichkeit. Macht.

Ich weiß nicht, woher er es hat, Rita. Vielleicht von seinem Großvater. Der war Priester, und es heißt, daß er die wunderbarsten Predigten gehalten hat...

Er beobachtete, wie die Buchstaben mit der Zeit besser wurden. Beobachtete, wie sie sich zusammenfügten, keine Druckschrift mehr, sondern Schreibschrift. Er trug Gedanken und Handlungen zusammen. Schließlich war die Welt nichts anderes als Gedanken und Handlungen. Er hatte schließlich eine Schreibmaschine bekommen (und mittlerweile war nicht mehr viel anderes für ihn übrig; Amy war an der High School, National Honor Society, Cheerleader, Laienschauspielgruppe, Diskussionsrunde, lauter Einsen, die Zahnspangen waren abgenommen worden, und ihre allerbeste Freundin auf der Welt war Frannie Goldsmith... und der Babyspeck ihres Bruders war noch nicht weg, obwohl dieser Bruder schon dreizehn Jahre alt war; und er fing an, große Worte zur Verteidigung zu gebrauchen, und ihm war mit allmählich aufkeimendem Entsetzen klargeworden, was das Leben wirklich war: ein einziger großer Kochtopf von Heiden', in dem er als einziger Missionar steckte und langsam gesotten wurde). Die Schreibmaschine setzte das übrige, das not tat, für ihn frei. Zuerst langsam, so langsam, und die ständigen Tippfehler waren unglaublich frustrierend. Es war, als würde sich die Maschine bewußt - und heimtückisch - seinem Willen widersetzen. Aber als er besser damit umgehen konnte, begriff er allmählich, was die Maschine wirklich war - eine Art magisches Stromkabel zwischen seinem Gehirn und der leeren Seite, die er zu erobern trachtete. Zur Zeit der Supergrippe konnte er mehr als hundert Worte pro Minute tippen, und damit konnte er endlich mit seinen rasenden Gedanken Schritt halten und alle einfangen. Aber er hatte nie völlig aufgegeben, mit der Hand zu schreiben, weil er wußte, daß Moby Dickmit der Hand geschrieben worden war, und Der scharlachrote Buchstabeund Das verlorene Paradies.

Die Art zu schreiben, die Frannie in seinem Hauptbuch gesehen hatte, hatte er in jahrelanger Übung entwickelt - keine Abschnitte, keine Absätze, keine Pause für das Auge. Es war Arbeit - gräßliche Arbeit, die die Hände verkrampfte -, aber es war eine heißgeliebte Arbeit. Er benützte die Schreibmaschine gern und bereitwillig, aber für seine Sternstunden behielt er sich stets die Handschrift vor. Und jetzt würde er den letzten Rest von sich selbst auf eben diese Weise zu Papier bringen.

Er sah auf und erblickte Bussarde, die am Himmel kreisten, wie in einer Samstagsmatinee in einem Film mit Randolph Scott oder einem Roman von Max Brand. Er stellte sich vor, wie es in einem Roman beschrieben sein würde: Harold sah die Bussarde wartend am Himmel kreisen. Er betrachtete sie einen Augenblick gelassen, dann beugte er sich wieder über sein Tagebuch.

Er beugte sich wieder über sein Tagebuch.

Am Ende mußte er wieder zu den krakeligen Buchstaben zurückkehren, dem Besten, was seine zitternde Motorik am Anfang zustande gebracht hatte. Er mußte schmerzlich an die sonnige Küche denken, das kalte Glas Cola, das alte und stockfleckige TomSwift-Buch. Und jetzt endlich, dachte er (und schrieb er), würde er seinen Vater und seine Mutter glücklich machen. Er hatte den Babyspeck verloren. Und obwohl er rein technisch gesehen immer noch Jungfrau war, war er todsicher, daß er kein Homosexueller war. Er machte den Mund auf und krächzte: »Der totale Gipfel, Ma.«

Er hatte die Seite halb vollgeschrieben. Er betrachtete zuerst das Geschriebene, dann sein Bein, das verbogen und gebrochen war. Gebrochen? Ein zu mildes Wort. Es war zerschmettert. Er saß jetzt schon fünf Tage lang im Schatten dieses Felsens. Er hatte nichts mehr zu essen. Er wäre schon gestern oder vorgestern verdurstet, wenn es nicht zweimal stark geregnet hätte. Sein Bein eiterte. Es hatte einen grünen, gasigen Geruch, und das Fleisch war so geschwollen, daß der Khakistoff seiner Hose sich straffte, und das Hosenbein wie eine Wursthülle aussah. Nadine war lange fort. Harold nahm die Pistole, die neben ihm lag, und überprüfte die Ladung. Heute hatte er sie hundertmal überprüft. Während der Regenschauer hatte er sorgfältig darauf geachtet, daß die Waffe nicht naß wurde. Er hatte noch drei Kugeln. Die ersten beiden hatte er auf Nadine abgefeuert, als sie zu ihm hinuntergeschaut und ihm gesagt hatte, daß sie ihn hier zurücklassen würde. Sie waren um eine Haarnadelkurve gefahren, Nadine auf der Innen- und er mit seiner Triumph auf der Außenseite. Sie waren auf dem Colorado West Slope, etwa siebzig Meilen von der Grenze nach Utah entfernt. Am äußersten Rand der Kurve war eine Ölspur gewesen, und in den Tagen danach hatte Harold oft über diese Ölspur nachgedacht. Es kam ihm zu perfekt vor. Eine Ölspur wovon? Gewiß war seit mindestens zwei Monaten hier oben niemand mehr vorbeigekommen. Genügend Zeit für eine Ölspur zu trocknen. Es war, als hätte sein rotes Auge sie beobachtet und den richtigen Moment abgepaßt, um Harold mit Hilfe einer Ölspur aus dem Verkehr zu ziehen. Ihn mit Nadine bis in die Berge zu lassen, falls es Ärger gab, und dann auszuschalten. Harold hatte, wie man so schön sagt, seine Schuldigkeit getan.

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