Er kletterte hinunter an Deck und sah Midshipman Penels zu sich hinüberschielen wie jemand, über den ein Todesurteil gefällt worden war.
«Na, Penels, kommen Sie mal her!»
Der Junge eilte gehorsam herbei, begleitet vom Lächeln einiger Seeleute, als er in seinem Eifer über einen Ringbolzen stolperte.
«Heute war ein schlechter Tag für Sie, scheint es. «Bolitho sah den Jungen unter seinem scharfen Blick zurückweichen. Zwölf Jahre alt, kein Vater, auf See geschickt, um ein Offizier des Königs zu werden.
Die Sache mit seinem Freund Babbage ging ihm bestimmt zu Herzen.
Penels kämpfte mit den Tränen.»Er war mir ein guter Freund, Sir. Nun weiß ich nicht, was ich sagen soll, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.»
Bolitho dachte an Wolfes gleichgültige Feststellung der Tatsachen. An Penels' Mutter, die sich einem anderen Mann zugewandt hatte. Weiß Gott, Seemannsfrauen hatten viel zu ertragen. Aber Penels war nur gekleidet wie ein angehender Offizier. Er war noch ein Junge, ein
Kind.
Bolitho sagte beruhigend:»Mr. Pascoe hat getan, was er konnte. Vielleicht braucht Babbage Ihre Hilfe jetzt mehr denn je. Ich nehme an, in der Vergangenheit war es umgekehrt?»
Penels starrte ihn sprachlos an. Daß sein Admiral sich um ihn kümmerte, mußte ihm unglaubhaft vorkommen. Daß er außerdem mit seiner Annahme über Babbage recht hatte, war noch erstaunlicher.
Er stammelte:»Ich — ich werde es versuchen, Sir.»
Wolfe tippte ungeduldig mit einem großen Fuß aufs Deck, und als Penels wieder auf seinen Posten an Steuerbord eilte, bellte er:»Helfen Sie dem Flaggleutnant, Mr. Penels. Obwohl ich mich sicherer mit einem Franzosen fühlen würde als mit Ihnen, Gott verdammmich!«Dabei zwinkerte er Leutnant Speke zu.
Der alte Ben Grubb schneuzte sich geräuschvoll und brummte:»Stetiger Wind, Sir. Westlich mit kaum einer Abweichung. «Er guckte nach dem Halbstundenglas im Kompaßhaus und fügte hinzu:»Nicht mehr lange, würde ich sagen.»
Bolitho sah Herrick an und hob die Schultern. >Nicht mehr lange bis wann?< fragte er sich. Frühe Dunkelheit, Sieg oder Tod? Dem Master machte es anscheinend Spaß, solch kryptische Bemerkungen fallenzulassen. Eine seiner mächtigen Fäuste steckte in der Tasche seines abgetragenen Wachmantels, und Bolitho dachte, daß er darin wohl seine Batteriepfeife hielt, mit der er sie bis in die Hölle pfeifen würde, falls erforderlich.
Herrick war nicht so wohlmeinend.»Grubb wird alt, Sir. Er sollte irgendwo an Land sitzen mit einer guten Frau, die für ihn sorgt.»
Bolitho schmunzelte.»Thomas, seit Sie verheiratet sind, können Sie es wohl nicht lassen, Pläne für das Leben anderer zu schmieden?»
Allday, der an der Nagelbank des Großmastes lehnte, fühlte sich erleichtert. In solchen Augenblicken, in denen er Bolitho beobachtete, wog er immer seine eigenen Chancen ab. Jetzt beobachtete er über die Luv-Laufbrücke hinweg die anderen Schiffe, den Feind. Beide Geschwader bewegten sich wie die Flügel einer großen Pfeilspitze aufeinander zu, wobei der Wind in der Richtung des zugehörigen Pfeilschaftes wehte. Aber die Franzosen hatten die Luvposition und waren zahlreicher. Er wandte sich um und beobachtete die Männer um sich herum. Die alten Hasen überprüften noch einmal ihr Gerät: Steinschlösser und Pulverhörner, Schwämme und Ansetzer, Schraubenspindel und Pricker, obwohl sie das bereits mehrmals getan hatten. Und wenn sie fertig waren, würden sie noch einmal damit anfangen. Sie hatten das alles schon oft erlebt. Die langsame, drohende Annäherung, das Gewirr von Segeln und Masten, das sich allmählich zu Formationen und einzelnen Schiffen auflöste. Es kostete Nerven, dazustehen und auf das unvermeidliche Ende zu warten.
Die neuen Leute sahen es mit anderen Augen. Aufregung war bei ihnen mit Furcht gemischt. Und dann die Erwartung, endlich zu kämpfen, statt endlos und knochenbrechend zu exerzieren.
Etwas abgesetzt von den Geschützbedienungen und von den Matrosen, die für die Segelmanöver während des Gefechtes bereitstanden, gingen die Unteroffiziere noch einmal ihre Namenslisten durch und überprüften ihren eigenen Aufgabenbereich. Hier und da sah man zwischen den Reinen der Geschütze wie blauweiße Farbtupfer die Uniformen der Offiziere, Deckoffiziere und Midshipmen. Im unteren Batteriedeck, wiederholte sich das Bild, aber dort war es hinter den noch geschlossenen Stückpforten unheimlich dunkel.
Leutnant Marston von den Seesoldaten war vorn und sprach mit den Bedienungen der beiden großen Karronaden. {Großkalibrige Kartätsche mit geringer Reichweite, aber verheerender Wirkung auf die gegnerische Besatzung} Allday sah noch den Leutnant der Seesoldaten von der Styx vor sich, wie er mit dem Kopf in den blutenden Händen dagesessen hatte, weil er von herumfliegenden Splittern in die Augen getroffen worden war.
Major Clinton stand mit Sergeant Rombilow ganz achtern und zeigte mit seinem schwarzen Stock auf das schwenkbare Geschütz im Besantopp. Allday hielt alle Seesoldaten für ein wenig verrückt. Clinton bildete keine Ausnahme. Immer wenn das Schiff gefechtsbereit gemacht wurde, führte er seinen Stock mit sich, während eine Ordon-
nanz seinen Säbel wie ein Schildknappe sorgsam hinter ihm hertrug.
Allday beobachtete Pascoe, der im Vorschiff langsam hinter seinen Kanonen auf und ab ging. Wenn die Schiffe auf dem gleichen Kurs weiterliefen, würden seine Geschütze als erste den Feind unter Feuer nehmen. Wie er doch Bolitho ähnelte. Er dachte plötzlich an Babbage, an das widerliche Schauspiel, als er sich unter den Peitschenhieben gekrümmt und geschrien hatte. Sogar der Bootsmannsmaat, der die >neunschwänzige Katze< schwang, war durch diesen Ausbruch geschockt gewesen.
Nach Bolitho hätte Allday für Pascoe alles getan. Sie hatten zusammen gelebt, gekämpft und gelitten, und wenn Babbage die Ursache für Pascoes besorgte Miene war, dann war das für Allday Grund genug, ihn zu hassen.
Das Schiff war bereit zur Schlacht. Allday kümmerte sich nicht darum, ob sie recht oder unrecht hatten oder was der Anlaß war, der die ganze Welt in den Krieg zog. Man kämpfte für die, um die man sich sorgte, für das Schiff, auf dem man stand, und für wenig mehr.
Die Großen und Mächtigen sollten ihren Portwein trinken und ihre Vermögen verspielen, dachte Allday, aber dies hier war seine Welt, so lange sie bestand. Und wenn Pascoes Gedanken auch nur zum Teil durch die Probleme eines Narren abgelenkt wurden, so befand er sich in größerer Gefahr als alle übrigen.
Bolitho beobachtete seinen Bootssteurer und fragte Herrick leise:»Sehen Sie ihn, Thomas? Ich kann von hier aus fast seine Gedanken lesen.»
Herrick folgte Bolithos Blickrichtung und antwortete.»Aye, Sir. Er ist ein guter Mann, obwohl er sich eher in die Zunge beißen, als Ihnen zustimmen würde.»
Die Luft hallte von plötzlichem Kanonendonner wieder. Wolfe sagte:»Die Franzmänner probieren ein paar Schüsse gegen die Relent-less, scheint mir, Sir.»
Herrick sah Bolitho an.»Ich werde sie und die Lookout auf unsere Leeseite zurückholen, Sir. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt.»
Bolitho sah ihn mit Browne sprechen, während die Signale an die Flaggleinen angesteckt wurden. Herrick hatte viel hinzugelernt, seit er damals zum Flaggkapitän der Lysander ernannt worden war. Er war selten unschlüssig, und wenn er sich zu etwas entschlossen hatte, dann stand dahinter das ganze Gewicht seiner Überzeugung.
Browne rief:»Sie haben >verstanden< gezeigt, Sir.»
Herrick fragte:»Was, meinen Sie, werden die Franzosen tun, Sir?»
«Wenn wir die Fregatten einstweilen aus dem Spiel lassen, wird Ropars sich mit seinem ganzen Gewicht auf uns werfen. Wenn ich Ropars wäre, würde ich eine einzige Linie bilden, anderenfalls sind wir beim ersten Zusammenstoß vier gegen drei. In einer einzigen Schlachtlinie aber wären die Chancen fünf zu vier gegen uns.»
Herrick sah ihn hoffnungsvoll an.»Sie haben doch nicht vor, ihm diesen Ratschlag zu geben, Sir?»