Captain Rook holte tief Atem, und Bolitho bekam einen scharfen Brandygeruch in die Nase, als Rook leise fragte:»So wissen Sie also noch nichts? Sie hatten keinen Kontakt mit der Flotte?»
«Zum Donnerwetter«, fuhr Bolitho ihn an,»hören Sie endlich mit dem Drumherumreden auf, Mann! Ich muß heute noch ein Schiff ausrüsten, Kranke an Land bringen und noch zweihundert andere
Dinge erledigen. Sie können doch nicht vergessen haben, was es heißt, ein Schiff zu kommandieren!»
Er sah, wie sich die Augen des Mannes verdunkelten, und legte ihm die Hand auf den Arm.»Das war unfair von mir. Entschuldigen Sie!«Er schämte sich seiner Ungeduld. Meine Nerven müssen wohl noch schlechter sein als ich glaubte, dachte er bitter.
Captain Rook schlug die Augen nieder. »Meuterei, Sir. «Mit seiner einen Hand knöpfte er sich sorgfältig die Uniform am Halse auf und zog einen großen versiegelten Umschlag hervor.
Bolitho starrte auf diese Hand, und das eine furchtbare Wort hallte wie ein Glockenton in seinem Kopf.»Meuterei «hatte Rook gesagt — aber wo? Die Festung sah aus wie sonst, die Flagge leuchtete wie buntes Metall am hohen Mast. Die Garnison konnte sowieso wenig Grund zur Meuterei haben. Dort standen hauptsächlich Freiwillige und Milizen aus dieser Gegend, die genau wußten, daß es ihnen hier, wo sie ihr eigen Haus und Hof verteidigten, besser ging, als wenn sie irgendwo weit weg auf einem Feldzug durch Matsch oder Sand stapfen müßten.
Langsam sprach Rook weiter.»Die Flotte in Spithead hat gemeutert. Vorigen Monat ging es los; die Besatzungen haben die Schiffe in ihre Gewalt gebracht und stellten Bedingungen. «Verlegen zuckte er die Achseln.»Es ist schon vorbei. Lord Howe hat mit den Anführern verhandelt, und die Kanalflotte ist wieder auf See. «Er sah Bolitho bedeutsam an.»Ganz gut, daß Ihr Geschwader nichts davon wußte. Es hätte Ihnen sonst schlimm ergehen können.»
Bolitho blickte an ihm vorbei und sah Keverne mit einigen anderen Offizieren, die von der gegenüberliegenden Deckseite herüberstarrten. Sicher hatten sie gemerkt, daß etwas nicht stimmte. Wenn sie die Wahrheit wüßten. Brüsk wandte er ihnen den Rücken zu.
«Ich habe schon oft gedacht, daß es auf dem einen oder anderen Schiff einmal losbrechen würde. «Seine Stimme zitterte vor mühsam unterdrücktem Zorn.»Manche Politiker und Seeoffiziere denken, einfache Matrosen sind nicht viel besser als Ungeziefer, und dementsprechend behandelt man sie auch. «Starr sah er Rook in die Augen.»Aber daß eine ganze Flotte wie ein Mann meutert! Furchtbar!»
Rook schien sich etwas erleichtert zu fühlen, weil er seine schlimme Nachricht losgeworden war. Oder vielleicht hatte er halb und halb erwartet, die Euryalus in den Händen von Meuterern zu finden, die haarsträubende Forderungen stellten.
«Manche Leute fürchten«, sagte er,»daß das Schlimmste erst noch kommt. Auch bei der Nore[9] -Flotte hat es Unruhen gegeben; wir wissen allerdings noch nicht, in welchem Ausmaß. Unter den dortigen Rädelsführern sollen mehrere Iren sein, und vielleicht hält die Admiralität diese ganze Geschichte für das Ablenkungsmanöver vor einer beabsichtigten Invasion. «Er seufzte bedrückt.»Daß ich so etwas noch erleben muß, geht über meinen Verstand!»
Meuterei! Bolitho blickte zu dem Admiral hinüber, der dort drüben im eifrigen Gespräch mit seinem Sekretär stand. Das wäre ein schlimmes Ende für seine Karriere. Bolitho wußte aus eigener böser Erfahrung, wieviel hitzige, sinnlose Wut bei einer Meuterei stets zum Ausbruch kam. Aber bisher hatte es sich immer nur um einzelne Schiffe gehandelt, wo Lebensbedingungen oder Klima, Entbehrungen oder schiere Brutalität des Kommandanten die Ursachen waren. Daß aber eine ganze Flotte explosionsartig gegen die Disziplin, gegen die Autorität ihrer Offiziere und damit gegen König und Parlament rebellierte, war etwas völlig anderes. Dahinter mußten Organisation und außerordentliche Geschicklichkeit stecken, und ein willensstarker, vorwärtsdrängender Kopf mußte an der Spitze stehen, sonst hatte ein solches Unternehmen keinerlei Aussicht auf Erfolg. Aber zweifellos hatte es Erfolg gehabt.
«Ich spreche sofort mit Sir Charles«, sagte Bolitho und nahm Rook den Umschlag aus der Hand.»Das ist eine bittere Heimkehr.»
Rook wollte zu Keverne und den anderen treten, doch Bolitho sagte scharf:»Sie werden so freundlich sein und nicht darüber sprechen, bis ich Erlaubnis gebe!»
Rook blieb stehen.
Der Admiral hörte mit gesenktem Kopf schweigend zu, bis Bolitho mit seinem Bericht fertig war. Dann sagte er:»Wenn die Franzosen jetzt einen Großangriff unternehmen, ist England erledigt. «Er hob die Hände und ließ sie dann resigniert fallen.»Wo ist Konteradmiral Broughton? Kommt er nun doch nicht?»
Bolitho hielt das Kuvert hoch und sagte beschwichtigend:»Vielleicht steht hier drin, was wir tun sollen, Sir.»
Widerstrebende Gefühle zerwühlten das gefurchte Gesicht des Ad-mirals. Der Gedanke, seine Flagge endgültig streichen zu müssen, war ihm scheußlich, aber er hatte die Tatsache akzeptiert. Das war wie seine Krankheit — nicht zu ändern. Doch jetzt, da die Möglichkeit weiterzumachen auftauchte, wurde er vermutlich von gegensätzlichen Empfindungen hin und her gerissen.
«Geleiten Sie unseren Besucher nach achtern«, sagte er und versuchte, die Schultern entschlossen zu straffen.»Und dann geben Sie der Mannschaft etwas zu tun. Es wäre unklug, sie merken zu lassen, daß ihre Führung ratlos ist.»
Mühsam schritt er, von seinem Sekretär gefolgt, in den Schatten der Kampanje.
Als Bolitho wieder zu ihm in die große Kajüte trat, saß der Admiral am Schreibtisch, als hätte er immer dort gesessen.
«Die Depesche ist von Sir Lucius Broughton«, sagte er und winkte Bolitho, Platz zu nehmen.»Die Euryalus bleibt in Falmouth und wird sein Flaggschiff, doch zur Zeit ist er in London. Anscheinend wird dort ein neues Geschwader zusammengestellt, aber zu welchem Zweck, das sagt er nicht. «Der Admiral mußte sehr müde sein.»Sie sollen dafür sorgen, daß unsere Leute keinen Kontakt mit dem Land haben; die Verwundeten und Kranken, die an Land geschickt werden, kommen nicht wieder an Bord.«Ärgerlich verzog er den Mund.»Zweifellos hat man Angst, sie könnten die Leute an Bord anstecken.»
Bolitho war stehengeblieben und versuchte sich klarzumachen, was diese Worte bedeuten konnten.
Mit der gleichen ausdruckslosen Stimme fuhr der Admiral fort:»Sie werden Ihren Offizieren natürlich mitteilen, was Sie für richtig halten; aber unter keinen Umständen darf die Mannschaft etwas über die Nore-Unruhen erfahren. Es ist schlimmer, als ich gefürchtet habe. «Mit einem Blick auf Bolithos grimmiges Gesicht fügte er noch hinzu:»Captain Rook wird Sie bei der Neuausrüstung des Schiffes unterstützen; er hat Anweisung, alle Lebensmittel, neue Spieren, neues Tauwerk und so weiter unverzüglich an Bord zu bringen.»
Nachdenklich erwiderte Bolitho:»Sir Lucius Broughton — ich weiß wenig von ihm. Schwierig, seine Wünsche vorauszusehen.»
Der Admiral lächelte flüchtig.»Seine Flagge wehte auf einem der Schiffe, die in Spithead gemeutert haben. Ich kann mir vorstellen, sein Hauptanliegen ist, daß ihm so etwas nicht noch einmal passiert.»
Er tastete nach seinem Taschentuch und hielt sich an der Tischkante.»Ich muß ein Weilchen ruhen und nachdenken. Es wäre besser, wenn Sie statt meiner an Land gingen. Vielleicht sehen Sie, daß es gar nicht so gefährlich ist, wie wir denken. Aber an Ihrer Stelle würde ich zuallererst Hauptmann Giffard informieren, damit die Seesoldaten bereit sind, falls es Ärger gibt.»
Er blickte Bolitho bedeutsam in die Augen, wandte sich dann ab und sprach weiter:»Ich habe gesehen, wie Ihre Leute zu Ihnen aufblicken, Bolitho. Matrosen sind einfache Menschen und erwarten zum Lohn für ihr schweres Leben auf See nicht viel mehr als Gerechtigkeit. Aber — «, und das Wort hing in der Luft — ,»sie sind auch nur Menschen. Und unsere erste Pflicht ist es, sie wieder unter Kontrolle zu bekommen, koste es, was es wolle.»