Poate öffnete schon den Mund, um einzugreifen, da erschien plötzlich ein heller Blutfleck auf Bolithos sauberer Binde. Aber Bolitho bedeutete Poate, still zu sein, und erwiderte:»Dann ist zu hoffen, daß diese Leute Ihnen helfen werden, Sir Hugo, denn für alle anderen Engländer sind Sie ein verdammenswerter Lügner, Betrüger und…««Er biß vor Schmerz und Wut die Zähne zusammen»… Ein Schweinehund, der zusehen konnte, wie ein Mann erst gefoltert und dann ermordet wurde — der Kriegsgefangene Witrand, der unter dem Schutz des Königs stand!»
Jetzt blitzte ein Funken Angst in Draffens Augen auf. Aber er entgegnete grob:»Selbst wenn das wahr wäre — Witrand besaß keinen Kombattandenstatus und stand nicht unter Kriegsrecht. Als Offizier in Zivil war er als Spion zu betrachten.»
Doch er kniff betroffen die Lippen zusammen, als Bolitho antwortete:»Das jedoch wußten nur der Admiral und ich, Sir Hugo. Wenn Sie ihn nicht bereits kannten — was meiner Ansicht nach der Fall ist, denn Sie versuchten nicht, an Bord der Euryalus mit ihm zu sprechen — , dann müssen Sie gehört haben, daß er unter der Folter seine Identität preisgab. So oder so sind Sie gebrandmarkt!«Er spürte, wie seine Wunde unter dem Verband blutete, aber er konnte sich nicht beherrschen.»Hinrichtungen ekeln mich an, aber ich würde weiß Gott einen Monatssold dafür geben, Sie in Tyburn am Galgen tanzen zu sehen!»
Draffen musterte ihn verächtlich.»Schicken Sie die Leute hier raus!»
«Kein Schachern, Sir Hugo. Sie haben genug Tod und Leiden verursacht.»
«Na schön. Dann werde ich eben vor allen sprechen. «Er stützte die Hände in die Hüften und sagte gelassen:»Ich habe, wie Sie bemerkten, mächtige Freunde in London. Die können Ihnen das Leben in Zukunft sehr schwermachen und Ihnen jede Hoffnung auf Beförderung vereiteln.»
Angewidert wandte Bolitho den Kopf ab.»Ist das alles?»
Draffen zuckte zusammen und antwortete dann grob:»Sie haben doch einen Neffen in der Flotte? Den Bastard Ihres verstorbenen Bruders?»
Bolitho blieb ganz unbeweglich. Er hörte Poates Füße auf dem Steinboden scharren und Calvert erschrocken auffahren.
«Was würde der dazu sagen«, sprach Draffen weiter,»wenn er hörte, daß sein Vater, der Kaperkapitän, meine Sklavenschiffe passieren ließ? Daß er durch meine Schmiergelder reich geworden ist?»
Bolitho wandte sich ihm wieder zu und sagte ganz ruhig:»Das ist eine Lüge.»
«Die Leute werden es schon glauben. Und vor allen Dingen wird es mit der Laufbahn Ihres Neffen vorbei sein — nicht wahr?»
Bolitho blinzelte, weil sich seine Augen vor Schmerzen trübten. Er durfte jetzt nicht ohnmächtig werden — er durfte nicht!
«Hätte ich bisher irgendwelches Verständnis oder Mitgefühl für Sie empfunden, Sir Hugo, es wäre jetzt damit vorbei. Kein Mann verdient das, der das Leben eines jungen Menschen zerstören will, der bisher nur Not und Elend erfahren hat. Bringen Sie ihn weg, Mr. Poate!»
Gelassen erwiderte Draffen:»Sie haben mich vieler Vergehen beschuldigt. Was andere auch dazu sagen mögen — Sie werden mir Satisfaktion geben, sobald Sie wieder gesund sind!»
«Wie Sie wünschen. Sie werden mich durchaus dazu bereit finden. »
Bolitho sank in den Sessel, und Draffen wurde hinausgebracht.
Später war sie wieder bei ihm und führte ihn unter Vorwürfen zu seinem Bett.
«Ich kann noch nicht schreiben«, sagte er,»darf ich Ihnen diktieren? Ich muß dem Admiral sofort einen Bericht schicken.»
Sie musterte ihn neugierig.»Stimmt das, was er von Ihrem Bruder sagte?»
«Zum Teil. Nicht alles »
Die Tür flog wieder auf, und Poate stürmte herein.»Sir! Leutnant Calvert muß verrückt geworden sein!»
Bolitho faßte die Stuhllehne fester.»Was ist passiert?»
«Er hat Draffen auf die Plattform des Turmes gebracht und uns die Falltür vor der Nase zugeworfen. Als ich ihn aufforderte, sie wieder zu öffnen, gab er keine Antwort. «Poate schien es kaum fassen zu können.
«Hören Sie!»
Alle sahen zu Allday hin, der sich aus dem Fenster beugte. Über dem sanften Brausen von See und Wind hörte man das alarmierende Klirren von Stahl auf Stahl.
Es hielt nicht lange an. Calvert erschien in der Tür, zwei Degen unterm Arm. Er sah außerordentlich gefaßt aus, beinahe melancholisch.»Ich melde mich zum Arrest«, sagte er.»Sir Hugo ist tot.»
Leise erwiderte Bolitho: «Mich hatte er gefordert, Calvert.»
Doch der schüttelte den Kopf.»Sie vergessen, Sir — vorher hatte er mich >junger Laffe< genannt. «Er wandte sich ab, schien Poate und die anderen, die sich an der Tür drängten, überhaupt nicht zu sehen.»Sie wären jedenfalls in einem Duell nie mit ihm fertig geworden, Sir. Schon gar nicht, wenn Sie links fechten mußten. «Müde hob er die Schultern.»Sie sind ein Kämpfer, Sir, aber als Duellant weniger geübt, fürchte ich. «Mit blitzenden Augen fuhr er herum.»Sie haben mich gerettet und mehr: Sie haben mir meine Ehre wiedergegeben. Ich kann doch nicht untätig zusehen, wie Sie kaputtgehen, wenn ich helfen kann — und vielleicht besser als irgend jemand sonst.»
Schiffsarzt Angus stieß sich durch die Umstehenden.»Seid ihr denn alle verrückt? Könnt ihr nicht sehen, in welchem Zustand der Kommandant ist?»
Bolitho sah ihn abweisend an.»Gehen Sie auf den Turm. Da oben liegt ein Toter. «Und zu Calvert gewandt:»Sie meinen es gut, aber…»«
Calvert zuckte die Achseln. »Aber. Was dieses Wort alles ausdrük-ken kann! Ich weiß, was ich mir damit eingebrockt habe, aber es ist mir egal. Vielleicht tat ich es, um Lelean zu rächen — ich weiß nicht genau. «Mit plötzlicher Entschlossenheit blickte er Bolitho ins Auge.»Lelean brauchte mich, ebenso wie das Geschwader jetzt Sie braucht. Vielleicht war das mein stärkstes Motiv, Draffen zu töten.»
Er schnallte sein Koppel ab und überreichte es Hauptmann Giffard mitsamt dem Degen.
Die Gaffer an der Tür zerstoben, denn Broughtons kratzige Stimme ertönte:»Geben Sie ihm seinen Degen wieder, Giffard!»
Der Admiral trat ins Zimmer, nickte Bolitho kurz zu und sagte:»Ich habe Ihnen unrecht getan, Calvert. Ein Gerichtsverfahren kann ich Ihnen zwar nicht ersparen. «Er musterte den Leutnant mit offensichtlichem, ganz neuartigem Interesse.»Aber falls wir je wieder nach England kommen, werde ich dafür sorgen, daß Sie einen tüchtigen Verteidiger bekommen.»
Calvert blickte zu Boden.»Danke, Sir Lucius.»
Jetzt wandte sich Broughton an Bolitho.»Nun, obwohl Sie anscheinend wieder gesund und kräftig genug sind, um meine Angelegenheiten zu regeln, muß ich doch zu Ihnen kommen — eh?«Ärgerlich sah er sich um.»Schaffen Sie mir diese Leute vom Hals!«Doch dann wurde er etwas freundlicher.»Außer Ihnen natürlich, verehrte Dame, denn ich habe gehört, daß ich ohne Ihre, äh, Bemühungen jetzt keinen Flaggkapitän mehr hätte. «Kühl lächelnd musterte er sie von oben bis unten.»Und das wäre schade.»
Unerschüttert hielt Kate seinen Blicken stand.»Da haben Sie recht, Sir Lucius. Anscheinend haben Sie ihn sehr nötig.»
Broughton runzelte die Stirn, zuckte aber dann lässig die Achseln.»Das war ein gutes Wortgefecht, Ma'am. «Und wieder zu Bolitho gewandt:»Folgendes habe ich vor.»
Kein Wort, kein Zeichen von Schreck oder Zorn über Draffens Tod. Typisch für Broughton, daß er den Mann bereits abgeschrieben hatte. Eine Erinnerung, nichts weiter. Später, in England, würde sie sich nicht mehr so leicht verdrängen lassen.
«Es ist ziemlich sicher, daß die Franzosen versuchen werden, uns von hier zu vertreiben. «Sir Lucius hielt inne, als erwarte er einen Einwand.»Daß ich sie gesichtet und dann dank Rattrays Dummheit mit dem Signal wieder verloren habe, macht mich geneigter, Ihre seinerzeitige Ansicht über Djafou zu akzeptieren. Sie haben Giffard einen sehr guten Bericht hinterlassen, ehe Sie sich in diesen überflüssigen Privatkrieg gegen die Piraten stürzten. Wirklich, Bolitho — «, er seufzte — ,»Sie müssen sich endlich damit abfinden, daß Sie über diese leichtsinnigen Heldentaten hinaus sind!»