Литмир - Электронная Библиотека

Er trug einen einfachen grünen Rock und eine weite Hose. Unter dem Rock blinkte es metallisch. Offensichtlich war es Draffen nichts Neues, eine Pistole zu tragen; er machte durchaus den Eindruck, als könne er ganz gut auf sich aufpassen. Jetzt eben beschattete er die Augen mit der Hand und versuchte zu begreifen, was die Restless vorhatte: Sie drehte wieder in den Wind, ihre Segel flatterten beinahe mittschiffs, aber dann schwang sie auf ihren neuen Kurs herum.

Bolitho ging nach Backbord hinüber und hielt Ausschau nach dem Geschwader. Die Euryalus hatte in der kurzen Zeit so viel Abstand gewonnen, daß die Schiffe im Pulk zu stehen schienen und aus der Entfernung aussahen wie ein mißgestaltetes Seeungeheuer.

«Mr. Keverne«, rief er,»in dreißig Minuten nehmen wir Segel weg. Die Restless kann in Lee liegen, bis Sir Hugo an Bord ist.»

Später, als die Euryalus beigedreht lag und ohnmächtig in den Wellen rollte, die Segel nutzlos und lärmend gegen die Masten schlugen, kam Broughton an Deck und sah zu, wie das kleine Dingi der Korvette Draffen abholte.

«So, das wäre das!«sagte er befriedigt.

Bolitho sah noch, daß Draffen beim Anbordklettern einen Augenblick verhielt und zurückwinkte.

«Ich würde jetzt gern einen Schlag nach Nordost machen, Sir. Das spart Zeit, wenn wir uns nachher wieder dem Geschwader anschließen«, sagte er.

Broughton wandte der Korvette, die sich mit gefüllten Segeln in rascher Fahrt davonmachte, den Rücken zu.»Bitte, wie Sie meinen«, stimmte er zu und sah Bolitho prüfend ins Gesicht.»Sie können es wohl nicht erwarten, Ihren Platz in der Formation wieder einzunehmen?«Er lächelte ironisch.»Nun, es wird Fourneaux nichts schaden, wenn er noch ein bißchen länger Admiral spielen kann.»

Bolitho ging zu Keverne hinüber, der noch immer der Korvette nachsah.»Wir gehen hart an den Wind über Steuerbordbug, Mr. Ke-verne, Kurs Nordost. Lassen Sie also noch mal >Alle Mann< pfeifen. Nachher können sie Essen fassen. Appetit werden sie ja inzwischen bekommen haben. «Eben spähte der wüst aussehende Oberkoch, ein bärtiger Riese, aus der Kombüse.»Allerdings schaudert es mich bei dem Gedanken, was dieser Kerl manchmal zusammenschmort.»

Dann ging er wieder nach Luv hinüber, und die Matrosen schwärmten nochmals in die Wanten und auf die langen Rahen hinaus. Broughton verstand ihn besser als er wußte: Unabhängigkeit und Eigeninitiative, so hatte ihn sein Vater gelehrt, waren die beiden kostbarsten Besitztümer für jeden Kommandanten. Jetzt, da er ein Flaggschiff kommandierte und ans Geschwader gebunden war, begriff er erst richtig, wie er das gemeint hatte.

Plötzlich fiel ihm sein Haus in Falmouth ein und die beiden Porträts, die einander gegenüberhingen. Er empfand eine gewisse Rührung, weil er ohne Kummer und Bitterkeit daran denken konnte. Es war fast, als hätte er jemanden dort, der auf seine Rückkehr wartete.

Unbewegten Gesichts kam Keverne wieder.»Zwei Mann stehen heute nachmittag zur Bestrafung an, Sir.»

«Was?«Bolitho fuhr auf und starrte den Leutnant an.»Ach so. Ja, ist gut.»

Der kurze Augenblick des Friedens war vorbei. Doch als er zur Achterdeckreling ging, wünschte er sich heiß und innig, er möge wiederkehren.

Um sechs Uhr desselben Tages saß Bolitho an seinem Schreibtisch und sah durch das Heckfenster, den Kopf voller Gedanken. Trute, der Kajütsteward, stellte ihm einen Topf frischgebrühten Kaffee hin und trat wortlos wieder ab. Er hatte sich an die Launen seines Kommandanten gewöhnt, der anscheinend unbedingt allein sein wollte, auch wenn er sich seinen Kaffee selbst eingießen mußte. Auch daß sein Schreibtisch nach achtern blicken mußte, und daß er, wenn irgend möglich, lieber dort aß als an seinem schönen Eßtisch in der Nebenkajüte. Trute hatte bisher drei Kommandanten betreut, aber so einer war nicht darunter gewesen. Alle drei hatten hinten und vorn, zu jeder Tages- und Nachtzeit, bedient werden wollen. Alle drei konnten sehr schnell sehr unangenehm werden, wenn etwas nicht nach Wunsch ging. Aber sosehr er Bolitho als gerechten und rücksichtsvollen Vorgesetzten schätzte, hatte er sich doch bei seinen Vorgängern wohler gefühlt. Wenigstens hatte er bei denen die meiste Zeit gewußt, was sie gerade dachten.

Bolitho nippte an dem glühendheißen Kaffee. Auch der würde eines Tages, wie so manches andere, ein Luxusartikel werden. Man wußte nie genau, wann ein Schiff in bezug auf Lebensmittel und Trinkwasser die Sicherheitsgrenze überschritt.

Vier Glasen wurden angeschlagen; irgendwo hörte er eilige Schritte poltern, vielleicht war es ein Deckoffizier, der eingeduselt war und jetzt rennen mußte, um rechtzeitig für die zweite Hundewache abzulösen.

Bolitho hatte den Nachmittag über viel zu tun gehabt, und zwar hauptsächlich in Angelegenheiten seines eigenen Schiffes, nicht des Geschwaders. Es hatte sich viel angesammelt. Eine endlose Prozession von Leuten wartete, die alle etwas von ihm wollten.

Grubb, der Schiffszimmermann, grauhaarig, immer argwöhnisch und pessimistisch auf der Jagd nach dem Erzfeind aller Schiffe, der Fäule. Nicht daß er bei seinen täglichen maulwurfsgleichen Streifzügen durch die Eingeweide des Rumpfes, die er nie anders gesehen hatte oder sehen würde als bei Laternenlicht, etwas gefunden hätte.

Er wollte wohl nur Bolitho vor Augen führen, wie unermüdlich er um das Schiff besorgt war.

Ein paar Minuten hatte er Clove, dem Küfer, gewidmet, weil sich der Zahlmeister vor einiger Zeit über den Zustand mehrerer Wasserfässer beklagt hatte. Aber Zahlmeister Nathan Buddle beklagte sich oft und gern, wenn es sich um Dinge handelte, für die jemand anderer zuständig war. Er war ein dünner, hinterhältig aussehender Mann mit pergamentener Haut und ewig ängstlicher Miene, hinter der, wie Bo-litho argwöhnte, etwas ganz anderes stecken mochte als ein paar angefaulte Wasserfässer. Fairerweise mußte er zugeben, daß Buddles Abrechnungen bisher immer gestimmt hatten; aber man mußte ihm, wie allen Zahlmeistern, ständig auf die Finger sehen.

Und, wie Keverne schon gemeldet hatte, zwei Mann wurden zum Strafvollzug nach achtern gebracht; wie immer sahen alle dabei zu, die nicht gerade Wache gingen.

Bolitho haßte diese Schauspiele, obwohl er wußte, daß sie unvermeidbar waren. Es dauerte immer so lange. Die Grätings wurden auf-geriggt, die Delinquenten ausgezogen und festgezurrt, und dann kam seine eigene Stimme, die, das Brausen von Wind und Leinwand übertönend, die Kriegsartikel verlas.

Der eigentliche Strafvollzug interessierte die Zuschauer gar nicht so sehr.

Der erste Mann, der sich ein Dutzend Hiebe eingehandelt hatte, war beim Kameradendiebstahl erwischt worden. Man war der Meinung, daß er billig weggekommen wäre im Vergleich zu dem, was seine

Messekameraden mit ihm angestellt hätten, wäre nicht der Schiffskorporal zur rechten Zeit dazwischengekommen. Wie Bolitho gehört hatte, sollte es vorgekommen sein, daß Männer, die ihre Kameraden bestohlen hatten, nachts über Bord geworfen wurden; ja, einer sollte tatsächlich ohne die Hand, die gestohlen hatte, aufgefunden worden sein. In der brodelnden, ständig unter Druck stehenden Welt des Zwischendecks gab es für einen Dieb wenig Sympathie.

Der zweite Matrose bekam zwei Dutzend wegen Nachlässigkeit im Dienst und Insubordination. Sawle, der jüngste Leutnant, hatte ihn gemeldet. In diesem besonderen Fall gab sich Bolitho selbst die Schuld. Er hatte Sawle vor etwa sechs Monaten zum Leutnant befördert; aber hätte er nicht unter dem kranken Admiral Thelwall so viel mit Geschwaderangelegenheiten zu tun gehabt, so hätte er sich das, wie ihm heute klar war, zweimal überlegt. Sawle schien das Zeug zu einem guten Offizier zu haben, aber das war nur äußerlich. Er war ein mürrisch aussehender junger Mann von achtzehn Jahren, und Bolitho hatte Keverne gesagt, er solle aufpassen, daß seine Neigung zum Schikanieren sich in Grenzen hielt. Vielleicht hatte Keverne sein Bestes getan; vielleicht hatte er auch gedacht, das sei alles nicht so schlimm, solange Sawle sonst seinen Dienst versah.

34
{"b":"113273","o":1}