Wolfe machte eine flüchtige Ehrenbezeigung zu Herrick und meldete:»Erledigt, Sir. Besser, er hört es von mir. Mich kann er in die Hölle wünschen, so viel er will, vorausgesetzt, er macht seine Arbeit.»
Midshipman Lyb rief:»Signal von Lookout, Sir. Das andere Schiff ist. «Er reckte sich, um über den Arm eines anderen Kadetten in die Liste der Schiffsnummern blicken zu können.»Es ist die Brigg Mar-guerit, Sir.»
Wolfe atmete erleichtert auf.»Mit Neuigkeiten, hoffentlich. «Dann warf er Lyb einen scharfen Blick zu und donnerte:»Himmel und Hölle, Sir! Beantworten Sie das Signal der Lookout, wenn's recht ist!»
Herrick wandte sich ab. Man hatte es leichter, wenn man so war wie Wolfe: innerlich unberührt und dadurch nicht so verletzlich. Doch im selben Augenblick, als er das dachte, wußte er, daß es eine Täuschung war.
Die Besatzung ging zum Mittagessen, und als sie wieder zum Dienst antrat, lag die muntere kleine Brigg Marguerite schon nahe bei ihnen im Wind und war dabei, ein Boot zu Wasser zu lassen.
Herrick sagte matt:»Lassen Sie die Fallreepsgäste aufziehen, Mr. Wolfe. Der befehlshabende Offizier der Brigg scheint herüberzukommen.»
Achtern quälte sich Bolitho ab, der die vertrauten Geräusche vom Achterdeck hörte, um sich in seiner Koje in Seitenlage zu wälzen. Oben traf man also Vorbereitungen zum Empfang des Kommandanten eines anderen Schiffes. Allday hatte ihm den Namen der Brigg gesagt, und Bolitho hatte ihn an Deck geschickt, um zu erkunden, was sie brachte.
Der Schmerz schien sein Bein zu packen wie ein wildes Tier. Schwitzend und stöhnend zog sich Bolitho weiter an den Rand der Koje. In seinem fiebrigen Hirn war es jetzt plötzlich lebenswichtig, daß er wieder Wasser und die anderen Schiffe sah. An diese Idee klammerte er sich wie an eine Rettungsleine.
Es war wie damals auf der Laufbrücke: Eben noch stand er da, und in der nächsten Sekunde fühlte er, wie sein Gesicht das Deck berührte, ohne Erinnerung an die Zeitspanne dazwischen.
Auf der anderen Seite des Türvorhangs rief der aufgeschreckte Posten:»Sir, Sir!«Allday stürzte herbei, stieß den Posten beiseite und rannte entgeistert zu Bolitho, der ausgestreckt auf dem Boden lag. Die schwarz-weiß karierte Bodenbespannung unter ihm war mit dunklem Blut getränkt, das sich weiter ausbreitete. Allday schrie:»Holt den Doktor!«Er nahm Bolitho in die Arme und hielt ihn fest.
Als Herrick und Loveys eintraten, gefolgt von dem erschreckten Kommandanten der Brigg, hatten sich weder Allday noch Bolitho bewegt.
Loveys kniete neben ihnen nieder und sagte kurz:»Die Wunde wird aufgebrochen sein. «Er schaute zu Herrick empor:»Bitte lassen Sie meine Instrumente holen. «Er schien laut zu denken.
Herrick starrte ihn entsetzt an, als Ozzard losrannte, um Loveys Assistenten zu holen.»Doch nicht amputieren.?»
Allday klagte» Es ist meine Schuld. Er hat mich weggeschickt. Ich hätte es wissen müssen.»
Loveys sah ihn scharf an.»Was hätten Sie wissen müssen?»
Männer drängten sich in die Kajüte, und Befehle gingen von Mund zu Mund wie beim Gewehrexerzieren.
Allday machte eine Kopfbewegung zu den Heckfenstern hin.»Er wollte zum Wasser. Es ist sein Leben, verstehen Sie?»
Loveys schnitt den Verband weg, und der Offizier von der Margue-rite fuhr bei dem Anblick der Wunde zurück.»Mein Gott, er muß furchtbare Schmerzen gehabt haben«, sagte er.
Loveys bedachte ihn mit einem eiskalten Blick.»Hinaus mit Ihnen, Sir, wenn Sie nichts anderes als Gemeinplätze zu bieten haben!»
Milder meinte er zu Allday:»Gehen Sie auch, es ist besser. Glauben Sie mir.»
Allday löste nur zögernd seinen Griff um Bolithos schlaffen Körper, als die Männer des Schiffsarztes einen Ring um ihn bildeten.
In der danebenliegenden Kajüte sagte Herrick sehr beherrscht:»Nun, was haben Sie mir zu melden, Herr Leutnant?»
Der Leutnant, der noch immer unter dem Eindruck des Hinauswurfs durch den Arzt stand, antwortete:»Ich habe eine Depesche für Ihren Admiral, Sir. Das französische Geschwader ist nicht nach Irland gesegelt. Es ist so gut wie sicher, daß es versuchen wird, in die Ostsee einzudringen. Kommodore Rice vom Geschwader in den Downs wird zu Ihnen stoßen und Sie verstärken.»
Herrick gab sich Mühe, nicht auf die Geräusche hinter der verschlossenen Tür zu achten. Dann antwortete er schlicht:»Wir sind vor drei Tagen mit Vizeadmiral Ropars zusammengetroffen. Der Mann, den Sie eben gesehen haben und der vielleicht innerhalb der nächsten Stunde stirbt, hat das feindliche Geschwader auseinandergetrieben und einen seiner Vierundsiebziger vernichtet. «In der totenstillen Kajüte klangen seine Worte wie Pistolenschüsse.
Der Leutnant sagte mit etwas zittriger Stimme:»Das war eine tapfere Tat, Sir. Haben Sie Befehle für mich?»
Herrick schaute zur Tür.»Nachher.»
Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne beobachtete, wie der Schatten von Herricks gedrungenem Körper im Licht der Deckslaternen schwankte.
Die Schiffsbewegungen waren im Lauf des Tages noch schlimmer geworden, und Browne konnte nur ahnen, welche Schwierigkeiten der Schiffsarzt unter diesen Bedingungen hatte. Es war inzwischen fast dunkel geworden. Herrick schien kurz vor dem Zusammenbruch, wenn er nicht endlich ausruhte. Browne wußte wohl, warum er sich all die Arbeit auflud, die — zum Teil wenigstens — auch andere erledigen konnten; aber er wußte nicht, wie er Herrick davon abhalten sollte.
Die Ausguckposten im Masttopp hatten ein Signal von der Relent-less gemeldet, die auf ihrer Sicherungslinie im Nordwesten der vor Anker liegenden Schiffe patrouillierte. Sie hatte das aus den Downs kommende Geschwader von Commodore Rice gesichtet. Aber kaum war das Signal abgelesen und für die anderen Schiffe wiederholt worden, hatten Dämmerung und eine plötzliche Regenbö jede weitere Beobachtung unmöglich gemacht.
Herrick sagte:»Ich werde Kommodore Rice über unsere Lage unterrichten. Wir sind zwar kampffähig, aber einige Schäden an unserem Schiffsrumpf bedürfen sorgfältigerer Reparatur. Ich werde um Erlaubnis bitten, dieses Gebiet zu verlassen und einen Hafen anzulaufen.»
Browne nickte. Die Benbow hatte bei dem Gefecht zweifellos am meisten abbekommen und mehr als ein Drittel der Verluste des ganzen Geschwaders. Weitere zwei Männer waren erst an diesem Tag beigesetzt worden, und gerade sie hatte man schon außer Lebensgefahr geglaubt.
Herrick warf seine Papiere auf den Tisch und fragte verzweifelt:»Was tut dieser verdammte Schlächter eigentlich?»
«Sein Bestes, Sir!«Das klang abgedroschen und so ganz anders, als Browne es gemeint hatte, daß er einen heftigen Anranzer von Herrick erwartete.
Statt dessen sagte Herrick nur:»Ich habe mich noch nie so um einen Mann gesorgt, verstehen Sie das? Wir haben auf allen Meeren von hier bis in die Südsee zusammen gekämpft. Ich könnte Ihnen Dinge von ihm erzählen, die Sie allein beim Zuhören vor Angst und Stolz zittern ließen. «Herrick schaute Browne bei diesen Worten an, aber seine blauen Augen schienen weit weg und bei Erinnerungen, an denen Browne, wie er wohl wußte, niemals teilhaben würde.
Herrick fuhr fort:»Ich war es auch, der ihm die Nachricht vom Tode seiner jungen Frau überbringen mußte. Man sagte, es wäre besser, wenn er es von mir hörte, aber wie können solch schrecklichen Dinge jemals besser klingen?«Herrick saß, zum Leutnant hingeneigt, auf der Kante des Kajüttisches, als könne er seinen Worten so mehr Nachdruck verleihen.»Da unten im Orlopdeck hat ihm einer eine Ermunterung zugerufen und ihn dabei >Dick< genannt. «Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.»Auf seiner Fregatte Phalarope nannten sie ihn so. >Der gerechte Dick<. Er sorgt sich um alle, das ist es. Verstehen Sie?»
Herrick blickte über Brownes Kopf hinweg, als die Kajüttür aufging, wobei die üblichen Schiffsgeräusche wie ungewohnter Lärm zu ihnen hereindrangen.
Allday stand da mit steinernem Gesicht. Sein Körper füllte den Eingang völlig aus.