Herrick nickte.»Ich danke Ihnen. «Es war wie befürchtet, obwohl er noch immer nach einem Hoffnungsschimmer Ausschau hielt und auf Bolithos Glück vertraute.
Loveys machte Anstalten zu gehen.»Ich schlage vor, daß Sie Mr. Pascoe wieder zu seinem normalen Dienst schicken, Sir. «Mit einer Handbewegung stoppte er Herricks Protest.»Mag sein, daß unser Admiral stirbt, aber der junge Mr. Pascoe wird weiterkämpfen müssen. Da muß es ihn nur unnütz belasten, wenn er dableibt und dem allen zusieht.»
«Sie haben recht. Sagen Sie Mr. Wolfe, er möge das für mich regeln.»
Als Herrick wieder allein war, überlegte er, was er tun sollte. Da die Styx schon fehlte, konnte er unmöglich auch noch die Relentless abstellen, um Bolitho nach England zu bringen. Die Relentless hatte in der Schlacht alle überrascht. Großartig, wie sie den Transporter gejagt hatte, der — wie Kapitän Peel annahm — voll französischer Soldaten steckte. Damit hatte sie Ropars' Fregatten vom eigentlichen Kampfplatz abgezogen, und das — neben dem unerwarteten Einsatz der Benbow — brachte die Wendung zum Guten. Und dabei hatte die Relentless kaum Beschädigungen davongetragen.
Herrick hatte schon überlegt, ob er die Lookout schicken sollte. Nach Loveys' entmutigendem Bericht schien es nun keine andere Möglichkeit zu geben. Doch würde er dafür von Bolitho kaum Dank ernten. Bei ihm rangierten die dienstlichen Notwendigkeiten stets vor den privaten Bedürfnissen, ohne Rücksicht auf irgendwelche Gefühle. Aber in diesem Fall…
Herrick fuhr auf, als jemand an die Tür klopfte und Lyb, der den Posten als dienstältester Midshipman von Aggett übernommen hatte, hereinspähte.
«Meldung von Mr. Byrd, Sir: Lookout hat ein Segel in westlicher Richtung gesichtet.»
Herrick stand zögernd auf.»Melden Sie dem Vierten Offizier, daß ich in Kürze an Deck komme. Und informieren Sie das Geschwader. Ist die Relentless in Sichtweite?»
Lyb stockte bei der unerwarteten Frage. Er war ein nett aussehender Junge, sechzehn Jahre alt, und sein Haar hatte die gleiche rote Farbe wie das von Wolfe. Deswegen hatte er sicher schon manche spitze Bemerkung einstecken müssen, dachte Herrick.
«Aye, Sir. Sie steht immer noch nordwestlich von uns.»
«Dann melden Sie Mr. Byrd, er soll das Signal für die Relentless wiederholen. Nur zur Sicherheit.»
Lyb kapierte nicht.»Zur Sicherheit, Sir?»
«Verdammt noch mal, Mr. Lyb, muß ich denn jeden Satz wiederholen?»
Er packte die Stuhllehne und zwang sich damit zur Ruhe. Nur zur Sicherheit. Er konnte doch unmöglich seine Besorgnis laut aussprechen. Der Satz war ein Zeichen seiner inneren Spannung, die ihn wie ein Schraubstock umfangen hielt.
Er rief:»Mr. Lyb!»
Der Junge kam zurück und bemühte sich offensichtlich, nicht ängstlich zu erscheinen.
«Ich hatte eben keinen Grund, Sie anzuschnauzen. Also gehen Sie schon und melden Sie dem Vierten Offizier, was ich gesagt habe.»
Lyb zog sich leicht verwirrt zurück. Erst der Anschnauzer, der gar nicht die Art des Kommandanten war, und dann die unerwartete Entschuldigung. Herrick griff nach seinem Hut und machte sich auf den Weg nach achtern. Tag für Tag hatte er sich bemüht, im Interesse Bolithos so zu tun, als sei alles wie zuvor. So hatte er Bolitho täglich Bericht erstattet und seine Meldungen über das Schiff und das Wetter abgegeben, selbst dann, wenn er Bolitho im Halbschlaf oder kaum aufnahmefähig angetroffen hatte. Indem er ihn für die Alltäglichkeiten des Lebens zu interessieren versuchte, hoffte er, die Seelenqual seines Freundes zu lindern.
Er fand Allday in einem Stuhl sitzend und Ozzard, der einige blutdurchtränkte Binden in der Schlafkammer auflas. Herrick winkte Allday ab, der aufspringen wollte.»Bleiben Sie, Mann. Dies sind schwere Zeiten für uns alle. Wie schaut's mit ihm aus?»
Allday fand nichts Ungewöhnliches darin, von einem Kapitän um seine Meinung befragt zu werden. Herrick war anders als die meisten und ein wirklicher Freund. Hilflos streckte Allday die Hände aus.»Er ist so furchtbar schwach, Sir. Suppe hat er nicht bei sich behalten. Ich hab's mit Brandy versucht und dann Ozzard gebeten, der ja ein gebildeter Mensch ist, ihm etwas vorzulesen.»
Herrick nickte. Alldays schlichte Fürsorge rührte ihn.»Ich werde ihm jetzt berichten.»
Er trat in die kleine Schlafkammer und näherte sich zögernd der mit den Schiffsbewegungen schwingenden Koje. Es war immer dasselbe: die schreckliche Angst vor dem Wundbrand und was er aus einem machen konnte.
Er sagte:»Guten Morgen, Sir. Lookout hat eben ein Segel im Westen gesichtet, wahrscheinlich ein Däne oder ein anderer glücklicher Neutraler. Ich habe der Relentless befohlen, näher heranzugehen und ihn zu erkunden.»
Herrick beobachtete Bolithos zerquältes Gesicht. Er schwitzte stark, und die schwarze Haarlocke, die gewöhnlich die schreckliche Narbe auf seiner Stirn verdeckte, klebte an der Seite. Herrick betrachtete die Narbe. Auch das mußte knapp gewesen sein. Aber Bolitho war damals ein junger Leutnant gewesen, jünger noch als Pascoe heute oder der unglückliche Leutnant Courtenay.
Plötzlich bemerkte er, daß Bolitho die Augen geöffnet hatte. Sie waren fast das einzig Lebendige an dem ganzen Mann.
«Ein Segel, sagen Sie?»
Herrick antwortete sehr bedachtsam:»Aye. Wahrscheinlich nichts von Bedeutung.»
«Wir müssen dem Admiral Meldung machen, Thomas. «Das Sprechen bereitete ihm offenbar Schmerzen.»Melden Sie ihm alles über Ropars und den großen Transporter. Sobald wir eine Aufklärungsfregatte der Flotte sichten, müssen Sie.»
Herrick beugte sich über die Koje. Er spürte die Verzweiflung des Freundes, und wie er litt.»Keine Sorge, ich werde mich um alles kümmern.»
Bolitho machte einen Versuch, ihm zuzulächeln.»Ich bin wie in der Hölle, Thomas. Zeitweise brenne ich, aber manchmal fühle ich überhaupt nichts.»
Herrick wischte Bolithos Gesicht und Nacken mit einem Tuch ab.»Ruhen Sie sich jetzt aus.»
Bolitho ergriff sein Handgelenk.»Ausruhen? Sehen Sie sich doch selber an. Sie sehen schlechter aus als ich. «Er hustete und stöhnte danach, weil die Bewegung ihm Schmerzen bereitete. Dann fragte er:»Was macht das Schiff? Wie viele Leute haben wir verloren?»
«Dreißig Tote, Sir, und vier weitere werden ihnen wohl folgen, fürchte ich. Im gesamten Geschwader hatten wir rund einhundert Tote und Schwerverwundete.»
«Zu viele, Thomas. «Er sprach jetzt ganz ruhig.»Wo ist Adam?»
«Ich habe ihn zum Dienst geschickt. Er grübelt sonst zu viel.»
Herrick bemerkte erstaunt, daß Bolitho sich ein Lächeln abrang.»Gut, daß Sie daran gedacht haben.»
«Es war die Idee des Schiffsarztes, um ehrlich zu sein.»
«Der?«Bolitho versuchte, den Arm zu bewegen.»Er kommt mir vor wie der Sensenmann. Immer in Wartestellung.»
«Aber ein besserer Arzt als mancher andere, Sir. «Herrick stand auf.»Ich muß jetzt nach oben gehen und mich um den Neuankömmling kümmern. Ich komme bald zurück.»
In einer Gefühlsaufwallung berührte er Bolithos Schulter, aber der war schon wieder ins Dösen zurückgesunken. Sehr vorsichtig zog Herrick die Decke herunter und legte nach einem Augenblick des Zauderns die Hand auf Loveys' sorgfältig angebrachten Kräuterumschlag. Er zog sie schnell wieder zurück und verließ die Kammer. Selbst durch den Verband hindurch hatte sich Bolithos Schenkel angefühlt wie Feuer, als ob sein Körper sich von innen verzehre. Allday bemerkte seinen Gesichtsausdruck.»Soll ich zu ihm gehen, Sir?»
«Lassen Sie ihn schlafen. «Herrick sah ihn traurig an.»Er hat ganz klar mit mir gesprochen, aber…«Er beendete den Satz nicht, sondern ging schnurstracks hinaus.
Im trüben Licht des Vormittags bemerkte er, daß die Offiziere, die auf dem Achterdeck über das fremde Segel diskutierten, seinen Blick mieden. Er hörte Wolfe sagen:»Ich verstehe, was Sie empfinden, Mr. Pascoe, aber Dienst ist Dienst. Ich bin zu knapp an Leuten, wenn auch Sie sich noch von Ihrer Division fernhalten.»