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Und wo war er damals gewesen, ihr vorbestimmter, ihr dunkler Bräutigam? Auf welchen Straßen, welchen Gassen in der Dunkelheit der Vorstadt draußen, während drinnen das spröde Klirren des Cocktailgeplauders die Welt in hübsche, rationale Sektionen einteilte? Welche kalten Winde trieben ihn? Wie viele Stangen Dynamit waren in seinem abgewetzten Rucksack? Wer wußte, wie sein Name lautete, als sie sechzehn war? Wie uralt er war? Wo seine Heimat lag? Welche Mutter ihn an die Brust gedrückt hatte? Sie wußte nur, daß er eine Waise war, genau wie sie, und seine Zeit noch kommen würde. Er ging größtenteils auf Straßen, die noch nicht gebaut waren, während sie nur einen Fuß auf eben diesen Straßen hatte. Die Kreuzung, an der sie sich treffen würden, lag noch weit voraus. Er war Amerikaner, das wußte sie, ein Mann, der Milch und Apfelkuchen mochte, der die schlichte Schönheit von etwas Rotkariertem oder Baumwollenem zu würdigen wußte. Seine Heimat war Amerika, und seine Wege waren die geheimen Wege, die verborgenen Straßen, die Verbindungswege unter der Erde, wo die Richtungen in Runen geschrieben sind. Er war der andere Mann, das andere Gesicht, der Hartgesottene, der dunkle Mann, der wandelnde Geck, dessen abgetretene Absätze in lauen Sommernächten über stille Wege klapperten.

Wer weiß, wann der Bräutigam kommt?

Sie hatte auf ihn gewartet, ein unberührtes Gefäß. Mit sechzehn wäre sie fast gefallen, und noch einmal am College. Aber beide Jungen waren wütend und verwirrt weggegangen, wie Larry jetzt, sie hatten die Kreuzwege in ihr gespürt, die Ahnung jenes vorherbestimmten mystischen Treffpunkts.

Boulder war der Ort, wo die Straßen auseinanderliefen. Die Zeit war nahe. Erhatte gerufen, sie zu sich befohlen. Nach dem College hatte sie sich in ihre Arbeit vergraben, hatte mit zwei anderen Mädchen ein Haus gemietet. Was für zwei Mädchen? Nun, sie kamen und gingen. Nur Nadine blieb, und sie war freundlich zu den jungen Männern, die ihre wechselnden Mitbewohnerinnen nach Hause brachten, aber sie selbst hatte nie einen jungen Mann. Wahrscheinlich redeten sie über sie, nannten sie eine künftige alte Jungfer, hielten sie vielleicht sogar für eine heimliche Lesbierin. Das stimmte nicht. Sie war nur...

Unberührt.

Wartend.

Manchmal war es ihr vorgekommen, als würde sich eine Veränderung anbahnen. Wenn sie am Ende des Tages im stillen Klassenzimmer Spielzeug wegräumte, blieb sie manchmal plötzlich stehen, mit flackernden und wachen Augen und vielleicht einem Kastenteufel achtlos in der Hand. Und dann dachte sie: Eine Veränderung wird kommen... ein großer Wind wird wehen.Manchmal, wenn sie diesen Gedanken hatte, sah sie wie eine Verfolgte über die Schulter. Dann verschwand der Gedanke, und sie lachte unsicher.

Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr war ihr Haar allmählich grau geworden - dem Jahr, als sie gejagt, aber nicht eingeholt wurde -, zuerst nur ein paar Strähnen, die in dem Schwarz erschreckend deutlich sichtbar waren, und nicht grau, nein, das war das falsche Wort... weiß, sie waren weiß.

Jahre später hatte sie im Kellerraum des Hauses einer Studentenverbindung an einer Party teilgenommen. Das Licht war schummrig gewesen, und nach einiger Zeit waren die Leute paarweise auf den Zimmern verschwunden. Viele Mädchen - unter ihnen Nadine - hatten sich für die Nacht von ihren Internatshäusern beurlauben lassen. Sie hatte damals vollauf beabsichtigt, es hinter sich zu bringen... aber etwas, das noch unter Monaten und Jahren begraben lag, hatte sie zurückgehalten. Und am nächsten Morgen, im kalten Licht um sieben Uhr früh, hatte sie sich im Badezimmer des Internats in einem der vielen Spiegel betrachtet und gesehen, daß das Weiß scheinbar über Nacht zugenommen hatte - obwohl das natürlich unmöglich war.

Und so waren die Jahre vergangen, waren dahingetickt wie Jahreszeiten in einem trockenen Zeitalter, und sie hatte Gefühle gehabt, ja, Gefühle, und manchmal war sie im toten Grab der Nacht heiß und kalt zugleich erwacht, schweißgebadet, auf lustvolle Weise lebendig und sich in der Kuhle ihres Bettes ihrer selbst bewußt, und dann hatte sie auf Gossenweise an unheimlichen dunklen Sex gedacht. Sich in heißer Flüssigkeit gewälzt. War gekommen und hatte gebissen, gleichzeitig. Und am Morgen danach hatte sie in den Spiegel geblickt und sich eingebildet, daß sie mehr Weiß sah. Diese Jahre hindurch war sie äußerlich nur Nadine Cross gewesen: lieb, gut zu den Kindern, gut in ihrer Arbeit, alleinstehend. Früher hätten solche Frauen in der Gemeinschaft Neugier und dumme Bemerkungen auf sich gezogen, aber die Zeiten hatten sich geändert. Und ihre Schönheit war so einmalig, daß es für sie irgendwie genau richtig erschien, so und nicht anders zu sein.

Und jetzt änderten die Zeiten sich wieder.

Jetzt kam die Veränderung, und in ihren Träumen lernte sie ihren Bräutigam kennen, lernte ihn ein wenig verstehen, obwohl sie nie sein Gesicht gesehen hatte. Er war derjenige, auf den sie gewartet hatte. Sie wollte zu ihm gehen... und wollte es doch wieder nicht. Sie war für ihn bestimmt, aber ihr graute vor ihm.

Dann war Joe gekommen und nach ihm Larry. Damit war alles äußerst kompliziert geworden. Sie fühlte sich wie der Preisring bei einem Wettbewerb im Tauziehen. Sie wußte, daß ihre Reinheit, ihre Jungfräulichkeit für den dunklen Mann irgendwie wichtig war. Wenn sie sich Larry hingab (oder einem anderen Mann), war der dunkle Zauberbann gebrochen. Und sie fühlte sich zu Larry hingezogen.

Sie hatte sich ihm bewußt hingeben, hatte es wieder einmal hinter sich bringen wollen. Sollte er sie haben, sollte es vorbei sein, sollte alles vorbei sein. Sie war müde, und Larry war richtig. Sie hatte zu lange auf den anderen gewartet, zu vi ele trockene Jahre lang.

Aber Larry war nichtrichtig... schien es jedenfalls anfangs. Sie hatte seine ersten Avancen mit einer Art Verachtung abgetan, so wie eine Mähre eine Fliege mit dem Schweif verscheuchen mochte. Sie erinnerte sich, wie sie gedacht hatte: Wenn er nicht mehr zu bieten hat, wer kann mir zum Vorwurf machen, daß ich seinen Antrag ablehne?

Aber sie war ihm gefolgt. Das war eine Tatsache. Doch sie hatte sich verzweifelt gesehnt, andere Menschen zu finden, nicht nur wegen Joe, sondern weil sie schon fast soweit gewesen war, den Jungen zu verlassen und auf eigene Faust nach Westen zu gehen, um den Mann zu finden. Nur jahrelanges Pflichtgefühl gegenüber den Kindern, die ihrer Obhut anvertraut worden waren, hatte sie daran gehindert, das zu tun... und das Wissen, daß Joe auf sich allein gestellt sterben würde.

In einer Welt, in der so viele gestorben sind, ist es sicher die größte Sünde, weiteres Sterben herbeizuführen.

Und so war sie mit Larry gegangen, der immerhin besser als nichts oder niemand war.

Aber wie sich herausstellte, war viel mehr als nichts oder niemand an Larry Underwood dran, er war wie ein optische Täuschung (vielleicht sogar für sich selbst), wo das Wasser seicht aussieht, nur drei, vier Zentimeter tief, aber wenn man die Hand hineinstreckt, ist der Arm plötzlich bis zur Schulter naß. Wie er Joes Zuneigung gewonnen hatte, war eines. Wie Joe auf ihn ansprach, etwas anderes, und ihre wachsende Eifersucht auf die Beziehung zwischen Joe und Larry das dritte. In der Motorradvertretung in Wells hatte Larry dem Jungen die Finger beider Hände anvertraut und gewonnen.

Hätten sie nicht ihre volle Aufmerksamkeit auf den Deckel über dem Benzintank konzentriert, hätten sie sehen können, wie sie vor Überraschung den Mund aufklappte. Sie hatte dagestanden und sie beobachtet, hatte sich nicht bewegen können, den Blick einzig auf das helle Metall der Brechstange gerichtet und darauf gewartet, dass sie erst wackeln und dann wegkippen würde. Erst als es vorbei war, wurde ihr klar, daß sie auf die Schreie gewartet hatte. Der Deckel war offen und beiseite geklappt, und sie erkannte ihre Fehleinschätzung, einen geradezu fundamentalen Fehler ihrerseits. In diesem Fall hatte er Joe besser gekannt als sie, ohne besondere Ausbildung und schon nach kürzester Zeit. Sie begriff nur intuitiv, wie bedeutend der Vorfall mit der Gitarre gewesen war, wie schnell und grundlegend dieser Larrys Beziehung zu Joe bestimmt hatte. Und was lag im Mittelpunkt dieser Beziehung?

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