Bolitho richtete sein Glas auf die französische Linie. Die fünf Schiffe, alles Vierundsiebziger, arbeiteten mit ihren Segeln, geiten auf, refften ein oder wieder aus, je nachdem, was die Kommandanten unternehmen mußten, um ihren Platz in der Linie zu halten und gleichzeitig bereit zu sein, den Feind zu empfangen.
Er sagte:»Ändern Sie Kurs zwei Strich nach Steuerbord, Kapitän Herrick. Das Geschwader soll folgen.»
Männer eilten an die Schoten und Brassen, und das Steuerrad wurde eilig gedreht, als hätten der Rudergänger und seine Gehilfen nur auf den Befehl gelauert.
Grubb meldete:»Kurs liegt an, Sir. Ost zu Nord.»
Die britische Linie hatte sich durch ihre Schwenkung leicht von dem anderen Geschwader entfernt, so daß es einen Augenblick schien, als fielen die Franzosen zurück. Die Rahen quietschten unter dem Zug der Brassen, und der Wimpel an der Mastspitze zeigte nun fast direkt nach vorn.
Bolitho konnte es fühlen, wie das Schiff reagierte und mit dem Wind >unter seinen Rockschößen< eifrig vorwärtsdrängte.
«Die Franzosen haben weitere Segel gesetzt, Sir. «Herrick sah ihn fragend an.»Soll ich die Großsegel wieder setzen?»
«Nein. «Bolitho ging drei Schritte zum nächsten Geschütz und wieder zurück.»Sie sollen glauben, wir wollten lieber ihren Vormarsch stören als auf Schußentfernung herankommen.»
Er bemerkte, wie sich die Richtung der französischen Bramrahen veränderte, als die Schiffe weitere Segel setzten und ihre Geschwindigkeit entsprechend vergrößerten. Sie standen jetzt weniger als eine Meile auseinander.
«Halten Sie sich bereit, Mr. Browne.»
Er versetzte sich in die Lage der Kommandanten, die im Kielwasser der Benbow folgten. Er hatte ihnen seine Taktik genau erklärt, als er sie das erste Mal zur Geschwaderbesprechung versammelt hatte: ein Minimum an Signalen, ein Maximum an Initiative. Jetzt sah er sie vor sich: Keverne, Keen, den guten alten Inch. In Erwartung der einzelnen Flagge, die bereits angesteckt war. Die Franzosen konnten ihre Signale lesen, warum sollten sie also ihr Wissen mit ihnen teilen?
«Ich denke, wir sollten das Feuer eröffnen, Kapitän Herrick.»
Bolitho sah, daß seine Worte das Batteriedeck entlang mit Gesten und von Mund zu Mund blitzschnell nach vorn weitergegeben wurden.»Keine Breitseite. Sagen Sie Ihren Geschützführern, daß sie im Hochkommen des Schiffes und nur dann schießen sollen, wenn sie das Ziel voll im Visier haben.»
Herrick nickte.»Aye, Sir. Das wird die Frösche {Spitzname für Franzosen, nach der französischen Vorliebe für Froschschenkel} springen lassen.
Und sie werden keinen Wert darauflegen, in diesem Stadium von einem Zufallstreffer entmastet zu werden. Sie haben die Wahl, nach beiden Seiten auszuweichen.»
Es war schwer zu sagen, welches Geschütz als erstes schoß und mit welchem Erfolg. Auf der feuernden Seite rollten die Kanonen mit großem Krach binnenbords, bis die Brocktaue sie zum Stehen brachten und die Bedienungen hinzuspringen konnten, um die noch rauchenden Rohre auszuwischen und neu zu laden. Geschützführer spähten gebückt durch die Pforten und sahen die Segel des führenden französischen Schiffes wie in einem Wirbelwind schlagen.
Ein Midshipman brachte den Befehl nach unten, und Sekunden später hörte man von dort eine schrille Pfeife.
Die Zweiunddreißigpfünder im unteren Batteriedeck ließen beim Rücklauf die Holzplanken erzittern, während der Pulverqualm aus ihren Mündungen nach vorn trieb und sich beiderseits des Vorstevens wie eine Nebelbank ausbreitete.»Bei Gott, wir haben getroffen!»
Eine andere Stimme schrie:»Das waren wir, Jungs! Los, rennt wieder aus, damit sie noch eine Prise zu schmecken bekommen!»
Auch die übrigen Schiffe der englischen Linie feuerten nun. Die Kugeln strichen flach über die Wellen, einige fielen kurz vorm Ziel ins Wasser, andere trafen Segel oder Bordwände in einem Gemisch von Gischt und Rauch.
«Die Franzosen haben wieder Kurs geändert, Sir!«Herrick konnte seine Aufregung kaum noch verbergen.»Sie kommen auf uns zu.»
Er zuckte zusammen, als das zweite Schiff in einer Rauchwand verschwand, aus der orangerote Zungen hervorloderten, denen ein Donnergetöse folgte.
Wasser flutete über das Vorschiff, und unter seinen Füßen spürte Bolitho, wie sich der massive Schiffsleib unter dem Einschlag der feindlichen Kugeln schüttelte. Fünf, möglicherweise sechs Treffer, aber kein Stag, kein Want war durchschlagen.
«Wisch aus, Mann!«Ein Geschützführer mußte einem seiner Leute einen Schubs geben, damit er seine Schrecksekunde überwand.»Nun laden, du Rindvieh!»
Die ganze schön gemalte Bordwand der Benbow entlang brüllten die
Kanonen und rollten nach jedem Abschuß in ihren Lafetten zurück. Einzeln, paarweise oder in ganzen Gruppen schossen die Geschützführer, unbehindert durch den Zwang zur geschlossenen Salve.
Jubelrufe von vorn, als die Großbramstenge des französischen Spitzenschiffes im Rauch versank. Schwarze Punkte trieben hinter den Schiffen: Trümmerstücke, verbrannte Hängematten aus den Finknetzen oder vielleicht auch Leichen, die kurzerhand über Bord geworfen wurden, damit die Kanonen weiterfeuern konnten.
«Weiter, Jungs. Gebt's ihnen!«Herrick schrie es durch die hohlen Hände. Was für ein anderer Mann war das jetzt als der beherrschte Hochzeiter vor dem Altar in Kent!
Die ganze französische Linie feuerte nun, und jedes britische Schiff kassierte Treffer oder war derart von Wassersäulen überflutet, daß es wenigstens so aussah.
Eine Kugel fegte durch ihr Großmarssegel, und auch im Vormarssegel erschienen Löcher. Ein paar durchgeschlagene Leinen schwangen wie abgestorbene Schlingpflanzen über den Kanonen, während Swale, der Bootsmann, seine Stimme dem Getöse anpaßte und seine Männer nach oben schickte, um zu knoten und zu spleißen, bevor irgendwelche wichtigen Teile davongeweht wurden.
Bolitho wich einen Schritt zurück, als Metall klirrend an einem Geschütz der Steuerbordseite zerbarst und die Splitter rund um ihn einschlugen. Ein Matrose fiel der Länge nach hin, und Bolitho sah, daß die Halswirbel unter seinem Zopf bloßgelegt waren. Daneben war ein Unteroffizier auf die Knie gesunken und versuchte, den Mund zu einem tonlosen Schrei aufgerissen, mit bloßen Händen seine Eingeweide festzuhalten.
«Ruhig, Jungs! Ziel auffassen! Feuern!»
Die Neunpfünder auf dem Achterdeck schossen gemeinsam. Ihr scharfer Knall ließ einige Leute schmerzlich zusammenzucken.»Dasselbe noch einmal!»
Bolitho mußte heftig schlucken, als weitere feindliche Geschosse das Schiff trafen. Eines davon sah er in eine offene Stückpforte des unteren Batteriedecks einschlagen, und er konnte sich die schreckliche Szene dort unten vorstellen, wie die schwere Kugel durch die von Pulverqualm und Abschüssen schon fast blinden und tauben Männer pflügte.
«Feuern!»
Trotz ihrer fehlenden Bramstenge überlappte das französische Spitzenschiff nun die Benbow. Es feuerte wütend, doch undiszipliniert, aber einige ihrer Kugeln trafen. Bolitho schaute das obere Batteriedeck entlang, wo die Männer in ständiger Bewegung waren, beiseite sprangen, wenn ihr Geschütz beim Abschuß ächzend zurückrollte, neu luden und es anschließend wieder in Schußposition brachten.
Einige lagen verwundet in den Ecken und warteten auf Hilfe. Andere würden sich nie mehr bewegen. Pascoe stand hinter seinen Männern, schrie etwas und schwenkte dann seinen Hut. Einer seiner Geschützführer drehte sich um, lachte ihm zu und fiel im selben Augenblick tot um. Auf der anderen Seite donnerte die Kugel in die Bordwand und tötete einen weiteren Seemann, obwohl er sich geduckt hatte.
«Feuer!»
Bolitho räusperte sich.»Es ist soweit, glaube ich. «Er blickte mit vom Rauch geröteten Augen zum lose herabhängenden Wimpel empor.»Fertig, Mr. Browne!»
Er hörte Herrick rufen:»Klar zum Anluven, Mr. Grubb! Mr. Spe-ke!«Er mußte sich Wolfes Sprachrohr holen, um sich in dem allgemeinen Lärm verständlich zu machen.»Wir werden gleich mit beiden Batterien schießen. Klar zum Öffnen der Steuerbord-Pfortendeckel!«Er wartete, bis sichergestellt war, daß seine Befehle auch ins untere Batteriedeck weitergegeben wurden, drehte sich dann zu Bolitho um und sagte:»Unsere Leute halten sich großartig, Sir!»