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Die Triumph war gegen die Leitplanke geschlittert, Harold in hohem Bogen den Abhang hinuntergeschleudert worden. Er hatte einen grauenhaften Schmerz im rechten Bein gespürt. Er hatte das nasse Knacken gehört, als es brach. Er schrie. Der steinige Hang kam auf ihn zu, der Hang, der ekelhaft steil abfiel und in einer Schlucht endete.

Er schlug auf den Boden auf, wurde in die Luft geschleudert und landete wieder auf dem rechten Bein, schrie wieder und hörte es wieder brechen, diesmal an einer anderen Stelle, flog noch einmal in die Luft und rollte gegen einen vielleicht vor Jahren bei einem Gewitter umgestürzten Baum. Wenn dieser nicht dort gelegen hätte, wäre er ganz in die Schlucht gestürzt, und statt der Bussarde hätten die Bergforellen sich an ihm gütlich tun können.

Er wunderte sich immer noch über seine ungelenke Kinderschrift, als er in sein Notizbuch schrieb: lch mache Nadine keine Vorwürfe.Das stimmte. Aber damals hatte er ihr Vorwürfe gemacht.

Erschrocken und mit rasend schmerzendem rechten Bein war er ein Stück den Hang hinaufgekrochen. Hoch oben sah er Nadine, die über die Leitplanke blickte. Ihr Gesicht war weiß und winzig, das Gesicht einer Puppe.

»Nadine!« rief er. Seine Stimme war ein hartes Krächzen. »Das Seil!

Es ist in der linken Satteltasche!«

Sie sah nur zu ihm hinunter. Er glaubte schon, daß sie ihn nicht gehört hatte, und wollte seine Worte gerade wiederholen, als er sah, wie sie den Kopf nach links, nach rechts und wieder nach links bewegte. Ganz langsam. Sie schüttelte den Kopf.

»Nadine! Ich komme ohne Seil nicht wieder nach oben! Mein Bein ist gebrochen!«

Sie antwortete nicht. Sie schaute nur zu ihm hinunter. Sie schüttelte nicht einmal mehr den Kopf. Er hatte das Gefühl, in einer tiefen Grube zu sitzen, in die sie vom Rand aus hinuntersah.

»Nadine, wirf mir das Seil runter!«

Wieder das langsame Kopfschütteln, wie die Tür einer Gruft, die vor einem Mann zufiel, welcher nicht tot war, sondern nur im Griff einer schrecklichen Katalepsie.

»NADINE! UM GOTTES WILLEN! NADINE!«

Endlich drang ihre Stimme zu ihm herunter, leise, aber in der Stille der Berge deutlich zu verstehen. »Es war alles so geplant, Harold. Ich muß weiter. Es tut mir sehr leid.«

Aber sie ging noch nicht; sie blieb an der Leitplanke stehen und beobachtete ihn, wo er lag, ungefähr sechzig Meter tiefer. Schon waren die Fliegen da, die emsig sein Blut auf den zahlreichen Steinen kosteten, wo er aufgeschlagen war und Teile seiner selbst abgeschürft hatte.

Harold versuchte, den Hang hinaufzukriechen, wobei er sein zertrümmertes Bein hinter sich herschleifte. Zuerst empfand er keinen Haß und kein Bedürfnis, ihr eine Kugel zu verpassen. Aber es schien ihm wichtig, ihren Gesichtsausdruck zu sehen. Es war kurz nach Mittag. Es war heiß. Schweiß lief ihm über das Gesicht und tropfte auf die scharfen Steine und Felsbrocken, über die er kletterte. Er bewegte sich mit Hilfe der Ellenbogen und stiess sich mit dem linken Fuß ab, wie ein verkrüppeltes Insekt. Sein Atem feilte im Hals wie eine heiße Raspel. Er wußte nicht, wie lange es dauerte, aber ein- oder zweimal stieß er mit dem verletzten Bein gegen einen Stein, und die unerträglichen Schmerzen machten ihn fast bewußtlos. Mehrere Male war er zurückgerutscht und hatte hilflos gestöhnt.

Zuletzt wurde ihm dumpf bewußt, daß er nicht mehr weiter konnte. Die Schatten hatten sich verändert. Drei Stunden waren vergangen. Er wußte nicht mehr, wann er zuletzt zur Leitplanke und zur Straße hinaufgeschaut hatte, aber eine Stunde war es bestimmt her. In seiner Qual hatte er sich ganz auf den Aufstieg konzentriert. Nadine war wahrscheinlich schon längst gegangen.

Aber sie war immer noch da, und obwohl er nur sieben oder acht Meter geschafft hatte, konnte er ihre Miene grausam deutlich erkennen. In ihrem Blick lag ein Ausdruck von Trauer, aber ihr leerer Blick war in die Ferne gerichtet.

Ihr Blick galt ihm.

Da fing er an, sie zu hassen und griff nach seinem Schulterhalfter. Der Colt war noch da; er war während des Sturzes von dem über den Griff geknöpften Riemen festgehalten worden. Er knöpfte den Riemen ab, wobei er den Oberkörper beugte, damit sie es nicht sah.

»Nadine...«

»Es ist besser so, Harold. Besser für dich, denn seine Methode wäre viel schlimmer. Das siehst du doch ein, nicht wahr? Du willst ihm bestimmt nicht Auge in Auge gegenüberstehen, Harold? Er meint, daß jemand, der eine Seite verrät, wahrscheinlich auch die andere verraten wird. Er würde dich töten, aber vorher würde er dich in den Wahnsinn treiben. Er hat diese Fähigkeit. Er hat mich vor die Wahl gestellt. So - oder auf seineWeise. Ich habe mich hierfür entschieden. Du kannst schnell ein Ende machen, wenn du den Mut hast. Du weißt, was ich meine.«

Er prüfte die Pistole zum ersten von hundert (möglicherweise tausend) Malen, wobei er sie im Schatten seines verrenkten Ellbogens hielt.

»Was ist mit dir?« rief er hinauf. »Bist du nicht auch eine Verräterin?«

Ihre Stimme klang traurig. »Im Herzen habe ich ihn nie verraten.«

»Ich glaube, genau da hast du ihn verraten«, rief Harold zu ihr hinauf. Er versuchte, eine ehrliche Miene aufzusetzen, aber in Wirklichkeit schätzte er nur die Entfernung. Er würde höchstens zwei Schüsse abgeben können. Und eine Pistole war eine notorisch unzuverlässige Waffe. »Und ich glaube, er weiß es auch.«

»Er braucht mich«, sagte sie, »und ich brauche ihn. Du hattest damit nie etwas zu tun, Harold. Und wenn wir zusammen weitergefahren wären, hätte ich dich vielleicht... vielleicht etwas machen lassen. Diese bewußte Kleinigkeit. Und das hätte alles zerstört. Das konnte ich nach all den Opfern, dem Blut und den Scheußlichkeiten einfach nicht riskieren. Wir haben gemeinsam unsere Seelen verkauft, Harold, aber von mir ist noch genug übrig, daß ich für meine den vollen Preis will.«

»Ich gebe dir den vollen Preis«, sagte Harold und schaffte es, auf die Knie zu kommen. Die Sonne blendete. Schwindel packte ihn mit grober Faust und brachte seinen Gleichgewichtssinn durcheinander. Ihm war, als hörte er Stimmen - eine Stimme- überrascht und brüllend protestieren. Er drückte ab. Der Schuß hallte krachend und donnernd von Felsen zu Felsen wider, bis er verstummte. Nadines überraschter Gesichtsausdruck war fast komisch.

In einer Art trunkenem Triumph dachte Harold: Sie hat nicht gedacht, daß ich es fertigbringe! Ihr Mund war ein erschrockenes, überraschtes O. Ihre Augen waren aufgerissen. Die Finger ihrer Hand verkrampften sich und flogen hoch, als ob sie im Begriff wäre, eine abnormale Melodie auf dem Klavier zu spielen. Der Augenblick war so köstlich, daß er ihn eine oder zwei Sekunden zu lange genoss und nicht merkte, daß er sie verfehlt hatte. Als es ihm klar wurde, legte er wieder an, versuchte zu zielen und umklammerte das rechte Handgelenk mit der linken Hand.

»Harold! Nein! Das kannst du nicht tun!«

Nicht? Es ist eine Kleinigkeit, eine Pistole abzudrücken. Klar kann ich es.

Sie schien sich vor Entsetzen nicht bewegen zu können, und als er ihren Hals genau vor der Kimme der Pistole hatte, verspürte er die plötzliche kalte Gewißheit, daß es so vorbestimmt war - das Ende als kurzer, sinnloser Ausbruch von Gewalt.

Jetzt hatte er sie genau im Visier.

Aber als er abdrücken wollte, passierte zweierlei. Schweiß lief ihm in die Augen und nahm ihm die Sicht. Und er rutschte ab. Später sagte er sich, daß das Geröll nachgegeben haben oder sein verletztes Bein eingeknickt sein mußte oder beides. Vielleicht stimmte das sogar. Aber es fühlte sich an... es fühlte sich an wie ein Stoß, und in den langen Nächten zwischen damals und jetzt war es ihm nicht gelungen, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Tagsüber dachte Harold streng rational, aber in den Nächten erfüllte ihn die grauenhafte Überzeugung, daß der dunkle Mann selbst eingegriffen und ihn behindert hatte. Der Schuß, den er ihr genau in den Hals verpassen wollte, ging fehl; hoch, daneben, ab in den blauen Himmel. Harold rollte kopfüber bis zu dem toten Baum; sein rechtes Bein wurde verdreht und gestoßen und bildete eine einzige Schmerzquelle vom Knöchel bis zu den Hüften.

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