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Sich umbringen.Das war es, das war die Lösung. Er würde sich von seinem Elend erlösen, wie man einen alten Hund...

Plötzlich erfolgte im Osten der Stadt eine gewaltige Explosion, als wäre das Weltgefüge brutal entzweigerissen worden. Eine flüssige Feuersäule raste in das tiefe Indigo der Dämmerung empor. Er mußte die Augen zu tränenden, schmerzenden Schlitzen zusammenkneifen.

Selbst mit den Schmerzen hatte er Freude an dem Feuer... mehr noch, es entzückte und erfüllte ihn. Feuer war die beste Medizin, besser als das Morphium, das er am nächsten Tag fand (als Vertrauensmann im Gefängnis hatte er außer in der Bibliothek und der Fahrbereitschaft auch in der Krankenstation gearbeitet und wußte über Morphium und Elavil und Darvon Complex Bescheid). Er brachte den momentanen Schmerz nicht mit der Feuersäule in Verbindung. Er wußte nur, das Feuer war gut, das Feuer war schön, das Feuer brauchte er und würde es immer brauchen. Wunderbares Feuer!

Augenblicke später explodierte ein zweiter Öltank, und selbst hier, drei Meilen entfernt, spürte er den heißen Lufthauch der Druckwelle. Noch ein Tank ging hoch, und noch einer. Eine kleine Pause, dann explodierten sechs in dröhnender Folge, und jetzt war es so hell, dass man nicht mehr hinübersehen konnte, aber er sah trotzdem hinüber, grinste, und in seinen Augen spiegelten sich die gelben Flammen; sein verbrannter Arm und die Gedanken an Selbstmord waren vergessen.

Es dauerte über zwei Stunden, bis alle Tanks explodiert waren, bis es Nacht war, aber es war nicht dunkel, die Nacht war gelb und orangefarben und fiebrig von den Flammen. Das Feuer tanzte am gesamten östlichen Bogen des Horizonts. Das Bild erinnerte ihn an einen Illustrierte-Klassiker-Comic, den er als Kind gelesen hatte, eine Adaption von H. G. Well's Krieg der Welten. Jetzt, Jahre später, war der Junge, dem das Comic-Heft gehört hatte, verschwunden, aber der Mülleimermann war da, und Müll besaß das wunderbare, schreckliche Geheimnis der marsianischen Todesstrahlen. Es war Zeit, den Park zu verlassen. Die Temperatur war schon um zehn Grad angestiegen. Er mußte nach Westen gehen, vor dem Feuer bleiben, wie in Powtanville, mußte vor dem sich ständig erweiternden Ring der Zerstörung davonlaufen. Aber sein Zustand erlaubte es ihm nicht, davonzulaufen. Deshalb schlief er im Gras ein, und das Licht der Flammen flackerte über das Gesicht eines müden, mißhandelten Kindes.

In seinem Traum kam der dunkle Mann mit seinem Kapuzenmantel, das Gesicht unsichtbar... und doch glaubte der Mülleimermann, dass er diesen Mann schon einmal gesehen hatte. Wenn die Leute, die in Powtanville in der Milchbar oder der Kneipe herumlungerten, hinter ihm herpfiffen, schien dieser Mann unter ihnen gewesen zu sein, schweigend und nachdenklich. Als er bei Scrubba-Dubba gearbeitet hatte (Scheinwerfer abseifen, Scheibenwischer prüfen, Spiegel abwischen, he, Mister, möchten Sie auch Heißwachs?) und den Schwammhandschuh so lange trug, bis die Hand darunter wie ein bleicher toter Fisch aussah und die Fingernägel so weiß waren wie frisches Elfenbein, schien er das tückische und voll irrer Freude grinsende Gesicht dieses Mannes hinter dem schlierigen Wasserfilm, der die Windschutzscheibe herablief, gesehen zu haben. Als der Sheriff ihn in die Klapsmühle nach Terre Haute schickte, war dieser Mann der Angestellte in der Psychiatrie gewesen, der in dem Raum stand, wo man die Elektroschocks bekam; der Mann hatte die Hand am Schalter gehabt ( Ich werde dir das Gehirn rösten, Junge, und dir auf den Weg helfen, wenn du dich von Donald Merwin Elbert in den Mülleimermann verwandelst, möchtest du Heißwachs?) und war bereit gewesen, ihm etwa tausend Volt ins Hirn zu jagen, bis es zu brodeln schien. Er kannte diesen dunklen Mann durchaus, dessen Gesicht man nie ganz sah, dessen Hände sämtliche Pik aus einem schlechten Blatt austeilten, dessen Augen jenseits der Flammen waren und dessen Grinsen von jenseits des Grabes der Welt kam.

»Ich mache alles, was du willst«, sagte er dankbar im Traum. »Mein Leben für dich!«

Der dunkle Mann hob die Arme unter dem Mantel und machte ihn so zu einem schwarzen Drachen. Sie standen an einem hohen Ort, und unter ihnen lag Amerika in Flammen.

Du wirst in meiner Artillerie einen hohen Rang einnehmen. Du bist der Mann, den ich brauche.

Dann sah er eine Armee von zehntausend zerlumpten und verstoßenen Männern und Frauen, die sich nach Osten wälzte, durch die Wüste in die Berge, ein wildes Tier von einer Armee, dessen Zeit endlich gekommen war; sie fuhren in Lastwagen und Jeeps und Campingwagen und Panzern, jeder Mann und jede Frau trugen einen dunklen Stein um den Hals, tief in manchen dieser Steine war eine Figur eingebettet, die ein Auge oder ein Schlüssel sein konnte. Und ihnen voraus sah er sich selbst in einem riesigen Tanklastzug mit schweren Reifen und wußte, es war Napalm im Tank... und hinter ihm in der Kolonne fuhren Lastwagen mit Tellerminen und Plastiksprengstoff; mit Flammenwerfern und Leuchtbomben und Infrarot-Raketen; mit Granaten und Maschinengewehren und Raketenwerfern. Der Totentanz sollte in Kürze beginnen, die Saiten der Fidein und Gitarren rauchten bereits, der Geruch von Schwefel und Schießpulver erfüllte die Luft. Der dunkle Mann hob wieder die Arme, und als er sie sinken ließ, war alles kalt und stumm, die Feuer erloschen, selbst die Asche war kalt, und einen Augenblick war er wieder Donald Merwin Elbert, klein und ängstlich und verwirrt. Einen Augenblick argwöhnte er, nur eine Figur im riesigen Schachspiel des dunklen Mannes zu sein, getäuscht worden zu sein.

Dann sah er, daß das Gesicht des dunklen Mannes nicht mehr völlig verborgen war; zwei dunkle rote Kohlen glühten in den dunklen Höhlen, wo die Augen sein sollten, und erhellten eine Nase, die so schmal wie eine Messerklinge war.

»Ich mach' alles, was du willst«, sagte Müll dankbar im Traum.

»Mein Leben für dich! Meine Seele für dich!«

»Ich werde dich Feuer entfachen lassen«, sagte der dunkle Mann ernst. »Du mußt in meine Stadt kommen, dort werden wir alles besprechen.«

»Wo? Wo?« Er empfand Qualen der Hoffnung und Erwartung.

»Im Westen«, sagte der dunkle Mann und verblaßte. »Im Westen. Hinter den Bergen!«

Dann wachte er auf, und es war immer noch Nacht und immer noch hell. Die Flammen waren näher gekommen, die Hitze war erstickend. Häuser explodierten. Die Sterne waren nicht mehr zu sehen; sie waren von einem Leichentuch dichten schwarzen Ölqualms verhüllt. Feiner Ascheregen hatte eingesetzt. Die Shuttleboard-Spielfelder waren mit schwarzem Schnee bestäubt.

Jetzt hatte er ein Ziel vor Augen und stellte fest, daß er laufen konnte. Er hinkte nach Westen und sah dabei von Zeit zu Zeit ein paar andere Menschen, die Gray verließen und die Feuersbrunst über die Schultern betrachteten. Narren, dachte der Mülleimermann fast zärtlich. Ihr werdet brennen. Wenn die Zeit gekommen ist, werdet ihr brennen. Sie nahmen keine Notiz von ihm; für sie war der Mülleimermann nur einer der Überlebenden. Sie verschwanden im Rauch, und der Mülleimermann hinkte kurz nach Einbruch der Dämmerung über die Grenze von Illinois. Chicago lag nördlich von ihm, Joliet im Südwesten, das Feuer war hinter seinem eigenen Rauch, der den Horizont verdeckte, verschwunden. Es war der Morgen des 2. Juli gewesen.

Er hatte seinen Traum vergessen, Chicago niederzubrennen - seine Träume von weiteren Öltanks und Güterwaggons voll Flüssiggas auf Abstellgleisen und knochentrockenen Mietshäusern. Ihm lag überhaupt nichts mehr an der Stadt der Winde. An diesem Nachmittag brach er in eine Arztpraxis in Chicago Heights ein und stahl eine Packung Morphinampullen. Das Morphium drängte die Schmerzen ein wenig zurück, aber es hatte noch eine andere wichtige Nebenwirkung: Ihm machten die Schmerzen, die er noch empfand, nicht mehr so viel aus.

Am Abend nahm er aus einem Drugstore ein großes Glas Vaseline mit und trug sie einen Zentimeter dick auf die verbrannte Haut seines Arms auf. Er hatte großen Durst; es schien, als wollte er unablässig trinken. Hirngespinste vom dunklen Mann schwirrten summend in seinen Kopf und wieder hinaus, wie Fliegen. Als er in der Dämmerung zusammenbrach, dachte er schon, die Stadt, in welche der dunkle Mann ihn geleiten wollte, müßte Cibola sein, die sieben Städte in einer, die Stadt der Verheißung.

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