Литмир - Электронная Библиотека
Содержание  
A
A

»Es gibt Fälle, wo genau das passiert ist«, sagte Glen, »aber ich muß zugeben, sie sind bei weitem nicht so verbreitet... oder mit einem Computer so leicht zu beweisen. Eine interessante Frage übrigens. Ich habe eine Theorie... «

(Hat er das nicht immer, liebes Tagebuch?)

».. .daß das etwas mit der Evolution zu tun hat. Ihr wißt schon, die Vorfahren der frühmenschlichen Formen hatten Schwänze, waren am ganzen Körper behaart, und ihre Sinne waren viel besser ausgebildet als unsere. Warum haben wir das alles nicht mehr? Schnell, Stu! Das ist Ihre Chance, Klassenprimus zu werden, mit Doktorhut und allem drum und dran.«

»Na, aus demselben Grund, warum die Leute beim Autofahren keine Schutzbrillen und Lederkappen mehr tragen müssen. Manchmal wird etwas überflüssig. Einmal kommt der Punkt, da braucht man irgendwas nicht mehr.«

»Genau. Und was hat es für einen Sinn, eine übersinnliche Begabung zu haben, die in praktischer Hinsicht nutzlos ist? Was würde es dir nützen, wenn du im Büro sitzt und plötzlich weißt, dass deine Frau auf dem Heimweg vom Einkauf einen Autounfall hatte und ums Leben kam? Jemand wird dich anrufen und es dir sagen, stimmt's? Die übersinnliche Begabung, falls unsere Vorfahren sie je hatten, könnte verkümmert sein, könnte den Weg unserer Schwänze und Pelze gegangen sein.

Was mich an unseren Träumen interessiert«, fuhr er fort, »ist die Tatsache, daß sie auf einen künftigen Kampf hinzudeuten scheinen. Wir bekommen unscharfe Bilder eines Protagonisten... und eines Gegenspielers. Eines Widersachers, wenn ihr so wollt. Wenn das zutrifft, wäre es so, als hätten wir einen Flug gebucht, stünden vor der Maschine... und haben plötzlich Bauchweh. Wir bekommen möglicherweise die Mittel, mit denen wir unsere eigene Zukunft formen können. Eine Art vierdimensionalen freien Willen: die Chance, uns vor dem Eintritt der Ereignisse zu entscheiden.«

»Aber wir wissen nicht, was die Träume  bedeuten«, sagte ich.

»Nein, das wissen wir nicht. Aber vielleicht erfahren wir es. Ich weiss nicht, ob das kleine Rinnsal übersinnlicher Wahrnehmung bedeutet, daß wir göttlicher Herkunft sind. Viele Menschen nehmen das Wunder des Augenblicks als gegeben hin, ohne darin einen Beweis für die Existenz Gottes zu sehen, und zu denen gehöre ich auch; aber ich glaube auch, daß diese Träume eine konstruktive Kraft sind, obwohl sie uns angst machen. Deswegen habe ich Zweifel, was das Veronal betrifft. Die Pillen zu schlucken ist etwa so, als würde man Pepto-Bismol einnehmen, um den Magen zu beruhigen, und dann trotzdem in das Flugzeug einzusteigen.«

Zur Erinnerung: Rezession, Verknappung, den Ford Growler, der auf dem Highway mit knapp vier Litern Sprit sechzig Meilen weit fahren konnte. Das Wunderauto. Das reicht; ich höre auf. Wenn ich mich nicht kürzer fasse, wird dieses Tagebuch länger als  Vom Winde verweht, noch ehe der Einsame Reiter eintrifft (aber bitte nicht auf einem weißen Pferd namens Silver). Ach ja, noch etwas, das man nicht vergessen sollte. Edgar Cayce. Ihn kann ich nicht vergessen. Er hat angeblich in seinen Träumen die Zukunft gesehen.

16. Juli 1990

Nur zwei Anmerkungen, beide zu den Träumen (siehe Eintrag von vor zwei Tagen). Erstens: Glen Bateman war die beiden vergangenen Tage sehr blaß und still, und ich habe gesehen, daß er heute abend eine besonders hohe Dosis Veronal genommen hat. Ich vermute, er hat die Tabletten vorher nicht geschluckt und darum ein paar SEHR SCHLIMME Träume gehabt. Das beunruhigt mich. Wenn ich nur wüßte, wie ich ihn darauf ansprechen soll, aber mir fällt nichts ein.

Zweitens: Meine eigenen Träume. Vorgestern nacht nichts (die Nacht nach unserer Diskussion); ich habe geschlafen wie ein Baby und kann mich an nichts erinnern. Gestern nacht habe ich zum ersten Mal von der alten Frau geträumt. Habe dem, was bereits gesagt worden ist, nichts hinzuzufügen, außer vielleicht, daß sie eine Aura des FREUNDLICHEN, des GÜTIGEN ausstrahlt. Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum Stu trotz Harolds Sarkasmus nach Nebraska wollte. Ich bin heute morgen durch und durch erfrischt aufgewacht und habe mir gedacht, wenn wir zu dieser alten Frau gehen könnten, Mutter Abagail, dann würde alles gut werden. Ich hoffe, sie ist wirklich dort. (Ich bin übrigens ziemlich sicher, daß der Name der Stadt Hemingford Home ist.)

Zur Erinnerung: Mutter Abagail!

47

Als es passierte, passierte es schnell.

Es war gegen Viertel vor zehn am 30. Juli; sie waren erst eine Stunde unterwegs. Sie kamen nur mühsam voran, weil es vergangene Nacht stark geregnet hatte und die Straße immer noch rutschig war. Seit gestern morgen hatten die vier kaum miteinander gesprochen, als Stu erst Frannie geweckt hatte, dann Harold und Glen, um ihnen von Perions Selbstmord zu erzählen. Er gab sich selbst die Schuld, dachte Fran voller Trauer und Mitleid, gab sich die Schuld für etwas, das ebensowenig seine Schuld war wie ein Gewitter.

Das hätte sie ihm gerne gesagt, teils, weil er für sein Selbstmitleid gescholten werden mußte, teils, weil sie ihn liebte. Letzteres war eine Tatsache, die sie nicht mehr vor sich verheimlichen konnte. Sie glaubte, sie könnte ihn überzeugen, daß Peris Tod nicht seine Schuld war... aber dabei hätte sie ihm ihre Gefühle für ihn offenbaren müssen. Sie mußte ihm das Herz ausschütten, damit er es einsah. Unglücklicherweise würde es dann aber auch Harold mitbekommen. Also war es verschoben... aber nur vorläufig. Sie entschied, daß sie es bald tun mußte, Harold hin oder her. Sie konnte ihn nur eine gewisse Zeit schonen. Dann mußte er es erfahren... und es entweder akzeptieren oder nicht. Sie fürchtete, Harold würde es nicht einfach hinnehmen. So eine Entscheidung konnte zu etwas Schrecklichem führen. Immerhin hatten sie eine Menge Schießeisen bei sich.

Diese Gedanken gingen ihr durch den Kopf, als sie um eine Kurve bogen und einen großen umgestürzten Wohnwagen sahen, der die Straße von einer Seite zur anderen versperrte. Auf der rostigen rosa Seite glänzte noch der Regen der vergangenen Nacht. Das wäre schon überraschend genug gewesen, aber es gab noch mehr Überraschungen - drei Autos, allesamt Kombis, und ein großer Abschleppwagen parkten am Straßenrand. Und Leute standen herum, mindestens ein Dutzend.

Fran war so überrascht, daß sie zu plötzlich bremste. Die Honda, die sie fuhr, rutschte weg, und Fran wäre beinahe gestürzt, bevor sie die Maschine wieder unter Kontrolle bekam. Dann standen sie alle vier in einer Reihe auf der Straße und blinzelten mehr als erstaunt über den Anblick so vieler lebender Menschen.

»Okay, steigt ab«, sagte einer der Männer. Er war groß, hatte einen sandfarbenen Bart und trug eine dunkle Sonnenbrille. Frans Verstand ging auf eine Zeitreise: Sie befand sich auf der Mautstraße in Maine und wurde von einem State Trooper wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten.

Als nächstes will er unseren Führerschein sehen, dachte Fran. Aber dies war kein einsamer State Trooper, der Verkehrssünder anhielt und Strafzettel schrieb. Es waren vier Männer. Drei standen als kurze Gefechtslinie hinter dem Mann mit dem sandfarbenen Bart.

Alle anderen waren Frauen. Insgesamt acht. Sie sahen ängstlich und blaß aus und drängten sich in kleinen Gruppen um die geparkten Kombis.

Der Mann mit dem sandfarbenen Bart hatte eine Pistole. Die Männer hinter ihm hatten Gewehre. Zwei trugen Teile von Armeeausrüstungen.

» Steigt ab, verdammt«, sagte der Bärtige, während einer von den Männern hinter ihm sein Gewehr durchlud. Es war ein lautes, bitter befehlendes Geräusch in der nebligen Morgenluft.

Glen und Harold sahen verwirrt und ängstlich drein. Mehr nicht. Zielscheiben, dachte Frannie mit aufkeimender Panik. Sie begriff die Situation selbst noch nicht, aber sie wußte, die Gleichung hier stimmte nicht. Vier Männer, acht Frauen, sagte ihr Verstand und wiederholte es dann, lauter und in besorgtem Tonfall: Vier Männer! Acht Frauen!

172
{"b":"154772","o":1}