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Drei Tage nachdem Larry, Nadine, Joe und Lucy in Stovington angekommen waren und das Seuchenzentrum verlassen vorgefunden hatten, hatte Nadine vorgeschlagen, das CB -Funkgerät einzuschalten und alle vierzig Kanäle abzuhören. Larry hatte diesen Vorschlag begeistert aufgegriffen - wie er die meisten ihrer Vorschläge akzeptiert, dachte Lucy. Sie konnte Nadine Cross überhaupt nicht verstehen. Larry war scharf auf sie, das war klar, aber außerhalb der täglichen Routine schien Nadine nicht viel mit ihm zu tun haben zu wollen.

Wie dem auch sei, das CB war eine gute Idee gewesen, wenn sie auch aus einem Gehirn kam, das eisumschlossen war (wenn es nicht gerade um Joe ging). Es wäre der einfachste Weg, andere Gruppen aufzuspüren, hatte Nadine gesagt, und eventuell einen Treffpunkt auszumachen.

Das führte zu einer verwirrten Diskussion in ihrer Gruppe, die zu diesem Zeitpunkt ein halbes Dutzend zählte; neu hinzugekommen waren Mark Zellman, ein Schweißer aus dem Staat New York, und Laurie Constable, eine sechsundzwanzigjährige Krankenschwester. Und diese verwirrte Diskussion hatte zu einem weiteren beunruhigenden Streit über die Träume geführt.

Laurie hatte als erste eingewendet, sie wüßten genau, wohin sie führen. Sie folgten dem einfallsreichen Harold Lauder und seiner Gruppe nach Nebraska. Natürlich, und zwar aus demselben Grund. Die Träume waren von einer Überzeugungskraft, der man sich nicht entziehen konnte.

Nach einigem Hin und Her war Nadine hysterisch geworden. Sie hatte keine Träume - Wiederholung: keine verdammten Träume. Wenn die anderen gegenseitig Autohypnose praktizieren wollten, bitte sehr. So lange es vernünftige Gründe gab, nach Nebraska zu fahren, zum Beispiel das Schild vor dem Seuchenzentrum in Stovington, bitte sehr. Sie wollte nur klargemacht haben, daß sie nicht auf Grundlage von metaphysischem dummen Zeug mitfuhr. Wenn es ihnen einerlei war, dann vertraute sie lieber auf Funkverkehr als auf Visionen.

Mark hatte die aufgebrachte Nadine nur freundlich angegrinst und gesagt: »Wenn du keine Träume hast, wieso hast du dann gestern nacht im Schlaf geredet und mich damit geweckt?«

Nadine war kalkweiß geworden. »Soll das heißen, ich lüge?« kreischte sie. »Wenn ja, sollte einer von uns besser sofort gehen!«

Joe drückte sich wimmernd an sie.

Larry hatte geschlichtet und dem Vorschlag mit dem CB-Gerät zugestimmt. Seit etwa einer Woche fingen sie Funksprüche auf, nicht aus Nebraska (das schon verlassen war, bevor sie es erreichten - das hatten die Träume ihnen gesagt; aber auch die Träume waren schwächer geworden und hatten an Dringlichkeit verloren), sondern aus Boulder, Colorado, sechshundert Meilen weiter westlich - Signale, die Ralphs leistungsstarkes Gerät aussandte. Lucy erinnerte sich noch an die erfreuten, fast ekstatischen Gesichter, als Ralph Brentners gedehnter Oklahoma-Akzent nasal durch die statischen Geräusche drang: »Hier spricht Ralph Brentner, Freie Zone Boulder. Wenn Sie mich hören, antworten Sie auf Kanal 14. Wiederhole, Kanal 14.«

Sie konnten Ralph hören, hatten aber keinen Sender, der stark genug war zu antworten, noch nicht. Aber inzwischen waren sie näher und hatten seit dem ersten Empfang festgestellt, daß die alte Frau, sie hieß Abagail Freemantle (wenn sie auch für Lucy immer Mutter Abagail bleiben würde), und ihre Gruppe als erste dort angekommen war, aber seitdem waren noch Leute zu zweit und zu dritt und in Gruppen bis zu dreißig eingetroffen. Als Brentner zum ersten Mal Kontakt mit ihnen aufnahm, waren in Boulder schon zweihundert Leute gewesen; heute abend erfuhren sie im Gespräch (sie konnten Boulder inzwischen auch mit ihrem Gerät erreichen), daß es schon dreihundertfünfzig waren. Zusammen mit ihrer Gruppe würden es fast vierhundert sein.

»Ein Penny für deine Gedanken«, sagte Lucy zu Larry und legte ihm eine Hand auf den Arm.

»Ich habe an diese Uhr und den Untergang des Kapitalismus gedacht«, sagte Larry und deutete auf ihre Pulsar. »Es hieß friß oder stirb, und wer am meisten fraß, hatte einen rotweißblauen Cadillac und eine Pulsar-Uhr. Jetzt haben wir eine wahre Demokratie. Jede Lady in Amerika kann eine Pulsar-Digital und einen blauen Nerz haben.« Er lachte.

»Mag sein«, sagte sie. »Aber ich will dir was sagen, Larry. Ich weiss vielleicht nicht viel über den Kapitalismus, aber ich weiß etwas über diese Uhr für tausend Dollar. Ich weiß, daß sie nichts taugt.«

»Nein?« Er sah sie erstaunt an und lächelte. Es war nur ein kurzes Lächeln, aber es war echt. Sie war froh, dieses Lächeln zu sehen - ein Lächeln, das ihr galt. »Warum nicht?«

»Weil niemand weiß, wie spät es ist«, sagte Lucy schnippisch. »Vor vier oder fünf Tagen habe ich Mr. Jackson und Mark und dich gefragt, einen nach dem anderen. Und ihr habt mir alle drei verschiedene Zeiten genannt und gesagt, daß eure Uhren mindestens einmal stehengeblieben sind... weißt du noch, es gibt diesen Ort, wo die Weltzeit festgehalten wird. Ich habe beim Arzt im Wartezimmer in einer Illustrierten einen Artikel darüber gelesen. Es war enorm. Sie hatten die Zeit bis auf eine Mikro-mikro-Sekunde genau bestimmt. Sie hatten Pendel und Solaruhren und alles mögliche. Jetzt denke ich manchmal an diesen Ort, und es macht mich verrückt. Dort müssen alle Uhren stehengeblieben sein, und ich habe eine Pulsar für tausend Dollar, die ich bei einem Juwelier gekauft habe, und sie zeigt die Zeit nicht einmal wie vorgesehen auf die Sekunde genau an. Wegen der Grippe. Der verdammten Grippe.«

Sie verstummte, und sie saßen eine Weile ohne zu reden da. Dann deutete Larry zum Himmel. »Sieh mal!«

»Was? Wo?«

»Drei Uhr hoch. Jetzt zwei.«

Sie sah hoch, erkannte aber nicht, worauf er deutete, bis er die warmen Hände an ihre Wangen preßte und ihr Gesicht zum richtigen Himmelsquadranten drehte. Dann sah sie es und hielt den Atem an. Ein helles Licht, so hell wie die Sterne, aber hart und ohne Flimmern. Es zog rasch auf Ost-WestKurs über den Himmel.

»Mein Gott«, rief sie, »es ist ein Flugzeug, nicht wahr, Larry? Ein Flugzeug?«

»Nein. Ein Erdsatellit. Er wird die Erde wahrscheinlich die nächsten siebenhundert Jahre umkreisen.«

Sie sahen ihm nach, bis er hinter dem dunklen Massiv der Rockies verschwunden war.

»Larry«, sagte sie leise. »Warum hat Nadine es nicht zugegeben? Das mit den Träumen?«

Er verkrampfte sich kaum merklich, und sie bedauerte schon, dass sie es erwähnt hatte. Aber sie hatte es getan, und jetzt war sie entschlossen, das Thema weiter zu verfolgen... es sei denn, er lehnte es ab, darüber zu sprechen.

»Sie sagt, sie hat keine Träume.«

»Sie hat aber welche - Mark hat recht. Und sie spricht im Schlaf. Einmal war sie so laut, daß sie mich geweckt hat.«

Jetzt sah er sie an. Nach einer langen Pause fragte er: »Was hat sie gesagt?«

Lucy überlegte und versuchte, sich genau zu erinnern. »Sie wälzte sich in ihrem Schlafsack herum und sagte immer wieder: >Tu's nicht, es ist so kalt, tu's nicht, ich kann es nicht ertragen, wenn du es tust, es ist so kalt, so kalt.< Und dann riß sie sich an den Haaren. Sie riss sich im Schlaf an den Haaren. Und stöhnte. Mir wurde ganz unheimlich zumute.«

»Man kann doch Alpträume haben, Lucy. Das bedeutet nicht, daß... nun, daß sie von ihmhandeln.«

»Es ist besser, nach Einbruch der Dunkelheit nicht viel über ihn zu reden, richtig?«

»Ja, das ist besser.«

»Sie benimmt sich, als würde sie durchdrehen, Larry. Weißt du, was ich meine?«

»Ja.« Er wußte es. Obwohl sie darauf beharrte, daß sie nicht träumte, hatte sie dunkle Ringe unter den Augen gehabt, als sie in Hemingford Home ankamen. Ihr wunderschönes dichtes Haar war deutlich weißer geworden. Und wenn er sie berührte, fuhr sie zusammen. Sie zuckte zurück.

Lucy sagte: »Du liebst sie, nicht wahr?«

»Oh, Lucy«, sagte er vorwurfsvoll.

»Nein, ich will doch nur, daß du weißt...« Sie schüttelte heftig den Kopf, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »Ich muß es sagen. Ich sehe doch, wie du sie anschaust... wie sie dich manchmal anschaut, wenn du mit etwas anderem beschäftigt bist... und es sicher ist. Sie liebt dich, Larry. Aber sie hat Angst.«

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