Bolithos Blick schweifte über das Oberdeck und über die Matrosen und Soldaten, die seit Beginn des Gefechtes unaufhörlich schufteten, Tote und Verwundete beiseite zogen und immer wieder Rohre auswischten, luden und schossen. Wieder und wieder wurde der Schiffsrumpf getroffen, und trotz des Getöses war hin und wieder das Klik-ken der Pumpen zu hören.
«Signal von Odin, Sir! >Brauche Unterstützung
Bolitho warf Herrick einen Blick zu und sagte:»Inch muß aushallen, Thomas.»
Er wandte sich ab, als neben ihm ein Mann, von einem Eisensplitter getroffen, zu Boden fiel und an seinem eigenen Blut zu ersticken schien.
Irgend jemand hatte noch Luft für einen Hurraruf, als eine weitere Galeere von einer vollen Ladung Kugeln und Schrapnelle getroffen wurde und kenterte.
Die Indomitable war weit hinter ihr Flaggschiff zurückgefallen und wehrte sich gegen Angriffe von Galeeren, die von vorn und achtern kamen, wobei die schweren Geschosse in Längsrichtung durch die Decks sausten, Geschütze umwarfen und die Bedienungen zwangen, irgendwo Schutz zu suchen.
Herrick blinzelte, barhäuptig und eine Pistole in der Hand, durch den Qualm und brüllte:»Zwei von ihnen nähern sich von achtern!»
Es gab einen Schlag, und Grubb schrie:»Ruder ist ausgefallen, Sir!»
Ein wild schlagender Schatten schwebte herab, und Bolitho fühlte sich energisch zur Seite gezogen, als die Besanstenge mit allem Drum und Dran an Rundhölzern und stehendem wie laufendem Gut von oben kam und krachend über die Backbordseite fiel. Es kam ihm jetzt vor, als wären sie nackt. Kanonen donnerten und rollten zurück wie bisher, aber als die Benbow steuerlos herumdrehte, verloren die Geschützführer ihr Ziel aus den Augen. Viele Männer lagen unter dem großen Haufen von heruntergefallenem Tauwerk begraben, andere krochen wie erschreckte Hunde auf Händen und Füßen herum. Dazwischen lagen viele Tote, unter ihnen auch Marston, der Leutnant der Seesoldaten. Eine umgekippte Kanone hatte ihm Brust und Magen zu blutigem Brei zerschmettert.
Swale, der Bootsmann, war schon mit seinen Männern bei der Arbeit. Äxte blitzten, als sie sich bemühten, ihr Schiff von dem längsseits hängenden und wie ein Treibanker wirkenden Gestrüpp zu befreien.
Herrick half Bolitho auf die Füße und rief gleichzeitig mit wildem Blick seinem Ersten Offizier zu:»Schicken Sie einen Steuermannsmaaten nach unten, Mr. Wolfe. Er soll das Reserve — Rudergeschirr anschlagen!»
Bolitho nickte Allday zu, der ihn weggezogen hatte, als die Maststenge herunterfiel.
Major Clinton eilte an der Spitze einiger Seesoldaten nach achtern, um seine dort postierten Leute zu verstärken, da sich vier oder fünf Galeeren dem ungeschützten Heck der Benbow näherten. Wieder und wieder zitterte und bebte das Deck, als Kugel auf Kugel in Heckgalerie und Achterschiff einschlugen. Dagegen klangen die Schüsse von Clintons Musketen kümmerlich und nutzlos.
Eine Drehbasse spuckte Kartätschenladungen vom Großtopp, und Bolitho bemerkte, daß das erste dänische Linienschiff, das von den Breitseiten der Benbow außer Gefecht gesetzt worden war, auf sie zutrieb und kaum noch fünfzig Yards entfernt war. Schüsse wurden über den immer kleiner werdenden Wasserstreifen ausgetauscht; die Scharfschützen auf beiden Seiten bemühten sich, die Offiziere des Gegners zu treffen und damit zum allgemeinen Durcheinander und Untergang beizutragen.
Midshipman Keys stolperte und fiel zur Seite, aber Allday fing ihn auf, bevor er das Deck berührte. Er schaute starr über Bolitho und Allday hinweg, und seine Augen wurden glasig, als er mit letzter Kraft herausbrachte:»Nummer… Sechzehn… weht… noch… Sir!«Dann starb er.
Bolitho riß sich von dem Anblick los und schaute nach oben, wo ein anderer Midshipman, der eine Konteradmiralsflagge wie ein Banner hinter sich her zog, aufenterte, um sie an der Bramstenge des Großmastes zu befestigen.
Wolfe sprang zurück, als der Rest der abgeschlagenen Takelage des Besanmastes über das Achterdeck schleifte und über die Seite verschwand. Aber er drehte sich wieder schnell um, als Major Clinton rief:»Sie entern uns, Sir!»
Herrick fuchtelte mit seiner Pistole herum, aber Bolitho rief:»Kümmern Sie sich um Ihr Schiff, Thomas!«Dann winkte er den Geschützbedienungen der Feuerleeseite zu und rief:»Mir nach, Männer!»
Keuchend und brüllend wie die Wahnsinnigen stürmten sie durch das Hüttendeck und den halb zerschossenen Niedergang hinunter. Stahl traf im Halbdunkel auf Stahl, bald überzogen Säbel und Enterbeile Deck und Bordwände mit schimmernden Mustern von Blut.
Eine Pistole knallte, und durch die zertrümmerten Heckfenster der Offiziersmesse sah Bolitho, wie immer mehr Männer aus den Galeeren, die sich am Heck der Benbow eingehakt hatten, hochkletterten und sich ihren Weg nach binnenbords erkämpften. Viele fielen Major Clintons Musketen zum Opfer, aber immer neue erschienen schreiend und fluchend, als sie mit den Männern der Benbow handgemein wurden. Denn auch in diesem grausigen Chaos waren sie sich der Tatsache bewußt, daß ihre einzige Überlebenschance darin bestand, zu siegen.
Leutnant Oughton richtete seine Pistole auf einen dänischen Offizier, zog den Abzugshebel und starrte entgeistert auf die Waffe, als sich kein Schuß löste.
Der dänische Offizier schlug das Entermesser eines Matrosen beiseite und stieß seine Klinge einmal und dann blitzschnell noch einmal in Oughtons Magen, bevor der überhaupt aufschreien konnte. Als Oughton fiel, sah der dänische Offizier dahinter Bolitho, und seine Augen weiteten sich, als er in diesem kurzen Moment dessen Rang und Stellung erkannte.
Bolitho fühlte, wie die Klinge des Dänen an seiner entlangstrich, und sah die Entschlossenheit im Blick des Mannes Verzweiflung Platz machen, als er, wie er es so oft getan hatte, seine Waffe mit einer kurzen Drehung des Handgelenks zum entscheidenden Stoß löste.
Aber als er sein Körpergewicht auf das verwundete Bein verlagerte, schien es unter ihm nachzugeben. Heftiger Schmerz durchfuhr ihn, und sein augenblicklicher Vorteil war dahin. Keuchend fiel er gegen die Männer, die von hinten drängten, zurück.
Alldays großes Entermesser blitzte vor seinen Augen auf und schlug in die Stirn des Offiziers ein wie die Axt in einen Holzblock. Allday riß es mit einem Ruck zurück und schwang es gegen einen Mann, der sich an ihm vorbeizudrücken versuchte. Der Mann schrie auf und fiel unmittelbar unter die Füße der kämpf enden und keuchenden Männer, die mit wildem Eifer ihre Stellung zu halten versuchten.»Wir sind fast längsseits beim Feind, Sir!»
Er sah die Hand eines Mannes aus dem Dunkel hervorlangen und nach einer heruntergefallenen Pistole angeln. Ein großer Fuß nagelte das Handgelenk des Mannes an Deck fest, und mit fast geringschätziger Gelassenheit hieb Wolfe mit seinem Säbel nach unten und schnitt den Schrei des Mannes ab, bevor er überhaupt begonnen hatte.
Bolitho keuchte:»Lassen Sie ein paar Leute hier!»
Er hörte Allday hinter sich, als er den Niedergang hochstürmte, sah, wie ein Schatten auf die Bedienungen der vorderen Geschütze fiel, als das steuerlose feindliche Schiff langsam auf sie zutrieb. Aber sie fuhren fort zu feuern, zu schreien und zu fluchen und hatten nichts anderes vor Augen als die durchlöcherte feindliche Bordwand. Um die Geschütze herum lagen Tote und Sterbende, aber für die Lebenden zählte nur das Schiff. Taub, halbblind und im Rausch des Tötens hatten sie nicht einmal bemerkt, daß ihr Schiff beinahe von achtern geentert worden wäre.
Bolitho ging über das zerschossene Achterdeck, den Blick fest auf den Feind gerichtet. Männer feuerten mit Musketen, Drehbassen und Pistolen, während andere ihre Entermesser und Spieße drohend gegen die Dänen schüttelten. Herrick hielt eine Hand im Rockausschnitt, und Blut tropfte von seinem Gelenk.
Browne lag auf den Knien und verband das Bein des diensttuenden Leutnants Aggett, das von einem Holzsplitter aufgerissen worden war.