Scharf gab er seine Befehle und sagte dann zu Meheux:»Das ist schon sehr schön für den Anfang.»
Meheux hob den Arm und deutete über die Reling. Bolitho sah hin: die Euryalus war nur noch ein Schatten; ihre Marssegel füllten sich mit Wind und schwebten als bleiche Flecken über ihr. Jetzt ging sie über Stag, sekundenlang sah er noch die im Gischt glitzernde Bordwand, die weißen Karos der geschlossenen Stückpforten, und stellte sich vor, wie Keverne statt seiner auf dem Achterdeck stand — vielleicht rechnete er sich bereits wieder eine neue Chance aus.
«Wir müssen vorm Wind bleiben, Mr. Meheux. Sowie wir versuchen, gegenanzukreuzen, verlieren wir das Ruder, oder es passiert noch Schlimmeres.»
Aus der Finsternis stolperte der Steuermannsmaat heran; er hielt eine Karte an die Brust gepreßt.
«Sie wollte nach Port Mahon, Sir. Die meisten Passagiere sind Kaufleute mit ihren Familien, soweit ich verstanden habe.»
Bolitho runzelte die Stirn. Dann hatte die Navarra, als sie gesichtet wurde, viel weiter südlich gestanden als nötig. Noch ein ungelöstes Rätsel.
«Wir wollen versuchen, das Marssegel zu setzen, Mr. Meheux. Stellen Sie zwei gute Männer ans Rad. Mr. Ashton kann Ihre Befehle den spanischen Matrosen übersetzen.»
Er schaute noch einmal nach der Euryalus aus, aber von ihr war nichts mehr zu sehen.»Zur Zeit möchte ich lieber die Spanier in die Masten schicken, da behalten wir sie wenigstens im Auge«, sagte er.
Meheux verzog das Gesicht.»Wird ihnen wenig Spaß machen, bei diesem Wind aufzuentern, Sir.»
«Sagen Sie ihnen, wenn sie sich weigern, dann gibt es für sie nur einen Ort — etwa tausend Faden senkrecht abwärts!»
Ein Matrose kam herbeigelaufen und rief:»Unten im Logis sind etwa fünfzig Verwundete, Sir! Alles voll Blut — ein scheußlicher Anblick!»
Bolitho sah den schattenhaften Gestalten nach, die vorsichtig in den Wanten hochkletterten, angetrieben von Meheux' Befehlen in improvisiertem Spanisch und wütenden Armbewegungen.
«Geht hinunter und sagt Mr. McEven, er soll feststellen, ob ein Arzt unter den Passagieren ist. Wenn ja, soll er an Deck kommen«, befahl er dem Matrosen.
Wieder rief Meheux ihn an:»Am Großmast sind eine ganze Menge Stage gebrochen, Sir! Der könnte runterkommen, sobald wir Segel setzen!»
Bolitho erschauerte — erst jetzt merkte er, daß er bis auf die Haut durchgeweicht war.»Be mannen Sie die Brassen, Mr. Meheux. Stellen Sie ein paar von den Passagieren dazu an. Ich brauche jeden verdammten Muskel, den Sie nur auf treiben können!«Und zu Grindle schrie er hinüber:»Klar bei Ruder!«Seine Stimme ging im Geheul des Windes und dem Sprühwasservorhang an der Luvseite fast unter, als wollten die Seegespenster sie über Bord und in die Tiefe ziehen. Er blickte sich nach einer Sprechtrompete um, sah aber nur die Gesichter der Männer am Ruder wie Wachsmasken im Licht der Kompaßlampe glänzen. War es richtig, was er tat? Der Sturm konnte in der nächsten Minute vorbei sein, dann wäre er besser unter gerefftem Großmarssegel liegen geblieben. Aber wenn der Sturm nicht so schnell abflaute, wie er gekommen war, mußte er ihn abreiten. Das war die einzige Chance. Selbst dann konnte das Ruder wegbrechen oder die Pumpen das ständig einströmende Wasser nicht mehr schaffen. Und vor Tageslicht war es unmöglich, den ganzen Schaden, das Ausmaß der Havarie, festzustellen.
«Fertig, Sir!«schrie Meheux heiser.
Bolitho fiel Broughtons Kommentar wieder ein.»Na schön!«hatte er gesagt. Lieber Gott, wie lange schien das her zu sein! Und dabei wehte ihre Flagge erst seit gut drei Stunden über der Navarra.
Am Vorschiff hörte er den Klüver wütend knattern und die Blöcke ungeduldig rasseln. Er mußte an die Männer auf den Rahen denken — hilflos wie Mäuse auf Treibholz.
«Vormarssegel setzen!«Schon rannte Meheux nach vorn, um seine Befehle zu geben.»Ruder legen, Mr. Grindle!«Heftig schwenkte er den Arm.»Sachte! Vorsicht mit den neuen Ruderzügen!»
Vom Vorschiff kam durch die Finsternis plötzlich das Knattern sich füllender Segel, dazu undeutliches Rufen hoch oben vom Mast.
«An die Leebrassen!«Er rutschte auf dem unbekannten Deck aus, spähte aber angestrengt nach vorn.»Großmarssegel setzen!»
Erregt schrie Grindle:»Sie reagiert, Sir!»
Rollend, gegen den Druck von Ruder und Segeln ankämpfend, glitt die Navarra wie betrunken in eine steile See; immer mehr gaben die
Rahen dem stetigen Druck nach.»Hart Backbord, Mr. Grindle!«Bo-litho rannte wieder zur Schanz und beobachtete gespannt das im Dunkel undeutlich schimmernde Großmarssegel, unter dessen Druck das Schiff sich drehte.
Weiter drehte sich das Rad, und Bolitho brüllte den unsichtbaren Männern seine Befehle zu, bis seine Kehle wund wie rohes Fleisch war.
Aber die Navarra gehorchte: langsam, schmerzhaft, die Segel grollend wie lebendige Ungeheuer, während der einsame Klüver wie ein bleicher Halbmond durch das schwarze Gewirr der Fallen und Wanten leuchtete.
Bolitho wischte sich Gischt aus den Augen und rannte zur Luvseite. Schon hatte sich der Winkel des Seegangs verändert, und die wütend brechenden Wellenkämme kamen jetzt direkt von Steuerbord. Überall stöhnten Holz und Hanf, klapperte gebrochenes Geschirr; er wartete nur darauf, daß irgend etwas mit reißendem Ton von oben kam, als Signal seiner Niederlage.
Aber nichts geschah, und die Männer am Rad behielten das Ruder unter Kontrolle. Wer die Navarra auch konstruiert hat, der Mann verstand sein Handwerk, dachte Bolitho halb im Traum.
«Wir steuern genau Ost, Mr. Grindle!«Er mußte es zweimal rufen, damit sie ihn hörten. Oder vielleicht waren sie wie er selbst nur zu zerschlagen vom tobenden Wetter, um noch vernünftig zu denken, etwas verstehen zu können.
«Klar bei Brassen!«Im Dunkel war es, als schreie er über ein leeres Deck. Ein Geisterschiff, auf dem er ganz allein war — hoffnungslos.»Schoten los und hol dicht!«War es die Dunkelheit, war es die Anstrengung — anscheinend konnte er nicht richtig sehen; er mußte die Sekunden zählen, um das Rundkommen der Rahen abzuschätzen; seinen tränenden Augen konnte er nicht mehr trauen.
Meheux kam nach achtern gestolpert, schwankend wie ein Betrunkener. Er rutschte aus und fiel lästerlich fluchend über den toten spanischen Kapitän, der noch immer am Fuß der Leiter lag.
«Wir müssen noch ein Reff einstecken, Sir. «Er hielt inne, anscheinend verblüfft, daß er noch lebte.»Am besten schicken wir die Dons gleich nach oben. Später kriegen wir sie bestimmt nicht mehr rauf, ganz gleich, was wir ihnen androhen!»
Bolitho grinste mit schmerzenden, aufgesprungenen Lippen. Unsicherheit und Angst waren weg, als ginge es in eine Schlacht. Eine ganz eigene Art von Irrsinn, kaum weniger verzehrend als echter Wahnsinn. Später, wenn sie vorbei war, hinterließ sie eine Leere, man war so völlig verbraucht wie ein Fuchs am Ende der Hetzjagd.
«Na dann los!«brüllte er.»Alles festmachen und belegen!«Starr stand noch immer das Grinsen auf seinem Gesicht.»Und betet, daß der Kasten hält!»
Auch den Leutnant schien die gleiche Wildheit erfaßt zu haben. Sein Nordengland-Akzent war stärker als sonst.»Beten tu' ich schon, seit ich auf diesem Wrack bin, Sir!«Laut lachte er durch die Gischt.»Und 'n klein bißchen hat's ja auch geholfen!»
Schwankend ging Bolitho zum Ruder.»Wir reffen, Mr. Grindle. Aber sobald Sie das Gefühl haben, daß sie anluvt, sagen Sie Bescheid. Eine Wende kann ich nicht riskieren.»
Der Unteroffizier tauchte neben ihm auf.»Kein Arzt, Sir. Und achtern sind an Steuerbord ein paar böse Risse.»
«Sagen Sie Mr. Meheux, er soll seine Dons unter Deck schicken, sobald sie in den Rahen fertig sind. Ich brauche jede Pütz, alles, was Wasser hält. Wir müssen Ketten bilden, um die Pumpen zu entlasten. Und damit die Pütz für die nächste Zeit was zu tun haben.»
Der Mann zögerte.»Ein paar von den Frauen wollen nach vorn gehen und sich um die Verwundeten kümmern, Sir.»