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»Alles in Ordnung«, beantwortete er seine Frage, war aber nicht ganz sicher. Er richtete sich auf. Die Stille wurde ihm wieder bewußt; es war so still, daß man verrückt werden konnte, wenn man darüber nachdachte. Selbst Ritas Geschrei wäre in diesem Augenblick eine Wohltat gewesen. Plötzlich schienen überall Sterne hell aufzublitzen, und er glaubte voll Entsetzen, daß er das Bewußtsein verlieren würde.

Er dachte: Ich bin verletzt. In einer Minute, wenn der Schock abgeklungen ist, werde ich es spüren. Ich habe schlimme Schnittwunden, oder so, und wer soll mir einen Druckverband anlegen?

Aber als der Schwächeanfall vorbei war, sah er an sich hinab und stellte fest, daß ihm doch nichts weiter passiert war. Er hatte sich beide Hände aufgerissen, und seine neue Hose war am rechten Knie zerfetzt - auch das Knie war aufgeschlagen -, aber es waren alles nur Kratzer, und was war schon dabei, verdammt, jeder schmeißt mal sein Motorrad hin, irgendwann passiert das jedem. Aber er wußte genau, was los war. Er hätte mit dem Kopf unglücklich aufschlagen und sich den Schädel brechen können, und dann hätte er hier in der heißen Sonne gelegen, bis er gestorben wäre. Oder er hätte an seiner eigenen Kotze ersticken können, wie eine gewisse, inzwischen leider verschiedene Freundin von ihm.

Er ging zitternd zur Harley hinüber und richtete sie auf. Sie schien nicht weiter beschädigt zu sein, sah aber jetzt anders aus. Vorher war sie nur eine Maschine gewesen, eine sehr schöne Maschine, die den doppelten Zweck erfüllte, daß sie ihn beförderte und er sich gleichzeitig wie James Dean oder wie Jack Nicholson in Hell's Angels on Wheelsfühlen konnte. Aber jetzt schien das Chrom ihn anzugrinsen wie ein Jahrmarktsschreier, der ihn aufzufordern schien, doch raufzukommen und zu zeigen, ob er Manns genug war, das Monster mit den zwei Rädern zu reiten.

Beim dritten Versuch sprang sie an, und er fuhr im Schrittempo aus Bennington hinaus. Er trug Ringe aus kaltem Schweiß an den Armen, und nie in seinem ganzen Leben hatte er sich so sehnlich wie in diesem Augenblick gewünscht, ein menschliches Gesicht zu sehen.

Aber an diesem Tag sah er keins mehr.

Am Nachmittag fuhr er etwas schneller, brachte es aber nicht über sich, das Gas weiter aufzudrehen, sobald die Tachonadel bei zwanzig Meilen stand, nicht einmal, wenn er sehen konnte, daß die Straße vor ihm frei war. Am Stadtrand von Wilmington fand er ein Sport- und Motorradgeschäft, hielt an und holte sich dicke Handschuhe und einen Helm, aber nicht einmal damit fuhr er schneller als fünfundzwanzig. An unübersichtlichen Kurven bremste er so stark ab, daß er die große Maschine praktisch schob. Er sah förmlich vor Augen, wie er bewußtlos am Straßenrand lag und verblutete.

Um fünf Uhr näherte er sich Brattleboro, und die Temperaturanzeige der Harley leuchtete rot auf. Larry hielt an und würgte sie mit gemischten Gefühlen von Erleichterung und Verdrossenheit ab.

»Hättest auch schieben können«, sagte er. »Sie ist für sechzig Stundenmeilen gedacht, Dummkopf!«

Er ließ sie stehen und ging zu Fuß in die Stadt, ohne zu wissen, ob er sie wieder holen würde.

In dieser Nacht schlief er unter dem Dach des Musikpavillons im öffentlichen Stadtpark von Brattleboro. Er legte sich hin, sobald es dunkel geworden war, und schlief fast auf der Stelle ein. Einige Zeit später weckte ihn ein Geräusch, und er schrak hoch. Er sah auf die Uhr. Die dünnen Radiumlinien auf dem Zifferblatt zeigten 11:20 Uhr. Er stützte sich auf einen Ellbogen und sah in die Dunkelheit, spürte den riesigen Musikpavillon ringsum und vermißte das kleine Zelt, das seine Körperwärme festgehalten hatte. Warm wie in einem hübschen kleinen Mutterleib aus Segeltuch.

Falls da ein Geräusch gewesen war, war es jetzt nicht mehr da; sogar die Grillen waren verstummt. War das richtig? Konnte es richtig sein?

»Ist jemand da?« rief Larry, und seine eigene Stimme machte ihm angst. Er griff nach der doppelläufigen 30er und konnte sie einen panischen Augenblick, der sich in die Länge zog, nicht finden. Als er sie hatte, betätigte er, ohne nachzudenken, den Abzug, wie ein im Meer Ertrinkender den Rettungsring drückt, den man ihm zuwirft. Wäre das Gewehr nicht gesichert gewesen, hätte er es abgefeuert. Wahrscheinlich gegen sich selbst.

Etwas lauerte in der Stille. Vielleicht ein Mensch, vielleicht ein gefährliches Tier. Natürlich konnte auch ein Mensch gefährlich sein.

Ein Mensch wie der, der den Monster-Schreier mit zahllosen Stichen ermordet hatte, oder wie John Bearsford Tipton, der ihm für seine Frau eine Million in bar geboten hatte.

»Wer ist da?«

Er hatte eine Taschenlampe im Rucksack, aber um danach zu suchen, hätte er das Gewehr loslassen müssen, das er über den Schoß gezogen hatte. Außerdem... wollte er wirklich sehen, wer es war?

Und so saß er nur still da, wartete auf eine Bewegung oder eine Wiederholung des Geräuschs, das ihn geweckt hatte ( wares ein Geräusch gewesen oder hatte er es nur geträumt?), und nach einer Weile nickte ihm erst der Kopf nach unten, dann döste er ein. Plötzlich riß er ruckartig den Kopf hoch, machte die Augen weit auf und spürte, wie sein Fleisch gegen die Knochen zu schrumpeln schien. Jetzthatte er ein Geräusch gehört, und wenn die Nacht nicht bewölkt gewesen wäre, hätte der Mond, der beinahe voll war, ihm gezeigt...

Aber er wollte es nicht sehen. Nein, er wollte es ganz eindeutig nicht sehen. Dennoch beugte er sich nach vorne und lauschte mit geneigtem Kopf den Geräuschen staubiger Stiefelabsätze, die sich auf dem Gehweg der Main Street in Brattleboro, Vermont, in westlicher Richtung von ihm entfernten und immer leiser wurden, bis sie in der allgemeinen Geräuschkulisse untergingen.

Larry verspürte den plötzlichen, irren Impuls, aufzuspringen, den Schlafsack um die Knöchel hinunterrutschen zu lassen und zu schreien: Kommen Sie zurück, wer Sie auch sein mögen! Es ist mir gleich! Kommen Sie zurück!Aber er wollte eigentlich niemandem so einen Blankoscheck ausschreiben. Der Musikpavillon hätte seinen Ruf verstärkt - sein Flehen. Und was wäre, wenn die Stiefelschritte tatsächlichzurückkämen, in der Stille, in der nicht einmal Grillen zirpten, immer lauter würden?

Statt aufzustehen, legte er sich wieder hin und rollte sich in Embryonalhaltung zusammen, ohne die Flinte loszulassen. Heute nacht mache ich kein Auge mehr zu, dachte er, aber schon nach drei Minuten war er wieder eingeschlafen und ganz sicher, daß er alles nur geträumt hatte.

42

Während Larry Underwood am 4. Juli nur einen Staat weiter mit dem Motorrad stürzte, saß Stuart Redman auf einem großen Stein am Straßenrand und verzehrte sein Frühstück. Er hörte Motorenlärm, der näher kam. Stu trank seine Dose Bier in einem Zug leer und faltete die Rolle mit den Ritz Crackers sorgfältig oben zu. Sein Gewehr lehnte neben ihm an dem Stein. Er nahm es auf, entsicherte es und stellte es wieder hin, ein wenig näher zur Hand. Dem Geräusch nach waren es leichte Motorräder. Zweihundertfünfziger? Bei der Stille ließ sich unmöglich abschätzen, wie weit sie noch entfernt waren. Zehn Meilen vielleicht, aber nur vielleicht. Zeit genug, noch eine Kleinigkeit zu essen, aber er wollte nicht. Inzwischen genoß er den Sonnenschein und freute sich darauf, Menschen zu begegnen. Seit er Glen Batemans Haus in Woodville verlassen hatte, war ihm keine Menschenseele begegnet. Er betrachtete sein Gewehr. Er hatte es entsichert, weil die Neuankömmlinge vielleicht wie Eider waren. Er ließ das Gewehr an den Stein gelehnt, weil er hoffte, daß sie wie Bateman sein würden - vielleicht nicht so pessimistisch, was die Zukunft anbetraf. Die Gesellschaft wird erstehen, hatte Bateman gesagt. Beachten Sie, daß ich nicht »neu« erstehen gesagt habe. Das wäre nicht angemessen. Es gibt verdammt wenig Neues unter den Menschen.

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