Er fiel wieder in Schweigen, und Bolitho hörte schwere regelmäßige Schritte auf dem Steuerborddecksgang; es klang, als schlüge jemand mit einem Hammer gegen einen Baumstamm.
«Sagen Sie diesem Offizier, er soll nicht so laut sein, hol ihn der Teufel«, blaffte Broughton.
Keverne gab diesen plötzlichen Ausbruch des Unwillens an den Schuldigen weiter, und Bolitho hörte Meheux rufen:»Bitte um Entschuldigung, Sir Lucius!«Aber es klang trotzdem ganz vergnügt. Bolitho hatte ihn von der Navarra zurückberufen, damit er wieder seine geliebte obere Batterie von Zwölfpfündern übernahm, und Me-heux grinste beinahe unaufhörlich, seit er wieder an Bord war.
Immerhin war das ein Zeichen, daß es Broughton nicht recht wohl bei dem ganzen Unternehmen war.
«Ich habe den Gefangenen ins Orlopdeck[27] bringen lassen, Sir Lucius.»
Der Admiral schnob verächtlich.»Dieser verdammte Witrand! Der sollte lieber hier oben bleiben — würde ihm guttun!»
Bolitho lächelte.»Eines ist jedenfalls sicher: er weiß über diese Gegend besser Bescheid, als ich zuerst dachte. Als Keverne ihn nach unten bringen wollte, war er schon fertig angezogen und durchaus darauf vorbereitet — jemand, der von militärischen Dingen nichts versteht, wäre zumindest überrascht gewesen.»
«Das war umsichtig von Keverne«, entgegnete Broughton, aber es klang nur ganz beiläufig. Vermutlich dachte er nach wie vor daran, was dort drüben hinter den Schatten lag.
Wieder waren laute Schritte an Deck zu vernehmen, und Broughton fuhr herum: Calvert stolperte ungeschickt über die Taljen eines Geschützes.
«Passen Sie gefälligst auf Ihre Füße auf! Sie machen ja mehr Krach als ein Blinder mit 'nem Holzbein!»
Im Halbdunkel murmelte Calvert irgend etwas, und Bolitho sah, wie die Männer der nächstliegenden Geschützbedienung einander wissend angrinsten. Calverts prekäres Verhältnis zum Admiral mußte im ganzen Schiff bekannt sein.
«Guten Morgen, Gentlemen!«Draffen kam unter der Kampanje heraus. Er trug ein plissiertes weißes Hemd und eine dunkle Kniehose, in deren Gürtel eine Pistole stak, und wirkte wohlausgeruht, wie soeben aus tiefem, traumlosem Schlaf erwacht.
«Die Zeus in Sicht, Sir!«rief Midshipman Tothill.
Bolitho schritt zur Achterdecksreling und spähte nach vorn. Stetig wuchs die Tanais aus dem Schatten heraus, und hinter ihr, etwas nach Backbord, konnte er eben noch den führenden Vierundsiebziger ausmachen; die oberen Rahen schimmerten bereits im Widerschein des Morgenrots.
Der Rand der Sonne stieg langsam und gleichmäßig über die Kimm, das warme Licht erreichte beide Seiten des Bugs, rührte an die lebhaften Wogenkämme, breitete sich weiter aus.
«Da ist ja Land, Sir!«schrie Tothill plötzlich.
Das war nun kaum eine vorschriftsmäßige Sichtmeldung, aber sie waren alle viel zu aufgeregt, um diesen Formfehler zu bemerken. Und in Anbetracht von Broughtons Gereiztheit war das auch besser so, dachte Bolitho.»Danke, Mr. Tothill«, antwortete er kühl.»Sie merken auch alles.»
Im rasch zunehmenden Sonnenlicht konnte man sehen, daß der Midshipman rot anlief, aber er war klug genug, den Mund zu halten.
Bolitho wandte sich um und beobachtete, wie das Land immer deutlicher aus dem zurückweichenden Schatten hervortrat: langgestreckte Hügel, jetzt noch grau und purpurn, aber schon wurden die kahlen Abhänge sichtbar, in deren dunkleren Flächen sich Schluchten und tiefe Spalten verbargen.
«Die Valorous ist in Sicht, Sir. «Lucey, der Fünfte Offizier, der auch die Achterdeck-Neunpfünder unter sich hatte, meldete es mit gedämpfter Stimme.»Sie hat die Bramsegel gesetzt.»
Bolitho ging die Deckschräge zur Luvseite hinan und starrte über die Hängemattsnetze. Der Vierundsiebziger, das letzte Schiff der Reihe, bot ein schönes Bild, wie es stürmisch hinter den langsameren Schiffen aufkam; die Mars- und Bramsegel schimmerten wie polierte Muscheln, während der Rumpf sich noch im Schatten verbarg. Bald schon würde ein Ausguck die Fregatte weit draußen auf See sichten können, und dann auch die kleine Restless, die sich näher an die Küste heranschlich, und endlich auch das letzte Schiff, das die Finsternis freigab: ihre Prise, die Navarra, sollte auf Signaldistanz bleiben, aber nicht näher kommen. Es konnte nichts schaden, wenn die Verteidiger von Djafou dachten, daß Broughton mindestens noch ein weiteres Kriegsschiff zur Verfügung hätte. Bolitho hatte sogar vorgeschlagen, daß der Steuermannsmaat, der zur Ablösung Meheux' hinübergeschickt worden war, irgendwelche beliebigen Signale hissen sollte, damit der Eindruck entstünde, hinter der Kimm befänden sich noch mehr Schiffe.
Es hing so viel von der ersten Attacke ab. Der Widerstandswille der Spanier würde rascher erlahmen, wenn sie nach einem ersten Angriff, der bereits erheblichen Schaden verursacht hatte, noch mit einem größeren Schiffsverband rechnen mußten.
Bolitho zwang sich dazu, langsam an der Luvseite auf und ab zugehen. Der Admiral blieb regungslos am Fuß des Großmastes stehen.
Kampanje und Netze wirkten seltsam nackt ohne die gewohnten scharlachroten Reihen der Seesoldaten, die immer ein gewisses Gefühl der Sicherheit gaben. Aber davon abgesehen, war sein Schiff kampfbereit. Auf dem Oberdeck, neben den beiden Reihen der Geschütze, warteten bereits die halbnackten Bedienungen auf den Feuerbefehl. Die Männer hatten bunte Tücher um die Ohren gebunden, damit ihr Trommelfell durch das Krachen der Kanonen nicht beschädigt wurde. Oben in den Masten waren, wie er durch die Schutznetze sehen konnte, die Drehbassen geladen; weitere Matrosen, die zur Zeit nichts zu tun hatten, warteten an den Brassen und Fallen auf Kommandos vom Achterdeck.
Partridge schneuzte sich heftig in ein grünes Taschentuch und erstarrte unter dem wütenden Blick des Admirals. Aber Broughton sagte nichts; der weißhaarige Master steckte das anstoßerregende Tuch in die Manteltasche und grinste Tothill verlegen zu.
Bolitho hatte die Hand auf dem Degengriff. Das Schiff war lebendig, ein vitales, vielschichtiges Kriegsinstrument. Er dachte an den Kampf auf der Navarra, den harten Kontrast zwischen dieser geschulten, geordneten Welt und der primitiven Mann-gegen-Mann-Verteidigung dort drüben. An die Spanier, deren anfängliche Angst sich in blutrünstige Wildheit verwandelt hatte; an die halbnackten Frauen, die schweißglänzend von ihrer schweren Arbeit an den Pumpen ausruhten. An Meheux' Fluchen, als er auf dem Blut des spanischen Kapitäns ausrutschte, und an Ashtons helle Knabenstimme, die sich über den Kampfeslärm erhob, als er die Geschützbedienungen in seinem unbeholfenen Spanisch anfeuerte, schneller zu laden.
Und an den kleinen Pareja. Der sich solche Mühe gegeben hatte. Der, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, das Gefühl hatte, wirklich gebraucht zu werden. Auch an seine Witwe dachte er. Was würde sie wohl jetzt tun? War sie noch böse auf ihn, weil sie seinetwegen den Mann verloren hatte? Oder auf die Umstände, durch die sie überhaupt nach Spanien gekommen war? Schwer zu sagen. So eine seltsame Frau war ihm noch nie begegnet: sie trug die Kleidung, den Schmuck einer vornehmen Dame mit der kühnen, feurigen Arroganz einer Frau, die ein weit lustigeres Leben gewohnt war, als Pareja ihr geboten hatte.
Tothills Stimme riß ihn aus seinen Gedanken.»Die Tanais gibt ein Signal der Zeus an uns weiter, Sir!«Er kritzelte etwas auf seine Schiefertafel.»>Feind in Sicht<, Sir.»
«Verdammte Schweinerei!«fluchte Broughton halblaut.
Die Segel der Tanais hatten Rattrays Signal vor dem Flaggschiff verdeckt; und so war durch die Weitergabe von Schiff zu Schiff eine Verzögerung entstanden. Bolitho runzelte die Stirn. Auch aus diesem Grund wäre es besser gewesen, wenn die Euryalus die Führung übernommen hätte. Er konnte sich vorstellen, wie Rattray einem Mids-hipman vom Schlage Tothills seinen Befehl gegeben hatte. Er würde sich seiner Position als erstes Schiff sehr bewußt sein und darauf dringen, daß seine Signale so schnell wie möglich gehißt wurden. Nun stand aber im ganzen Signalhandbuch nichts, was dem Wort Djafou irgendwie nahekam. Der Eile halber, und weil er vermeiden wollte, den Namen auszubuchstabieren, hatte er statt dessen ein geläufigeres Signal genommen. Captain Falcon hätte an seiner Stelle etwas mehr Phantasie entwickelt — oder überhaupt nichts gesagt. Kannte man den Kapitän, so wußte man auch, wie es auf seinem Schiff zuging.