Bolitho wandte der See den Rücken zu und sagte:»Wir feuern, sobald wir die erste Schebecke direkt vor dem Rohr haben.»
McEwen, der auf der Euryalus Geschützführer war, fragte:»Doppelte Ladung, Sir?»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Nein. Das ist gut beim Kampf Schiff gegen Schiff, wenn man nichts Kleineres vor sich hat als eine Breitseite. Aber heute können wir uns nicht leisten, aufs Geratewohl zu schießen. «Er lächelte in ihre glänzenden, fettverschmierten Gesichter.
«Also zielt sorgfältig, jede Kugel muß sitzen.»
Er nahm Meheux beiseite und gab ihm mit gedämpfter Stimme Instruktionen.»Ich glaube, sie werden vorn und achtern gleichzeitig angreifen. Auf diese Weise teilen sie unsere Verteidigungskraft und bekommen gleichzeitig eine Idee davon, wie stark wir sind.»
Der Leutnant nickte.»Ich wünschte, wir hätten dieses verdammte Schiff nie gesehen, Sir«, knurrte er und grinste dabei entschuldigend.»Oder wir hätten sie wenigstens mit einer vollen Breitseite auf den Grund geschickt.»
Bolitho mußte lächeln, denn dabei fielen ihm Witrands Worte ein: >Es wäre besser für uns beide gewesen, wenn wir uns nie getroffen hätten.< Nun, für Bedauern war es jetzt zu spät.
Er blieb im Türrahmen stehen und musterte noch einmal die geschäftigen Matrosen, die trübselige Kajüte, der man so übel mitgespielt hatte.»Sollte ich fallen, Mr. Meheux — «, er sah die plötzliche Bestürzung in des Leutnants Augen und fuhr so gelassen wie möglich fort:»- dann kämpfen Sie unbedingt weiter. Dieser Gegner kennt keine Gnade, vergessen Sie das nicht!«Er zwang sich zu einem Lächeln.»Sie waren es ja, der gestern ein Seegefecht wollte. Jetzt haben Sie eins.»
Rasch ging er wieder in die Sonne hinaus, an dem unbemannten Ruder vorbei zu Grindle, der immer noch unentwegt auf seinem Posten stand und die näherkommenden Fahrzeuge beobachtete.
Auf beiden Seiten des Oberdecks standen die spanischen Matrosen an der Reling oder knieten bei ihren Geschützen, deren stärkste Zwölfpfünder waren. Hier und dort, wo Deckung vorhanden war, sah er auch Passagiere, die sich eilig mit Musketen aus dem Schiffsarsenal versehen hatten; andere trugen irgendwelche eige nen Jagdflinten, um auch etwas zur Verteidigung beizutragen.
Er verschloß sein Gehör dem fernen Trommelschlag und versuchte, sich darüber klarzuwerden, welche Feuerkraft das Schiff in den nächsten Minuten entwickeln konnte. Von den Backbordgeschützen waren mehrere völlig unbrauchbar, verbogen und zerschmettert von der Salve der Euryalus. Es hing sehr viel davon ab, was der Feind als erstes tun würde.
Die Pumpen arbeiteten noch durchaus gleichmäßig; hoffentlich hatte Pareja denen, die dort am Werke waren, klargemacht, wie lebenswichtig es war, den Wasserstand unter Kontrolle zu halten. Oder vielleicht würden sie auch beim ersten Schuß von den Pumpen weglaufen und der See den Sieg überlassen.
Unter den Passagieren befanden sich auch eine ganze Anzahl Bauersfrauen: zähe, sonnengebräunte Wesen, die gar nichts dagegen gehabt hatten, als er vorschlug, sie sollten mit an die Pumpen gehen. Denn, wie er versucht hatte zu erklären, jetzt gab es keine Passagiere mehr an Bord der Navarra — sie waren alle eine Schiffsmannschaft, von deren Entschlossenheit und Stärke das Überleben abhing.
«Die teilen sich, Sir«, rief Grindle.
Die beiden letzten Boote schwenkten bereits ab und ruderten parallel zu der treibenden Navarra. Sichelgleich schnitten ihre langen Schnäbel durchs Was ser, und zielstrebig hielten sie auf das Heck zu.
Bolitho überschaute das Oberdeck: dort stand Witrand, eine Pistole im Gürtel, eine zweite neben sich auf dem Lukendeckel. Neben ihm stand Ashton; das bleiche Gesicht verzerrt vor Entschlossenheit und Schmerzen, wartete er auf einen Befehl von der Kampanje.»Sie können ausrennen, Mr. Ashton!«rief Bolitho. Er biß sich auf die Lippen, als die Geschützrohre mit protestierendem Quietschen durch die offenen Pforten glitten. Jetzt waren die Lücken in der Verteidigung erst richtig zu sehen, besonders an Backbord und achtern, wo die Schäden am größten waren.
Er winkte Pareja, der wie hypnotisiert unter der Kampanjetreppe stand.»Sagen Sie ihnen, sie dürfen erst auf Befehl feuern. Kein Schuß aufs Geratewohl, und sie sollen keine Zeit und Kraft damit verschwenden, auf die leere See zu zielen!»
Er kniff die Augen vor der blendenden Sonne zusammen und beobachtete, wie zwei der elegant gebauten Boote langsam herankamen, als wollten sie am Bug der Navarra vorbei. Sie waren etwa zwei Kabellängen entfernt und schienen den passenden Moment abwarten zu wollen.
Achtern war es dasselbe: drei Boote nahmen in perfektem Gleichtakt Kurs auf das Achterschiff und blieben etwa auf gleicher Distanz.
Er hörte, wie Meheux kurz und knapp seine Befehle gab — ob er sich wohl zutraute, die Angreifer abzuwehren?
Er fuhr zusammen, denn jetzt stoppte eins der Boote und wendete langsam, so daß sich der Bootskörper vor seinen Augen zu verkürzen schien, bis es mit dem Bug direkt auf die Navarra zeigte. Dann erst begann sich die Reihe der Riemen wieder zu bewegen, doch in langsamerem Tempo; das Wasser schäumte vom Bug wie eine schlanke weiße Pfeilspitze.
Da — ein Wölkchen schwarzen Rauches am Bug und dann ein lautes Krachen. Das Wasser erzitterte unter der unsichtbaren Kugel, die nur ein paar Fuß über der Wasserfläche dahinfuhr und hart in die Bordwand der Navarra schlug, direkt unter der Stelle, wo Bolitho stand. Er hörte schrille Schreckensschreie aus dem Schiffsraum, ein kurzes Stocken der Pumpen; auf dem Vorschiff des Piraten vollführten die Männer Freudentänze.
Wieder ein Krach, diesmal von vorn; und etwa drei Kabellängen entfernt stieg eine schlanke Wassersäule hoch: die andere Schebecke hatte gefeuert und gefehlt. Aber nach dem fedrigen Schaum beim Einschlag konnte man das Kaliber recht gut schätzen.
Hilflos hockten die spanischen Matrosen an den Geschützpforten, starrten auf die höhnisch glitzernde See und spannten die Muskeln in Erwartung der nächsten Kugel.
Sie hatten nicht lange zu warten. Das Boot, das an Backbord am nächsten war, gab Feuer, und die Kugel schmetterte hart in die Kam-panje; Holzsplitter wirbelten über die See, und das ganze Deck erzitterte heftig.
«Ich gehe nach unten, Mr. Grindle!»
Meheux würde bestimmt nach seinen Befehlen handeln, dessen war er sicherer als seiner eigenen Fähigkeit, bei diesem gnadenlosen Beschuß, der so viel Schaden anrichtete, untätig zu bleiben. Doch so mußte er vorgehen, wenn ihnen auch nur ein Fetzen Hoffnung bleiben sollte.
Meheux lehnte am Geschütz; gespannt verfolgte er mit den Blicken das Führungsschiff, das leicht auf das Heck der Navarra zuglitt; es war noch etwa eine Kabellänge entfernt.
Das Buggeschütz der Schebecke spuckte wieder Rauch und Feuer, und Bolitho erstarrte, als das Geschoß unter ihm in den Heckbalken schlug — vermutlich nahe bei der bereits durch den Sturm havarierten
Stelle.
Mit zusammengebissenen Zähnen sagte Meheux:»Bei Gott, Sir, wir brechen auseinander, wenn das so weitergeht!»
Bolitho spähte über das Rohr. Die Muskeln der nackten Rücken der Männer an den Kanonen spannten sich krampfhaft — sie erwarteten wie Meheux, daß die nächste Kugel mitten zwischen ihnen einschlagen würde. Das Erzittern der Navarra nach der nächsten dumpfen Explosion verriet, daß ein schweres Geschoß direkt ins Vorschiff geschlagen war. Doch er konnte nicht an zwei Stellen zugleich sein. Und hier achtern war die lebenswichtigste und zugleich verwundbarste Stelle.
Der nächste Schuß von achtern ging durch eine leere Stückpforte in den Heckbalken; bei dem schmetternden Krachen im Schiffsrumpf knirschte Bolitho mit den Zähnen — schrille Schreie verrieten ihm, daß die Kugel diesmal nicht nur auf Holz getroffen hatte.
«Worauf wartet er denn noch, verdammt noch mal!«fluchte Me-heux.
Bolitho fiel auf, daß der Feind nicht nochmals gefeuert hatte, obwohl bisher die Intervalle zwischen den Schüssen kurz und regelmäßig gewesen waren. Gespannt beobachtete er; kaum wagte er zu hoffen, als die Schebecke plötzlich und zielstrebig das Heck der Navarra rundete. Sekundenlang marterte ihn der Gedanke, daß er es sich nur einbilde, daß es in Wirklichkeit die Navarra sei, die sich in einer unkontrollierbaren Strömung bewegte.